Auszeichnung für zukunftsgewandten Historiker

Der „Dimitris Tsatsos-Preis“ 2018 geht an den Historiker Prof. Wolfgang Reinhard. In zahlreichen Schriften setzt er sich kritisch mit Europas Gegenwart und Geschichte auseinander.


Vier Männer lächelnd. Der Preisträger hält die gerahmte Auszeichnung in seinen Händen. Foto: FernUniversität
Prof. Andreas Haratsch, Preisträger Prof. Wolfgang Reinhard, Prof. Spyros Tsantinis, Prorektor Prof. Sebastian Kubis (v.li.)

An der FernUniversität in Hagen wurde jetzt der „Dimitris Tsatsos-Preis für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Europäischen Verfassungswissenschaften“ verliehen. In diesem Jahr ging er an den Historiker Prof. Dr. Dr. h. c. Wolfgang Reinhard. Der 81-Jährige ist Professor emeritus für neuere Geschichte am Historischen Seminar der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und assoziierter Fellow des Max-Weber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien der Universität Erfurt.

Der „Dimitris Tsatsos-Preis“ ist nach dem Rechtswissenschaftler und Europa-Parlamentarier Prof. Dr. Dimitris Th. Tsatsos (1933 bis 2010) benannt. Verliehen wird er vom Centre for European Constitutional Law (CECL, Themistokles und Dimitris Tsatsos-Stiftung) in Athen und dem Dimitris-Tsatsos-Institut für Europäische Verfassungswissenschaften (DTIEV) der FernUniversität. Im zweijährigen Rhythmus soll der Preis abwechselnd in Athen und Hagen vergeben werden und das Gesamtwerk von Forschenden würdigen, die sich mit der Verfassungsentwicklung auf nationaler und europäischer Ebene befassen.

„Ich fühle mich außerordentlich geehrt“, sagte Prof. Reinhard nach der Überreichung des Preises durch Prof. Dr. Andreas Haratsch, Direktor des DTIEV, und Prof. Dr. Spyros Tsantinis, Vorstandsmitglied des CECL. Obwohl Reinhards wissenschaftliches Werk schon mehrfach mit Auszeichnungen – darunter auch dem sogenannten „Historikerpreis“ – gewürdigt wurde, habe ihn der „Dimitris Tsatsos-Preis“ besonders gefreut: „Der europäische Charakter des Preises macht es für mich aus. Das ist der Punkt.“

Wolfgang Reinhard spricht am Rednerpult zu den Gästen. Blumen schmücken den Saal. Foto: FernUniversität
Der Preisträger Wolfgang Reinhard sprach über Europa und seine eigene wissenschaftliche Biographie.

Grenzüberschreitendes Denken

Prof. Reinhard thematisierte in seiner Rede die Expansivität Europas, indem er die Frage stellte: „Wieviel Zukunft hat Europas Vergangenheit?“ Zum Ende seines Vortrags plädierte er für den „Europäischen Bundesstaat“ – nicht zuletzt weil verschiedene Aspekte wie die öffentliche Sicherheit, eine umfassende Daseinsvorsorge oder die Organisation des Gemeinwesens mittlerweile einer Regelung auf überstaatlicher Ebene bedürften. „Der Nationalstaat mag zwar dominant sein, aber er muss deswegen nicht unser unausweichliches Schicksal bleiben.“

Zudem sprach der Historiker über seinen eigene „europäische Vergangenheit“. Unter anderem prägten die wissenschaftliche Arbeit in Südfrankreich oder dem Vatikan Reinhards offene Herangehensweise jenseits von ausgetretenen nationalstaatlichen Denkpfaden. In seinen zahlreichen Schriften widmete sich der Forscher einem breiten Themenspektrum – etwa der europäischen Kulturantrophologie, dem europäischen Staatsbildungsprozess oder der Geschichte der europäischen Expansion.

Kritische Auseinandersetzung mit der Geschichte

Prof. Dr. Sebastian Kubis, Prorektor für Studium und Diversität der FernUniversität, betonte in seinem Grußwort, dass auf dem Weg in die Zukunft Europas auch ein prüfender „Blick in den Rückspiegel“ wichtig sei. Nur mithilfe „kritischer, nachdenklicher Geister“ könne man als europäische Gesellschaft „das, was wir sein wollen, mit dem abgleichen, was wir bisher in der Welt bewirkt haben – im Guten und natürlich auch im Schlechten.“ Auch Reinhards einstmaliger Schüler Prof. Dr. Christoph Marx (Essen) unterstrich in seiner Laudatio die vernünftige wissenschaftliche Distanz des Preisträgers gegenüber seinem Gegenstand.

Einrahmung durch Symposium

Die Verleihung war in das zweitägige Symposium „Constitutional Moments“ eingebettet, das vom Dimitris-Tsatsos-Institut, dem Institut für Geschichte und Biographie der FernUniversität und dem Archiv des Liberalismus der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit veranstaltet wurde. Zu den Teilnehmenden zählten Persönlichkeiten aus der internationalen Wissenschaft und Politik – so auch die ehemalige polnische Ministerpräsidentin und Juristin Prof. Dr. Hanna Suchocka.

Benedikt Reuse | 18.04.2018