„Skeptisch“ bis „Null Bock“: Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler plädieren auf einer Tagung an der FernUniversität dafür, die Jugendphase ganzheitlich in den Blick zu nehmen.


Zwei Mädchen sitzen auf dem Boden mit einem Laptop auf dem Schoß. Foto: sturti/E+/Getty Images
Medienkonsum spielt im Alltag von Jugendlichen eine Rolle.

Jugend ist nicht nur eine Frage des Alters, Jugend wird immer auch gesellschaftlich konstruiert und hergestellt. Wer von der Jugend spricht, versieht sie häufig mit Attributen: etwa die „skeptische Generation“ in den 1950er Jahren, später die „68er Generation“, dann die „Null-Bock-Generation“ der 1980er Jahre. Heute dagegen wechseln sich Generationszuschreibungen scheinbar im Jahresrhythmus ab.

Zu dieser „Kategorisierung“ tragen vor allem die bestehenden Erziehungs- und Bildungsverhältnisse bei, die die Jugendphase prägen. Sie definieren auch die Bewegungs- und Handlungsspielräume, die Jugendliche haben.

Tagung als Gemeinschaftsprojekt

Das zu erforschen, ist seit den Anfängen wissenschaftlich betriebener Pädagogik eines der zentralen Forschungsfelder der Erziehungswissenschaft. Eine Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern um FernUni-Professorin Dr. Cathleen Grunert (Allgemeine Bildungswissenschaft) initiierte jetzt eine Tagung auf dem Campus der FernUniversität in Hagen zum Thema Jugendforschung. Die Tagung war ein Gemeinschaftsprojekt mit Prof. Dr. Karin Bock (TU Dresden), Prof. Dr. Nicolle Pfaff (Universität Duisburg-Essen) und Prof. Dr. Wolfgang Schröer (Universität Hildesheim).

„Wir haben in unserer gemeinsamen Arbeit in der Sachverständigenkommission zum 15. Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung festgestellt, dass Jugendforschung, die danach fragt, wie Jugendliche ihren Alltag gestalten und was die Jugendphase gegenwärtig konkret ausmacht, in der Erziehungswissenschaft immer mehr in den Hintergrund rückt“, sagt Cathleen Grunert. Forschung über Jugendliche sei zwar interdisziplinär breit gestreut, beziehe sich in der Erziehungswissenschaft aber vor allem auf Fragen von Lernen, Leistung und Unterricht.

Nicht zuletzt die Ganztagsschule, aber auch die Veränderungen in der Hochschulausbildung und die Ausrichtung der außerschulischen Zeit auf Lernen und Bildung, haben in den letzten Jahren zu einer deutlichen Veränderung der Struktur der Jugendphase, möglicher Verläufe und Handlungsspielräume beigetragen.

Eine Frau steht an einem Redepult. Foto: FernUniversität
Prof. Cathleen Grunert

Zentrale Fragen

75 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus ganz Deutschland diskutierten etwa, wie die Jugendforschung in der Erziehungswissenschaft aktuell strukturell verankert ist, mit welchen theoretischen und methodischen Zugängen gearbeitet wird und wie die Jugendforschung in die verschiedenen teildisziplinären Zusammenhänge eingebunden ist. „Erziehungswissenschaftliche Jugendforschung muss sich wieder mehr auf das Wechselverhältnis von gesellschaftlicher Regulierung der Jugendphase über Erziehungs- und Bildungsverhältnisse und die Bezugnahmen und Handlungsspielräume der Jugendlichen auf und in diesen Strukturen konzentrieren“, so Grunert.

Seit den PISA-Studien seien Jugendliche vor allem in ihrer Rolle als Schülerinnen und Schüler in den wissenschaftlichen Fokus gerückt, so die FernUni-Wissenschaftlerin: „Damit verfolgt man eine recht einseitige Perspektive und fragt zudem in der Fokussierung auf Leistung und Unterricht nicht danach, wie die Jugendlichen selbst damit umgehen, was etwa der allseits herrschende Bildungsimperativ, der ja nicht nur die Schule betrifft, für sie bedeutet und welche Möglichkeiten und Begrenzungen ihnen damit aufgegeben sind.“

Diese Reduktion wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, so der Tenor der Tagung, aufbrechen und möglichst zurückkehren zu einer komplexeren Perspektive. Eine, die Jugendlichen selbst in ihren unterschiedlichen Lebenslagen, Handlungsspielräumen und Bedeutungszuschreibungen ernst nimmt. „Eine reflexive erziehungswissenschaftliche Jugendforschung muss auch danach fragen“, ergänzt Grunert, „welchen Anteil sie selbst an der Konstruktion von Jugend und an den gesellschaftlichen Bildern von Jugendlichen hat, die dann auch wieder Politik und pädagogische Praxis mitbestimmen.“

Bühne für wissenschaftlichen Nachwuchs

Die Tagung bot auch eine breite Bühne für Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler, die sich mit Vorträgen und einer Postersession einbrachten. Einen Rückblick auf die Forschung zum Thema Jugend(liche) ermöglichte eine begleitende Ausstellung mit historischem Material aus verschiedenen Jugendforschungsprojekten, die im „Datenarchiv Kindheit und Jugend im urbanen Wandel“ an der Universität Duisburg-Essen gesammelt werden und für Forschungszwecke zur Verfügung stehen.

Anja Wetter | 29.06.2018