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Neuerscheinung: „Kamera an, Kamera aus? Ein Gespräch über Sichtbarkeiten in der Videostream-basierten Lehre“

[22.04.2022]

Gemeinsame Publikation mit Sophie G. Einwächter, Felix T. Gregor, Ulrike Hanstein und Sandra Kero in der Zeitschrift für Medienwissenschaft erschienen.


Teilhabe an Lehrveranstaltungen und Mitsprache bei der Arbeit an Hochschulen sind während der Covid-19-Pandemie an die individuellen Ressourcen und Fertigkeiten geknüpft, die es den Einzelnen ermöglichen, an Videokonferenzen teilzunehmen. Mark Nunes und Cassandra Ozog haben diese radikale Neuordnung von Ideen der Anwesenheit, der Reichweite und der Verbundenheit bei zeitgleicher Abhängigkeit von externen Dienstleistern wie folgt beschrieben: «Overnight, it seemed, Zoom became the default platform for video conferencing, rapidly morphing from brand name to eponymous generic – a verb and a place and mode of being all at once».1 In der per Videostream abgehaltenen Lehre ist der text- und sprachbasierte Austausch der Beteiligten immer mit spezifischen Entscheidungen verbunden, die den Umgang mit dem (eigenen) Bild betreffen. Zu den altbewährten gesellen sich neu erprobte Strategien des Versteckens, aber auch des Sichtbarmachens, Exponierens oder gar Kontrollierens, denn unterschiedliche Erwartungen, Bedürfnisse und Notwendigkeiten treffen aufeinander. Viele Lehrende wünschen sich etwa mehr sichtbare Reaktion, mehr Interaktion und ein ansprechbares Gegenüber, das sie in Studierenden mit eingeschalteter Kamera zu finden glauben. Jedoch ermöglichen Online-Meetings mit ausgeschalteter Kamera eine höhere Sitzungsstabilität und mehr Teilhabe für Personen, deren Internetverbindung nur eine niedrige Datenübertragungsrate zulässt. Und auch der ökologische Fußabdruck von Videokonferenzen ist ohne Bild kleiner.

Es gilt also eine Reihe von Faktoren abzuwägen, nicht zuletzt auch deshalb, weil die neuen Sichtbarkeiten in Videokonferenz-Settings immer auch Verletzlichkeiten bergen. Einblicke ins Private offenbaren Lebenssituationen und -umstände; Ansichten von persönlichen Umgebungen können soziale und habituelle Ungleichheiten wahrnehmbar hervortreten lassen; Aufforderungen zur professionellen und expressiven Selbstperformance vor der Webcam, das Angesehen-Werden und die permanente Fokussierung in Nahaufnahme können Stress auslösen. Soll in der Videostream-basierten Lehre nun also zum Ein- oder Abschalten der Kamerafunktion aufgefordert werden? Im Oktober 2021 haben wir mit Studierenden

und Lehrenden verschiedener Hochschulen in Zoom-Meetings und im E-Mail-Austausch über diese Frage und gegenwärtige Veränderungen unserer Lehr- und Lern- Kontexte diskutiert.3 Die vielen Stimmen und Sichtweisen werden hier in gekürzter und montierter Fassung als Gespräch wiedergegeben. Beim Austausch über die neuen Werkzeuge und Umgebungen unserer Arbeit ging es um Blickordnungen, Verletzlichkeiten, Möglichkeiten des Rückzugs, Formen der Verbundenheit und prekarisierte Arbeitssituationen. Obwohl wir thematische Schwerpunkte benennen, geht es uns nicht etwa um eine systematische Typologisierung spezifischer Erlebnisse und Bewertungen. Vielmehr liegt uns an der Sichtbarmachung eines Spektrums, das im besten Falle weitere Arbeiten anregen kann.

Publikation (open access): https://mediarep.org/handle/doc/19106