Onlineseminar

Thema:
Opfer, Geschlecht und Drama um 1900: Hofmannsthal, Maeterlinck, Wedekind
Veranstaltungstyp:
Onlineseminar
Adressatenkreis:
Alle interessierten Studierenden
Termin:
29.10.2021 bis
19.11.2021
Zeitraum:
29.10.2021, 17.30 Uhr – 19.30 Uhr
30.10.2021, 10.00 Uhr – 12.00 Uhr
12.11.2021, 17.30 Uhr – 19.30 Uhr
13.11.2021, 10.00 Uhr – 12.00 Uhr
19.11.2021, 17.30 Uhr – 19.30 Uhr
Leitung:
Prof. Dr. Uwe Steiner
Dr. Wim Peeters
Anmeldefrist:
25.10.2021

Die Anmeldefrist zu diesem Onlineseminar ist abgelaufen.

Wir wollen in diesem Semester die in vorausgegangenen Seminaren schon erkundete Fragestellung auf die Epoche um 1900 ausdehnen. Sie müssen, um teilnehmen zu können, weder eines dieser Seminare noch den gleichfalls als Präsenzveranstaltung belegbaren Workshop am 8./9.10. in Berlin besucht haben. In der ersten Sitzung werden wir einen Überblick geben und in die Thematik einführen.

Und die lautet wie folgt:

„Die tragische Dichtung ruht auf der Opferidee“, schreibt Walter Benjamin 1928 in seinem Buch über den Ursprung des deutschen Trauerspiels. Althistorische und kulturanthropologische Forschungen haben diese These weitgehend bestätigt. Die antike Tragödie ist aller Wahrscheinlichkeit nach aus opferkulturellen Ursprüngen entstanden, der tragische Held lässt sich als Sublimat der kulturellen Institution des repräsentativen Opfers, als Transformation des Sündenbocks begreifen. Im 18. Jahrhundert vollzieht sich nun auf der Theaterbühne eine folgenreiche Umcodierung der Position des tragischen Helden:Um der angestrebten Wirkung willen, der empathischen Identifikation der Zuschauer mit dem Schicksal des tragischen Opfers, besetzen im bürgerliche Trauerspiel, der Modegattung des späten 18. Jahrhunderts, ausschließlich tugendhafte Töchter diese Prestigeposition. Dabei wird die Theatralität des Opfers im Drama selbst zugleich markiert und einer dramaturgischen Grundlagenreflexion unterzogen wie sein Geschlecht. Am wirkungsmächtigsten sollte Lessings Emilia Galotti diese Umcodierung des tragischen Opfers und die Projektion von geschlechteranthropologische Schematismen auf Opfer- und Täterschaften vornehmen. Keine Dramatik, so kann man zumindest den Eindruck erhalten, kommt seither daran vorbei, explizit oder implizit auf diese Modelle zurückzugreifen.

Nachdem wir im letzten Semester uns mit Hebbel, Grillparzer und Wagner befasst haben, diskutieren wir jetzt drei große Dramen des Fin de Siècle. Hugo von Hofmannsthals Elektra (1903, als Oper 1909 von Richard Strauss vertont), Maurice Maeterlincks Pélleas et Mélisande (1892; als Oper von Claude Debussy vertont und 1902 uraufgeführt) sowie Frank Wedekinds Lulu-Tragödie (Erdgeist, Die Büchse der Pandora 1894-1913) haben auf den ersten Blick ästhetisch nicht viele Gemeinsamkeiten. Auf den zweiten Blick aber offenbaren sie doch ein gemeinsames Muster: In ihnen wiederholt sich eine Konstellation, die die moderne Dramatik seit Lessing prägt und die sich Zuge der Im Geschlechteranthropologien schon um 1800 eingespielt zu haben scheint. In dieser Konstellation stehen negativierte Männlichkeit und weibliche Opferschaft einander im Spannungsfeld zwischen Viktimisierung und Sakrifizierung gegenüber. Auch sie bringen die Funktion der tragischen Heldin mit der kulturellen Semantik der Geschlechter in Verbindung.

Zunächst werden wir mit Hilfe von René Girard und Walter Burkert die opferkulturellen Ursprünge der Tragödie vergegenwärtigen, bevor wir am Beispiel des tragischen Schlusses von Lessings Emilia Galotti die geschlechteranthropologische Überformung der tragischen Katastrophe analysieren.

Auf dem Programm stehen die folgenden Dramen:

Maurice Maeterlinck: Pelleas und Melisande, übers. a. d. Französischen von Friedrich von Oppeln-Bronikowski, Stuttgart: Reclam 1972 u.a. Auflagen. (RUB 9427, vergriffen)

Hugo von Hofmannsthal: Elektra. (RUB 18113)

Frank Wedekind: Lulu (Erdgeist. Die Büchse der Pandora), hg. v. Erhard Weidl, Reclam: Stuttgart 1989. (RUB 8567)

Elektronische Auszüge aus den folgenden Texten werden Ihnen zur Verfügung gestellt:

Walter Burkert: Griechische Tragödie und Opferritual, in ders.: Wilder Ursprung. Opferritual und Mythos bei den Griechen, Berlin 1990, S. 13-39.

René Girard: Das Heilige und die Gewalt, Frankfurt a. M. 1992.

Ders.: Der Sündenbock, Zürich/Düsseldorf 1998, insb. S. 7 – 23.

Christoph Kucklick: Das unmoralische Geschlecht. Zur Geburt der negativen Andrologie, Frankfurt a. M. 2008.

Dietrich Schwanitz: Systemtheorie und Literatur. Ein neues Paradigma, Opladen 1990, hier Kap. III: Das Drama.

Zur Vorbereitung und Einführung empfehlen wir den gerade erschienenen Aufsatz:

Uwe C. Steiner: Gerechtigkeit für Odoardo Galotti. Ein Theatercoup mit Folgen: Wie Lessing das tragische Opfer geschlechteranthropologisch umwidmet und damit von Bodmer bis zur Gegenwart wirkt, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, Jg. 95, Heft 1/März 2021, S. 43-80. http://link.springer.com/article/10.1007/s41245-021-00124-8

Webredaktion | 26.10.2021