Die digitale Welt gerechter machen

Die Digitalisierung birgt Chancen und Risiken – auch für die Geschlechtergleichheit. Probleme und Lösungsansätze thematisierte jetzt der Gender-Day 2019 an der FernUniversität.


Mit dem Aufbruch ins digitale Zeitalter waren hehre Hoffnungen verbunden: Die neue Technologie sollte die Gesellschaft offener, transparenter und gleicher machen. Die Realität zum Ende der 2010er-Jahre sieht anders aus: Oft sind es gerade die etablierten digitalen Mechanismen, die soziale Ungleichheit zementieren und überkommene Stereotype am Leben halten. Das gilt insbesondere für sexuelle Diskriminierung – ein Missstand, dem sich jetzt der Gender-Day an der FernUniversität in Hagen zugewandt hat. Unter dem Titel „Digitalisierung hat (k)ein Geschlecht – Chancen und Risiken der Digitalisierung für den Umgang mit Geschlecht in der Hochschule“ nahm die FernUniversität ihren eigenen Handlungsspielraum in den Blick. In ihrem Grußwort stellte Rektorin Prof. Dr. Ada Pellert die initiale Frage: „Was steckt hinter dem Algorithmus, was steckt hinter der Technologie? Und was heißt das für soziale Beziehungen?“

Die Zentrale Gleichstellungsbeauftrage Kirsten Pinkvoss schloss sich daran an und benannte vier übergeordnete Problemfelder im akademischen Bereich: diskriminierende Algorithmen, Stereotype, die nur vermeintlich bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die generellen Veränderungen in der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Das nachfolgende Programm moderierte Maria-Luisa Barbarino. Als Wissenschaftliche Mitarbeiterin leitet sie das Projekt „Gender in der Lehre“ an der FernUniversität und organisierte den Gender-Day federführend.

Frau am Rednerinnenpult Foto: FernUniversität
Maria-Luisa Barbarino vom Gleichstellungsteam moderierte die Veranstaltung.

Probleme erkennen…

Wie sich Diskriminierung im Web konkret manifestiert, erfuhren die Teilnehmenden im ersten Teil der Veranstaltung: Den Einstieg ins Thema machte Prof. Dr. Nicola Marsden (Hochschule Heilbronn) mit ihrem Vortrag „Wer entscheidet, wie die Welt wird? Gender Bias in der IT“. Mit vielen eindrucksvollen Beispielen machte sie anschaulich, wie drastisch Frauen in einer von „Männern und Maschinen“ dominierten und konzipierten digitalen Welt benachteiligt werden.

Weitere Erkenntnisse zu „Formen digitaler Ungleichheit“ teilte Prof. Dr. Markus Strohmaier (RWTH Aachen) mit dem Publikum. So wies er unter anderem auf verzerrende Mechanismen in alltäglich genutzten Anwendungen hin – zum Beispiel bei der Bildersuche in Suchmaschinen oder Apps zum Buchen von Übernachtungsmöglichkeiten. Auch Wikipedia sei nicht frei von Diskriminierung – ein Problem, dem sich auch FernUni-Forscherin Prof. Dr. Aileen Oeberst (Lehrgebiet Medienpsychologie) zuwandte. In ihrem Vortrag „Warum es ‚der Wikipedia‘ heißen müsste“ unterstrich sie, dass es selbst in der bewusst offen angelegten Online-Enzyklopädie einen starken „Gender-Gap“ gibt.

Frau spricht vor Publikum Foto: FernUniversität
Prof. Nicola Marsden zeigte mit Beispielen auf, inwiefern Frauen im digitalen Raum strukturell benachteiligt werden.

…und Teil der Lösung sein

Doch wie begegnen Lehrende der vorherrschenden Ungerechtigkeit im Web am besten? Handlungshilfen für eine zeitgemäße digitale Didaktik gab es bei Workshops in der zweiten Veranstaltungshälfte: Prof. Dr. Sabrina Eimler (Hochschule Ruhr-West) informierte über „Positive Psychologie in der (geschlechtersensiblen) Technikentwicklung“. Als Referentin für Hochschulstrategie und Digitalisierung der FernUniversität beantwortete Dr. Annabell Bils zudem die Frage, wie digitale Lehre „gender- und diversitätsreflektiert“ weitergedacht werden kann. Am Abend gipfelte der Gender-Day in einem neuen Teil der Reihe „Frauen und Männer im Gespräch“: Zu Gast war der Geschäftsführer der Gesellschaft für Datenschutz und Informationssicherheit (GDI) Olaf Tenti. Auf dem Podium eröffnete er die Debatte zur Frage: „Gefährdet die Digitalisierung unsere Demokratie?“

Weiterhin wachsam bleiben

Ein wichtiges Fazit des Tags nahm Kirsten Pinkvoss bereits in ihrem Grußwort vorweg. Als Sprecherin der Landeskonferenz der Gleichstellungsbeauftragten von Hochschulen und Universitätsklinika in NRW begleitet sie den Digitalisierungsprozess kritisch. Ihre Sichtweise auf die Bundes- wie Landespolitik bleibt prüfend: „Wir sind der Meinung, dass die geschlechterspezifische Dimension der Digitalisierung einfach noch nicht richtig durchdacht ist.“ Mit Blick auf die FernUniversität zeigte sie sich zuversichtlich: „Ich freue mich, dass wir es an dieser Hochschule geschafft haben, das Thema mehr in den Fokus zu rücken.“ In diesem Sinne verband ihr Team auch seine Festtagsgrüße mit einem Appell für mehr Gleichstellung – nicht ohne ein weihnachtliches Augenzwinkern: Für alle Teilnehmenden gab es Gender-Sterne in Form von leckerem Zimtgebäck.

Benedikt Reuse | 18.12.2019