Chinas Wirtschaft in der Krise: Warum der Riese ins Wanken gerät
China-Experte Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer spricht im Interview über die Auswirkungen der aktuellen Krisen auf das Wachstum in China und die Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt.

China hat im Juli fast 15 Prozent weniger Waren ausgeführt als im Jahr davor. Das ist das schlechteste Exportergebnis seit Beginn der Corona-Pandemie. China-Experte Prof. Dr. Hans-Jörg Schmerer spricht im Interview über die Auswirkungen der aktuellen Krisen auf das Wachstum in China, die Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt und die Kunst, im Reich der Mitte die Zensur zu umgehen. Der Volkswirtschaftler leitet den Lehrstuhl für Internationale Ökonomie und ist einer der Sprecher des neuen Center for Economic und Statistical Analysis (CESA) an der FernUniversität in Hagen.
FernUniversität: Was sind die Gründe für den Einbruch der chinesischen Wirtschaft?
Schmerer: Es gibt viele verschiedene Gründe. Die aktuellen Krisen und die schwächelnde Konjunktur wirken sich massiv auf das Wachstum in China aus. Die meisten Güter wie zum Beispiel iPads werden an verschiedenen Standorten produziert. In der Corona-Pandemie wurde vielfach diskutiert, dass die internationalen Lieferketten zu komplex geworden und wir zu abhängig von China sind. Die lange Phase der Lockdowns und eineinhalb Jahre Krieg in Europa haben dazu geführt, dass die Unsicherheit bei ausländischen Firmen stark zugenommen hat. Die politische Rolle von China trägt nicht dazu bei, dass Vertrauen in den Standort wieder aufgebaut wird. Ganz im Gegenteil, die Unsicherheit verstärkt sich. Zusätzlich kommt noch der Handelskrieg mit den USA hinzu. Es gibt aktuell also genügend Gründe für deutsche Firmen, den Schwerpunkt von China weg in Richtung Europa zu verlagern. Dennoch werden Unternehmen sich sicherlich nicht komplett zurückziehen. Dazu ist der Markt zu wichtig. Trotz geringerer Wachstumsraten bleibt China eine der größten Volkswirtschaften weltweit und wird in absehbarer Zeit zur größten Volkswirtschaft aufsteigen.
Wie wirkt sich die schwächelnde Konjunktur auf den deutschen Arbeitsmarkt aus?
Schmerer: Die Importe gehen in China und in Deutschland zurück. Höhere (Jugend-)Arbeitslosigkeit, der wankende Immobiliensektor und die Deflation sind in China Alarmsignale für die sinkende Nachfrage. In Deutschland haben wir das andere Extrem mit der hohen Inflation, das erklärt, warum die Nachfrage zurückgeht. In den vergangenen Jahren haben wir uns zu sehr auf die massive Abhängigkeit von China konzentriert. Deutschland hat diese Unsicherheit erkannt und setzt jetzt auf mehr Diversifizierung. Die jüngsten Entwicklungen verschärfen diesen Trend. Immer mehr Firmen ziehen sich aus China zurück. Als einziges Land betrachtet ist China immer noch unser wichtigster Handelspartner. Betrachtet man aber Europa als Ganzes, dann bleibt Europa wichtigster Absatzmarkt für deutsche Güter – nicht China und nicht die USA. Wir sind ein Stück weit unabhängiger und haben mit Amerika einen noch immer verlässlichen Handelspartner an unserer Seite. Daher fallen die Arbeitsmarkteffekte für Deutschland nicht besonders stark aus. Wir können das gut abfedern.

Aktuell haben Sie als Globalisierungsexperte ein Interview im chinesischen Fernsehen zur Krise der chinesischen Wirtschaft gegeben. Angesichts der Abschottung Chinas ist das ungewöhnlich. Wie kam es dazu?
Schmerer: Aufhänger ist die aktuelle Entwicklung. Letztlich habe ich viel über Lieferkettenengpässe und den Vertrauensverlust im deutschen Mittelstand gesprochen. Bisher habe ich es noch nicht erlebt, dass ein chinesischer Fernsehsender Experten aus dem Ausland anfragt. Es handelt sich um den in Hongkong stationierten Privatsender Phoenix TV. Dieser hat eine sehr große Reichweite. Es ist der einzige Privatsender, der zwar in Hongkong produziert, jedoch in ganz China ausgestrahlt wird. Außerdem werden per Satellit im Ausland lebende Chinesinnen und Chinesen erreicht. Dass die chinesischen Exporte so stark eingebrochen sind, ist für sich schon interessant. Für China könnte das zu einem großen Problem werden, das die Regierung durchaus erkennt. Dass ich dazu befragt wurde, ist wiederum ein Zeichen dafür, dass man auch Deutschland und Europa ein Stück weit in der Verantwortung für die aktuellen Probleme in China sieht. Die USA sowieso, das ist offensichtlich. China will schon länger die heimische Nachfrage ankurbeln, schafft das aber nicht wie geplant.
Center for Economic and Statistical Analysis
Globalisierung, Arbeitsmarkt und ökonomisches Wachstum: Das sind Kernthemen des neuen Forschungszentrums Center for Economic and Statistical Analysis (CESA) an der FernUniversität in Hagen. Es handelt sich um eine Kooperation der Lehrstühle Internationale Ökonomie, Makroökonomie und Angewandte Statistik. Bei einem Workshop in Nürnberg in Kooperation mit der Londoner Westminster University standen jetzt die aktuellen Probleme der Weltwirtschaft sowie Chinas Rolle für den deutschen Arbeitsmarkt im Fokus.
Wie werden denn kritische Aussagen in China aufgenommen?
Schmerer: Leider wurden meine besonders interessanten Aussagen nicht übernommen. Das war den Produzenten vermutlich zu riskant. Die Schwierigkeiten der chinesischen Exportwirtschaft sind zu einem großen Teil auf die derzeitige Unsicherheit und Unzufriedenheit ausländischer Firmen zurückzuführen. Die chinesische Regierung sollte in eigenem Interesse mehr Druck auf Russland ausüben, um das eigene Wachstum nicht weiter zu gefährden. Diese Kernaussage war wohl selbst für einen Sender aus Hongkong zu viel. Die chinesischen Untertitel sind aber zweideutig genug. Die Kunst in China ist es, Aussagen so zu verpacken, dass diese an der Zensur vorbeikommen.
Wie geht es jetzt weiter für China?
Schmerer: Meine Hoffnung ist, dass der Einbruch der Exporte die chinesische Regierung dazu bringt, einzugreifen und gegenzusteuern. China hat nicht erwartet, dass sich der Krieg in der Ukraine so in die Länge zieht und die weltweiten Auswirkungen so gewaltig sind. Angesichts dieser großen Unsicherheit sollte China politisch Einfluss nehmen und hätte das eigentlich schon viel früher machen müssen. China ist das einzige Land, das Russland jetzt noch dazu bewegen kann, an den Verhandlungstisch zu kommen, um hoffentlich in naher Zukunft eine Lösung für den Konflikt in der Ukraine zu finden. Die chinesische Regierung wird aber erst dann aktiv, wenn die eigenen Interessen massiv beschädigt werden. Dieser Punkt ist jetzt erreicht. Ich bin daher optimistisch.
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