Jahrestagung 2022

FSP digitale_kultur

Panel 2: Verstehende Algorithmen – Algorithmen verstehen

Veranstalter*innen: Prof. Dr. Claudia de Witt, Dr. Christian Leineweber, Vanessa Meiners

Eine Hermeneutik, die sich als digital begreifen und profilieren möchte, verweist ganz wesentlich auf die Methode, sprachlich kommunizierten und maschinell berechneten Sinn zu verstehen. Mensch und Maschine treten so in ein Netzwerk von kommunizierten und kommunizierbaren Verständnissen. Dies setzt nicht mehr nur ein Verstehen der Welt, sondern darüber hinaus auch verstehende Algorithmen und ein Verstehen der Algorithmen voraus. Unser Panel widmet sich diesem ›Doppelspiel‹ mit dem Ziel, die Beziehung zwischen menschlichem und maschinellem Verstehen in unterschiedlichen Facetten zu (de-) konstruieren.

Verstehen – Interpretieren – Errechnen: Zum Wandel von Interpretationspraxen durch KI-gestützte Interpretation

Fabio Lieder (Universität der Bundeswehr München), Prof. Dr. Burkhard Schäffer (Universität der Bundeswehr München)

Die Dokumentarische Methode der Interpretation (DM) unterscheidet zwischen „Verstehen“ und „Interpretieren“: Verstehen können sich nur Angehörige eines Milieus oder ähnlicher kollektiver Gebilde untereinander. Fremdheit hingegen lässt sich nur durch „Interpretation“ überwinden. Vor diesem begrifflichen Hintergrund wird untersucht, wie es sich bei „Interpretationen“, die von einer Künstlichen Intelligenz (KI) generiert werden, mit dieser Fremdheitsrelation verhält: Ist es ein Unterschied, ob ein Mensch oder eine künstliche Intelligenz (KI) eine Interpretation vollzieht? Unter dem Horizont der Begriffe „verstehen“, „interpretieren“ und „errechnen“ wird erörtert, welche hybriden Gebilde sich aus dem interpretativen Zusammenhandeln von Mensch und KI ergeben. Mittels Natural Language Processing (NLP) ermitteln wir, inwieweit „Interpretationen“ maschinell erzeugt werden können und ob dies bei der Suche nach neuen überraschenden Sichtweisen unterstützen kann. Dazu demonstrieren wir ein vortrainiertes Sprachmodell, dem die Dokumentarische Methode mittels sog. „Prompt Engineering“ und beigebracht wurde.

Fabio Lieder, M.A. ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Fakultät für Humanwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Seine Arbeitsschwerpunkte: Lehren und Lernen, Erwachsenenbildung, Technikphilosophie, Lehr-Lerninteraktion zwischen Menschen und Technik, erkenntnistheoretische und didaktische Implikationen Künstlicher Intelligenz, Erforschung und (Weiter-)Entwicklung softwaregestützter qualitativ-rekonstruktiver Datenanalyse.

Prof. Dr. Burkhard Schäffer leitet den Lehrstuhl für Erwachsenenbildung/Weiterbildung an der Fakultät für Humanwissenschaften der Universität der Bundeswehr München. Seine Arbeitsschwerpunkte: Methoden, Methodologien und Softwareentwicklung (DokuMet QDA) im Bereich qualitativer Erwachsenenbildungsforschung. Aktuelle Forschungsprojekte: andragogische Perspektiven auf die Corona Pandemie und Implementierung künstlicher Intelligenz in qualitative Forschung.

‚You never know‘. Überlegungen zum Umgang mit Algorithmen in erziehungswissenschaftlicher Digitalisierungsforschung

Prof. Dr. Sandra Hofhues (FU Hagen)

Unter Bedingungen von Mediatisierung und Digitalisierung scheint die Befassung mit Daten, Algorithmen und Strukturen digitaler Medien innerhalb von Erziehungswissenschaft dringlicher denn je. Dabei ist noch genauer auszuloten, wie sich eine erziehungswissenschaftliche Digitalisierungsforschung im Anschluss an die Tradition erziehungswissenschaftlicher Medienforschung in Bezug auf Phänomene, Gegenstände und (technische) Entwicklungen positionieren kann und sollte. Im Vortrag wird daher unter der Prämisse eines ‚You never know’ zuerst problematisiert, worin die besonderen Herausforderungen eines Umgangs mit Algorithmen in unser aller Alltag bestehen, ehe ein forschender Blick auf sie geworfen wird. Am Ende dient ein aktuelles Forschungsprojekt als Anschauungsbeispiel, wie sich erziehungswissenschaftliche Digitalisierungsforschung künftig verstehen könnte. An diesem Beispiel wird abschließend diskutiert, welche Leerstellen auszufüllen sind, um Algorithmen (besser) zu verstehen und in pädagogischer Praxis künftig auf die so aufscheinenden, komplexen Herausforderungen einzugehen.

Dr. Sandra Hofhues ist seit Oktober 2020 Universitätsprofessorin (W3) für Mediendidaktik im Institut für Bildungswissenschaft und Medienforschung der FernUniversität in Hagen. Zuvor war sie u.a. als Juniorprofessorin für Mediendidaktik/Medienpädagogik im Department Erziehungs- und Sozialwissenschaften der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln tätig. Ihre Schwerpunkte in Forschung und Lehre liegen im Kontext von Mediendidaktik unter Bedingungen von Digitalisierung und Digitalität sowie dokumentarischer Medien- und Organisationsforschung.

Affective Computing and Emotional AI als digitale Kulturtechniken der Emotionalisierung und reflexiven Distanzierung

Tanja Klankert (HU Berlin)

Der Einsatz von Emotional AI wird derzeit kritisch diskutiert. Neben Risiken, die auch biometrische Überwachungssysteme und ADM-Systeme betreffen, ist umstritten, ob sich Emotionen technisch erfassen und repräsentieren lassen. Ich möchte in meinem Vortrag auf Aspekte eingehen, die in der Diskussion bisher wenig Beachtung gefunden haben. Anhand von Methoden der Emotionserkennung, z.B. in der maschinellen Sprachverarbeitung, werde ich argumentieren, dass diese auf einem „erlebnisästhetischen Modell“ (Thomas Anz) emotionaler Kommunikation beruhen, das sich im 18. Jahrhundert in der Abkehr von der Rhetorik herausgebildet hat. Das Modell geht davon aus, dass Emotionen ihre Wirksamkeit dort optimal entfalten, wo sie authentisch durchlebt werden. Ausgeschlossen wird damit die Möglichkeit von reflexiver Distanznahme, von Bedeutungsverschiebungen wie auch des Nicht-Gelingens von Kommunikation. Dabei beruhen die Techniken auf widersprüchlichen Voraussetzungen und auf hegemonialen Asymmetrien. Es fragt sich, ob durch ihren Einsatz der Möglichkeitsraum zwischen Erleben und reflexiver Distanznahme und damit auch der Spielraum des Verhaltens (Bernhard Waldenfels) vereindeutigt und normiert wird. 

Tanja Klankert ist Doktorandin an der Humboldt Universität zu Berlin am Lehr- und Forschungsbereich „Kulturtheorie und Kulturwissenschaftliche Ästhetik“ (Prof. Dr. Iris Därmann). Sie studierte Philosophie und Germanistik sowie Computerlinguistik und Informatik an den Universitäten Heidelberg und Stuttgart und absolviert ein Lehrdiplom für Philosophie und Informatik an der PHBern.