Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
Von der Demokratie zur Diktatur
Karlsruhe 1930-1939
16. November 2016, 18 Uhr
Dr. Ernst Otto Bräunche
Flyer zur Veranstaltung (PDF 220 KB)
Die Stationen der nationalsozialistischen Machteignung in Karlsruhe durch historisches Bildmaterial des Stadtarchivs in den „Gesprächen am Tor“ veranschaulicht
Nach der nationalsozialistischen "Machtergreifung" führten die neuen Machthaber die bedeutendsten Vertreter der zerschlagenen sozialdemokratischen Opposition in einer "Schauffahrt" durch die Karlsruher Innenstadt, um sie dann im nahe gelegenen KZ Kislau in "Schutzhaft" zu nehmen. Diesen vergleichsweise einzigartigen Akt der öffentlichen Herabwürdigung beschrieb Dr. Ernst Otto Bräunche in seinem Vortrag, mit dem er dem im Regionalzentrum Karlsruhe zahlreich erschienenen Publikum den Übergang von der Weimarer Demokratie zur NS-Diktatur im Karlsruhe der 1930er Jahre in Erinnerung rief. Der Leiter von Stadtarchiv & Historische Museen der Stadt Karlsruhe begleitete seine Ausführungen mit beeindruckendem historischen Bildmaterial, anhand dessen er die einzelnen Schritte der nationalsozialistischen Machtaneignung detailliert veranschaulichte. Wie anderswo machte auch in der badischen Gau- und Landeshauptstadt die Gleichschaltung vor keinem Bereich halt, sondern betraf mit dem Ausschluss jüdischer Sportler auch den heimischen Fußball.
Die anschließende lebhafte Diskussion thematisierte vor allem die Ursachen für den Aufstieg des Nationalsozialismus, der in mancher Hinsicht in Karlsruhe eher früher und konsequenter erfolgte als anderswo. Dieser Befund bot auch Anlass, die verbreitete Auffassung vom sprichwörtlichen badischen Liberalismus als traditionellem Bollwerk gegen nationalsozialistische Bestrebungen zumindest in Frage zu stellen; "der Widerstand blieb wenigen überlassen", konstatierte in der Tat der Referent. Auch der Umgang mit dem NS-Erbe im öffentlichen Sektor der Nachkriegszeit wurde in diesem Zusammenhang vom Publikum hinterfragt, auch wenn Karlsruhe diesbezüglich zumindest im Justizbereich einige positive Entwicklungen aufweisen kann (siehe den Vortrag Detlev Fischers vom 20.05.2015 in den "Gesprächen am Tor").
In der Bilanz zeigte die Veranstaltung, dass etliche Fragen zum Thema des Nationalsozialismus und Zweiten Weltkriegs im Rahmen der Karlsruher Stadtgeschichte noch weiterer Forschung bedürfen - die man sich nicht zuletzt auch vom Stadtarchiv erhoffen darf, das sich auf diesem Gebiet schon auf so vielfältige Weise, etwa mit dem "Gedenkbuch für die Karlsruher Juden", verdient gemacht hat.
Ernst Otto Bräunche, geb. 1954, ist seit 1985 Leiter des Stadtarchivs, seit 1998 Leiter von Stadtarchiv & Historische Museen der Stadt Karlsruhe. Er ist u. a. Vorsitzender der Bundeskonferenz der Kommunalarchive beim Deutschen Städtetag und stellvertretender Vorsitzender des Südwestdeutschen Arbeitskreises für Stadtgeschichtsforschung. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Parteien- und Wahlgeschichte sowie die südwestdeutsche Stadt- und Landesgeschichte.
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