Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
Karlsruhe und Elsass-Lothringen seit 1871
Die Geschichte einer wechselhaften Nachbarschaft
10. April 2019, 18 Uhr
Dr. Peter Pretsch
Flyer zur Veranstaltung (PDF 992 KB)
Von „Erzfeinden“ zu Freunden: Karlsruhe und seine linksrheinische Nachbarschaft
Im Rahmen eines trinationalen Netzwerkprojekts von 30 oberrheinischen Museen zur „Zeitenwende 1918/19“ dokumentierte das Stadtmuseum Karlsruhe 2018/19 in einer Sonderausstellung die Beziehungen Karlsruhes und Elsass-Lothringens seit 1871. Begleitend zur Ausstellung berichtete deren Kurator, Dr. Peter Pretsch, zugleich Leiter des Stadtmuseums Karlsruhe, in den „Gesprächen am Tor“ über die wechselhafte Geschichte dieser traditionsreichen Nachbarschaft.
In seinem durch zahlreiche Abbildungen untermalten Vortrag veranschaulichte der Referent die Beziehungen Karlsruhes zur Region jenseits des Rheins seit der Gründung des deutschen Kaiserreiches. Dabei ließ er zahlreiche Ausstellungsstücke (Gemälde, Plastiken, Schriftdokumente) Revue passieren, die sowohl das seit dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 sich steigernde Spannungsverhältnis als auch die intensiven Wirtschaftsbeziehungen und den kulturellen Transfer zwischen Elsass-Lothringen und der badischen Metropole dokumentierten. So machte Dr. Peter Pretsch auf die überraschende Ähnlichkeit der Propagandakunst auf beiden Seiten etwa während des Ersten Weltkrieges aufmerksam. Auch arbeitete er die Karlsruher Bezüge zahlreicher städtebaulicher Initiativen im Straßburg der deutschen „Reichslandperiode“ heraus. Die intensiven Handelsbeziehungen, die sich mit Karlsruher Unternehmerpersönlichkeiten wie Raab Karcher oder der Knopf-Familie verbanden, rissen 1918 mit dem Verlust Elsass-Lothringens ab. Die aus dem „Reichsland“ vertriebenen „Altdeutschen“ kamen auch in Karlsruhe unter, wo sie auf Druck einer der ersten deutschen Vertriebenenorganisationen im sog. „Elsässerblock“ in der Weiherfeld-Siedlung eine zum Teil bis heute bewohnte neue Heimat fanden. Die folgenreichste Zäsur im Verhältnis zwischen Karlsruhe und Elsass-Lothringen bildete zweifellos die deutsche Besatzung unter dem Gauleiter Robert Wagner während der NS-Zeit: Insbesondere die Zwangsrekrutierung von Elsässern in die deutsche Wehrmacht hat bis heute Narben im kollektiven Gedächtnis hinterlassen – trotz der in der unmittelbaren Nachkriegszeit noch zaghaften, dann aber zunehmend intensivierten Wiederanknüpfung der beiderseitigen Beziehungen. Diese gipfelten in der mit dem Elysée-Vertrag von 1963 beschworenen und im Vertrag von Aachen 2019 erneuerten deutsch-französischen Freundschaft, der sich Karlsruhe mit seinen Partnern jenseits des Rheins bis heute besonders verpflichtet fühlt.
Das zahlreich erschienene Publikum vertiefte in der anschließenden Diskussion einige Einzelaspekte des Themas. Einig war man sich über die kaum zu heilende Zäsur der deutschen Übergriffe in Elsass-Lothringen während der NS-Zeit, die es in der heutigen Partnerschaft immer mit zu berücksichtigen gilt. Im Zusammenhang mit dieser Zäsur stellte sich auch die Frage nach dem historischen Werdegang und heutigen Stellenwert des elsässisch-lothringischen Sonderbewusstseins – ein sicherlich komplexes Thema, das eine künftige gesonderte Ausstellungsinitiative wünschenswert erscheinen lässt.
Peter Pretsch studierte Geschichte und Kunstgeschichte und ist seit mehr als drei Jahrzehnten Stadtarchiv & Historischen Museen der Stadt Karlsruhe verbunden. Als Leiter des Stadtmuseums hat er zahlreiche Veröffentlichungen zur Karlsruher Stadtgeschichte vorgelegt und zeichnet nicht nur für die vielen Sonderausstellungen der letzten Jahre, sondern auch für die Neukonzeption der Dauerausstellung und des Museums verantwortlich. Im Rahmen eines aktuellen Projekts des trinationalen Netzwerkes Museen hat Peter Pretsch die 2018/19 im Stadtmuseum Karlsruhe laufende Ausstellung „Zeitenwende 1918/19: Karlsruhe und Elsass-Lothringen“ kuratiert.
Ausstellung im Stadtmuseum Karlsruhe: