Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur
Friedrich Eberts Platz in der deutschen Geschichte -
eine Zwischenbilanz zum 150. Geburtstag
3. Februar 2021, 18 Uhr
Prof. Dr. Bernd Braun
Flyer zur Veranstaltung (PDF 988 KB)
Die sich wandelnde Beurteilung einer historischen Figur im Takt der Systemwechsel
Das erste demokratisch gewählte Staatsoberhaupt in der deutschen Geschichte galt seinen Zeitgenossen als äußerst umstrittene politische Figur. Während Friedrich Ebert (1871-1925) von linker Seite als „Arbeiterverräter“ und von rechts als „Novemberverbrecher“ beschimpft wurde, betrachtete die republikanisch gesinnte Mitte den ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik als „grundangenehmen Mann“ und „Bürger unter Bürgern“ (Thomas Mann). Immerhin eine Million Menschen nahm 1925 in Berlin an den Trauerfeierlichkeiten des „mitten im Amt“ verstorbenen Staatsoberhaupts der ersten deutschen Demokratie teil. Die unmittelbar danach einsetzende Memorialkultur war Gegenstand der Zwischenbilanz, die Prof. Dr. Bernd Braun (Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg) anlässlich des 150. Geburtstags Friedrich Eberts zu dessen sich wandelndem Bild in der deutschen Geschichte vorlegte.
Entlang der politischen Systemwechsel von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus zu den beiden deutschen Staaten und schließlich zum vereinigten Deutschland machte der Referent den Wandel in der Beurteilung dieser historischen Persönlichkeit verständlich. Das NS-Regime beseitigte nicht nur die öffentlich sichtbaren Zeichen der Memorialkultur um Friedrich Ebert, sondern verfolgte dessen Familie, vernichtete die historischen Quellen und Zeitzeugen. In der westdeutschen Nachkriegszeit knüpfte man an die Würdigung und Memorialkultur der Weimarer Zeit wieder an, was aber unter Distanzierung von der gescheiterten ersten Demokratie geschah und stark vom NS-Gedenken überlagert wurde. Auch rückte 1968 mit dem 50. Jahrestag der Novemberrevolution und im Zuge der Studentenbewegung die These vom Verrat an der Revolution (Sebastian Haffner) in der öffentlichen Auseinandersetzung mit der historischen Bedeutung Friedrich Eberts in den Vordergrund. Als beispielhaft für diese undifferenzierte kritische Haltung führte Bernd Braun die sich formierende Partei der GRÜNEN ins Feld, in deren Beurteilung Ebert „für das Reich ein Held, für die Demokratie eine Flasche“ gewesen sei (Reinhard Bütikofer). Umgekehrt verhinderte in der DDR das Gesellschafts- und Staatsverständnis in der Tradition Karl Liebknechts und Rosa Luxemburgs weitgehend eine Anknüpfung an die Memorialkultur. Seit der deutschen Wiedervereinigung stehen mit dem Bedeutungsverlust sozialrevolutionärer und kommunistischer Gesellschaftsvorstellungen die Hauptkritikpunkte gegen Friedrich Ebert nicht mehr im Vordergrund. Nur der Gewaltvorwurf spielt im Zusammenhang mit der von ihm mitverantworteten militärischen Niederschlagung linker Aufstandsbewegungen wie etwa des Spartakusaufstands im Januar 1919 in Berlin nach wie vor auch in der Forschung (Mark Jones) eine Rolle. So konnte Bernd Braun seinen Vortrag mit dem Fazit schließen, dass Friedrich Ebert jüngst so positiv beurteilt werde wie noch nie.
Die anschließende Diskussion erörterte im parteigeschichtlichen Kontext die Frage, inwieweit sich das wandelnde Geschichtsbild Friedrich Eberts auch im parteiinternen Diskurs der SPD widerspiegelte. Auch sein Staats- und Verfassungsverständnis zwischen Kaiserreich und Republik wurde ausführlich thematisiert. Diesbezüglich interessierte auch der Zusammenhang zur ordnungspolitischen Annäherung an reaktionäre Militärkreise.
Bernd Braun, geb. 1963, Prof. Dr., wurde mit einer Biographie über den Sozialexperten der SPD-Reichstagsfraktion im Kaiserreich, Hermann Molkenbuhr, promoviert. Seit 1999 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter und seit 2009 stellvertretender Geschäftsführer der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte Heidelberg. Als Historiker forscht und lehrt er zur Geschichte der Weimarer Republik, des Parlamentarismus, der Arbeiterbewegung, Badens sowie Cubas und Italiens.
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