Statement von Prof. Dr. Ada Pellert

Foto: Volker Wiciok

Bildungseinrichtungen haben eine zweifache Aufgabe: Sie stehen institutionell sowohl für Gesellschaftsdistanz als auch Gesellschaftsrelevanz. In jedem Fall müssen sie durchlässig zur Gesellschaft sein. Denn das ist auch eine wichtige Voraussetzung, um gesellschaftliche Prozesse kritisch zu reflektieren. Derzeit beobachten wir tiefgreifende gesellschaftliche Transformationsprozesse, die auch den Bildungsbereich massiv berühren. Wir brauchen daher Konzepte, die ein Verständnis von Lernen zum Ausdruck bringen, das uns Orientierung für die sich verändernde Welt um uns gibt. Dazu wird es nötig sein, sich von alten Denkstrukturen zu lösen, um den Kopf frei zu haben für das Konzept des New Learning.

Die Maxime lautet dabei, Lernen zu den Lernenden zu bringen, statt – wie bisher – Menschen in die Bildungsinstitution. Denn Lernen geht von den einzelnen Lernenden aus, sie gehören ins Zentrum des Lernens. Damit Menschen gut lernen, muss Lernen so weit wie möglich personalisiert und individualisiert werden. Die Hochschulen müssen also Lernprozesse höchst unterschiedlicher Individuen berücksichtigen, in unterschiedlichen Lebenssituationen und -phasen. Dabei helfen uns die digitalen Möglichkeiten. Eine professionelle Gestaltung von Lehr-Lernarrangements ist allerdings ein anspruchsvoller, arbeitsteiliger Prozess mit unterschiedlich spezialisierten Rollen.

Deutschland liegt im internationalen Vergleich weit abgeschlagen im Bereich der Digitalisierung im Bildungsbereich – Corona hat es für alle deutlich gemacht. Die Aufmerksamkeit darauf und den Problemdruck sollte man nun nutzen, um direkt zum Kern der Sache vorzudringen: ZUERST über das adäquate Lernparadigma nachdenken und DANN die technologischen Möglichkeiten daraufhin anpassen, und nicht andersherum. Wenn uns dieser Ansatz des New Learning gelingt, können wir verlorene Jahre wieder aufholen und zugleich unser Bildungssystem inhaltlich modernisieren. Dazu ist nun aber auch ein kräftiger Rückenwind der Politik angesagt. Zur Bewältigung der vor uns stehenden großen Transformationsprozesse müssen gesellschaftliche Lernprozesse auf vielen Ebenen gestaltet werden. Das ist keine Aufgabe, die man einzelnen, jetzt schon heillos überforderten Kultusministerien überlassen kann. Der deutsche Bildungsbereich ist fragmentiert, bürokratisiert, stark rechtlich reguliert und schwerfällig in der Governance und den Abstimmungsstrukturen. Das Thema Lernen rückt nun aber ins Zentrum der politischen Krisenbewältigungsmöglichkeiten. Daher braucht es einen Schulterschluss vieler politisch Handelnder und eine nationale Strategie des Lernens.


Über Prof. Dr. Ada Pellert

Prof. Dr. Ada Pellert ist seit März 2016 Rektorin der FernUniversität in Hagen, seit September 2016 Vorsitzende der Kooperationsplattform Digitale Hochschule NRW und seit August 2018 Mitglied des Digitalrates der Bundesregierung. Zuvor hat sie als Professorin in der Organisationsentwicklung und im Bildungsmanagement geforscht.

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