Fernlehre Mathematik: Ein Crashkurs

Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie finden im Sommersemester 2020 voraussichtlich an den meisten Universitäten keine Präsenzvorlesungen und Präsenzseminare statt. Für viele Dozentinnen und Dozenten stellt sich also die Frage: Wie unterrichtet man eigentlich Mathematik ohne Präsenzveranstaltungen? Die gute Nachricht: Es ist möglich! Die FernUniversität in Hagen bietet seit 1975 Fernlehrveranstaltungen an und Mathematik war einer der ersten Fachbereiche der FernUniversität.

Die FernUniversität stellt im Moment über die "offene FernUniversität" einige Fortbildungsmaterialen zur Fernlehre offen zur Verfügung. Darunter einen Kurs über die "mediendidaktischen Grundlagen". Auf dieser Seite will ich versuchen ein paar Anregungen zu sammeln, wie man Mathematik aus der Ferne lehren kann.

Einstieg: Wie funktionieren Fernlehrveranstaltungen an der FernUniversität in Hagen?

Ein Kurs über Mathematik an der FernUniversität basiert immer auf einem ausführlichen Lehrtext. Die Lehrtexte sind umfangreich und ähneln eher einem Lehrbuch und weniger einem Vorlesungsskript. Der Lehrtext enthält nicht nur den Inhalt des Kurses, sondern auch ergänzende Teile, die das Studium unterstützen sollen, z.B. Studierhinweise (eine Art Leitfaden), einen ausführlichen Index, ein Glossar, Aufgaben mit Lösungen oder Fragen zur Selbstkontrolle. Im Idealfall sollten die Studierenden also wirklich in der Lage sein, den Text alleine durchzuarbeiten.

Betreut werden Kurse über eine zugehörige Online-Lehrplattform. Dort gibt es weitere Materialien: typischerweise Übungsblätter und Videos. Es gibt auch die Möglichkeit über Diskussionsforen Fragen zu stellen. Die Übungsaufgaben heißen an der FernUniversität "Einsendeaufgaben", denn sie wurden (und werden teilweise noch) per Post eingesendet. In den meisten Fällen kann man die Übungsaufgaben aber auch als PDF-Datei hochladen. Die Aufgaben werden dann (wie an einer Präsenzuniversität) korrigiert und zurückgegeben. An der FernUniversität basiert übrigens alles auf einem 2-Wochenrhythmus, was wahrscheinlich logistischen Herausforderungen beim Postversand geschuldet ist.

Dann gibt es, je nach Kurs, noch Angebote mit Kontakt zwischen Studierenden und Lehrenden. In Online-Lehrveranstaltungen (virtuelle Studientage, Online-Tutorium, o.ä.), die über ein geeignetes Werkzeug als e-Meeting organisiert sind, werden Inhalte wiederholt oder anhand von Aufgaben vertieft. Ein wichtiger Aspekt ist, dass hier die Möglichkeit besteht, Fragen zu stellen. Manche Professoren bieten auch eine Online-Sprechstunde an. Vollständig aus der Ferne muss man an der FernUniversität aber nicht studieren. Zu den meisten Kursen gibt es auch ein oder zwei Präsenzveranstaltungen (Studientage).

Fernlehre jetzt! Anregungen zum schnellen Einstieg.

Anhand der obigen Beschreibung ist es nicht verwunderlich: Es ist viel Aufwand Material für einen Fernlehrkurs zu erstellen. Daher wird man diesen Ansatz wahrscheinlich nicht direkt übernehmen können, wenn man es eilig hat. Es stellen sich also vor allem zwei Fragen:

Lehrtext

In der Mathematik scheint es mir wirklich schwierig vollständig ohne einen Lehrtext auszukommen. Die Definitionen und Sätze müssen in nachschlagbarer Form irgendwo aufgeschrieben sein. Der Lehrtext ist also wichtig, aber einen ausführlichen Lehrtext kann man natürlich nicht in einem Semester schreiben. Was für Alternativen gibt es also?

Mit etwas Glück gibt es schon ein Skript zur Vorlesung vom letzten Jahr. In diesem Fall könnte man einige Ergänzungen vornehmen, die das Selbststudium erleichtern. Dabei sollte man im Hinterkopf haben, dass es beim Selbststudium schwerer fällt, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.

  • Studierhinweise: Beschreiben Sie am Anfang eines Kapitels wie man vorgehen könnte, um den Inhalt zu erarbeiten. Was ist wichtig in diesem Kapitel? Was ist eher ein technisches Detail und kann erst beim zweiten Lesen beachtet werden? Gibt es ein Beispiel, dass man in jedem Fall verstehen muss, um den Rest eines Abschnittes zu verstehen?
  • Wichtige Sätze und Definitionen hervorheben: Wenn man den Inhalt nicht schon vollständig verstanden hat, ist es einem mathematischen Text schwer anzusehen was wirklich wichtig ist. Visuelle Hervorhebungen sind eine wichtige Unterstützung.
  • Einfache Beispiele: In vielen Skripten werden einfache Beispiele ausgelassen. Sie helfen aber ungemein eine Definition zu verstehen. Also keine Angst vor trivialen Beispielen!
  • Aufgaben zur Selbstkontrolle: Habe ich diesen Abschnitt nur gelesen oder auch verstanden? Kleine einfache Aufgaben sind hilfreich, damit die Studierenden selbst ein Gefühl dafür bekommen, ob sie etwas Wichtiges übersehen haben.

Und falls man kein Skript zum Kurs hat? In diesem Fall kann man sich an einem geeigneten Lehrbuch orientieren. Im besten Fall eines, das als eBook kostenfrei in der Bibliothek zur Verfügung steht. Auch hier kann man zusätzlich Studierhinweise, einfache Beispiele oder Aufgaben zur Selbstkontrolle bereitstellen.

Videos

Videos sind (im Vergleich zu einem Lehrtext) relativ schnell zu erstellen und damit sicherlich ein wichtiger Baustein für jeden Fernlehrkurs, der unter Zeitdruck entsteht.
Der wichtigste Tipp: kurze Videos eignen sich besser als lange! Es gibt keinen Grund eine 90-minütige Vorlesung zu filmen. Kurze Videos haben viele Vorteile:

  1. Der Inhalt ist leichter anzusteuern, wenn man Videos zu kleinen thematischen Blöcken macht. Studierende können also gezielt Inhalte wiederholen oder überspringen.
  2. Flexible Nutzung: Die Studierenden teilen sich Ihre Zeit selbstständig ein. Es ist leichter eine halbe Stunde einzuplanen, als 90 Minuten.
  3. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer lässt nach 30 Minuten stark nach.
  4. Die Aufmerksamkeit des Vortragenden lässt nach 30 Minuten stark nach, sodass mehr Versprecher und Denkpausen gefilmt werden.

Kurze Aufnahmen haben noch einen weiteren Vorteil bei der Produktion: Falls einem ein schwerer Patzer unterläuft, kann man (ohne viel Zeitverlust) einen neuen Versuch starten. Eine kleine Anzahl von Versprechern und Denkpausen ist natürlich kein Problem. Trotzdem ist es hilfreich sich sehr genau zu überlegen, was man sagen will. An der FernUniversität arbeiten wir bei machen Videos mit Telepromter -- dazu muss man sogar wörtlich aufschreiben, was man sagen will. Ich glaube, dass es auch allgemein Aufnahmen verbessert, wenn man sich möglichst genau notiert, was man sagen möchte.

Zwei einfache Vorschläge, wie man Filme erstellen kann.

Das Hörsaal-Tafel Video: Viele Hörsäle sind mit Technik zum Aufzeichnen von Vorlesungen ausgestattet. Hat man Zugriff auf einen solchen Hörsaal, dann kann man wie gewohnt einen Vortrag an der Tafel halten und sich dabei filmen. Dabei muss man natürlich unbedingt auf einen sauberen Tafelanschrieb achten und deutlich sprechen. Gestik und Bewegungen wirken übrigens im Video immer etwas stärker als in echt. Deshalb kann man gerne etwas ruhiger arbeiten und muss nicht wie in einer Vorlesung von einer Tafel zur nächsten filtzen.

Die Homeoffice-Alternative: Auch von zu Hause aus kann man mit relativ geringem Aufwand Lehrvideos herstellen. In der einfachsten Version zeichnet man einen Bildschriminhalt auf und spricht dazu eine Tonspur ein. An der FernUniversität verwenden viele "Camtasia". Eine Fortbildung dazu ist in der offenen FernUniversität frei zugänglich (Einschreibeschlüssel: extern2020). Der aufgezeichnete Bildschirminhalt kann beispielsweise eine LaTex-Beamer Präsentation sein. Möchte man lieber wie mit einer Tafel arbeiten, dann kann man ein Tablet mit Stift verwenden und den Schreibvorgang aufnehmen. Alternativ: Man nimmt sich Zettel und Stift und zeichnet den Schreibvorgang mit einer Dokumentenkamera auf.

Bei diesen Filmen ist man also nicht im Bild zu sehen. Falls einem das wichtig ist, kann man zusätzlich auch das Bild der Webcam aufnehmen lassen.

Fragen stellen?!

Zum Schluss braucht man noch eine Möglichkeit, wie Studierende Fragen stellen können. Zum einen kann man dazu ein Diskussionsforum einrichten. Das hat den Vorteil, dass Studierende auch untereinander in Kontakt kommen und sich gegenseitig unterstützen können. Es gibt aber auch einen Nachteil: Viele Fragen eignen sich schlecht dafür schriftlich gestellt und beantwortet zu werden ("Wie kann ich mir die Faktorgruppe vorstellen?"). Solche Fragen werden typischerweise eher in den Übungsgruppen und Tutorien gestellt. In der Fernlehre kann man dazu ein Online-Tutorium als e-Meeting abhalten, z.B. über Adobe Connect oder Zoom. Auf Wikipedia findet man eine Liste mit Anbietern von Webkonferenztools.

Es ergibt in meinen Augen wenig Sinn, die abzugebenden Übungsaufgaben in einem Online-Tutorium vorzurechnen. Eine ausfühliche Musterlösung ist wahrscheinlich einfacher zu erstellen und hilfreicher. In meinem Online-Tutorium bespreche ich beispielsweise zusätzliche Aufgaben und plane dabei viel Zeit für Fragen ein - dabei können natürlich auch Fragen zu den Übungsaufgaben gestellt werden.

Ein paar Anmerkungen

Seminare sind an der FernUniversität oft Blockseminare am Ende des Semesters. Mit etwas Glück können im Juni wieder Lehrveranstaltungen stattfinden. Seminare können aber auch als e-Meetings orgsanisiert werden. Dabei ist es praktisch, wenn die Vorträge als PDF-Präsentationen vorbereitet werden müssen und dazu nur der Ton gestreamt wird. Dabei spart man etwas Bandbreite im Vergleich zu einem Video. Typischerweise muss zu jedem Seminarvortrag auch eine Ausarbeitung erstellt werden. An dieser Ausarbeitung kann man sich bei der Bewertung orientieren, auch wenn es beim Vortrag technische Probleme gibt.

Barrierefreiheit ist in der Fernlehre übrigens ein wichtiges Thema. Man sollte sich bewusst sein, dass nicht alle Medien von allen Personen gleichermaßen genutzt werden können. Dabei gibt es viele zusätzliche Maßnahmen die man treffen kann (z.B. Videos untertiteln, ...). In der Mathematik ist Barrierefreiheit aber eine wirklich komplizierte Angelegenheit. Ich kenne leider keine gute Möglichkeit, wie man Formeln über verschiedene Sinne zugänglich machen kann.


Steffen Kionke

E-Mail: steffen.kionke

Steffen Kionke | 08.04.2024