Veranstaltungen

Die Rolle von Experten in Verfassungsverhandlungen

Termin: 24.09.2010

Ort: Arcadeon – Haus der Wissenschaft und Weiterbildung Lennestr. 91, 58093 Hagen

Symposion


Veranstalter:

FernUniversität in Hagen
Institut für Europäische Verfassungswissenschaften (IEV)

  • 10.00 Uhr

    Begrüßung
    Prof. Dr. Andreas Haratsch, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität in Hagen
    Prof. Dr. Peter Brandt, Direktor des Institus für Europäische Verfassungswissenschaften

    10.15 Uhr

    Einführung in die Thematik
    Prof. Dr. Arthur Benz

    10.30 Uhr

    Erster Teil: Experten in Verfassungsverhandlungen - Erfahrungsberichte und Reflexionen

    Der Einfluss wissenschaftlicher Beratung auf die Arbeiten des Europäischen Konvents - Eine politische Einschätzung
    Prof. Dr. Klaus Hänsch, Präsident des Europäischen Parlaments a.D., Erkrath

    Diskussionsleitung: Prof. Dr. Peter Brandt, Hagen

    12.00 Uhr - Gemeinsames Mittagessen

    13.00 Uhr

    Experten in der Reform des NFA in der Schweiz
    Prof. Dr. René L. Frey, Basel

    Experten in der Föderalismusreform I und II in Deutschland
    Prof. Dr. Wolfgang Renzsch, Magdeburg

    Diskussionsleitung: Prof. Dr. Dr. h.c. Thomas Fleiner, Fribourg

    14.30 Uhr - Pause

    14.45 Uhr

    Der Einfluss von Experten in der österreichischen Bundesstaatsdiskussion
    Univ.-Doz. Dr. Peter Bußjäger, Innsbruck

    Der Einfluss von Experten im Österreich-Konvent - wie relevant war die parteipolitische Einbindung?
    Prof. Dr. Klaus Poier, Graz

    Methoden und Verfahrensweisen zur Bereitstellung wissenschaftlicher Beratung für den Europäischen Konvent
    Dr. Dietmar Nickel, Brüssel

    Diskussionsleitung: Prof. Dr. Peter Schiffauer, Hagen / Brüssel

    16.15 Uhr - Pause

    16.30 Uhr

    Zweiter Teil: Vergleichende Analysen

    Experten in Verfassungsreformen
    Prof. Dr. Ulrich Sarcinelli / Timo Werner M.A., Landau

    Die Rolle von Beratern in der Schweizerischen Verfassungsreform
    Raffael Himmelsbach, Lausanne

    Experten im Devolution-Prozess im Vereinigten Königreich
    Prof. Dr. Charlie Jeffery, Edinburgh

    Diskussionleitung: Prof. Dr. Arthur Benz, Hagen

    18.00 Uhr

    Abschlussdiskussion

    Diskussionsleitung: Prof. Dr. Arthur Benz, Hagen

    18.30 Uhr

    Abschlussimbiss

  • Fachleute in Verfassungsverhandlungen

    IEV-Symposion beleuchtete Rolle von Expertinnen und Experten bei Verfassungsreformprozessen

    Expertinnen und Experten spielen bei Verfassungsreformen eine große Rolle. Auch wenn ihre Bedeutung unbestritten ist, kann sie im Einzelfall doch sehr stark variieren. Beim Symposium des Instituts für Europäische Verfassungswissenschaften (IEV) am 24. September in Hagen wurde das Mitwirken von Fachleuten in Prozessen der Verfassungsreform näher beleuchtet.

    In ihren Eröffnungsworten erinnerten Prof. Dr. Andreas Haratsch, Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität und Stellvertretender Direktor des IEV, und Prof. Dr. Peter Brandt, Direktor des IEV, zunächst an Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Dimitris Th. Tsatsos. Der Ehrendirektor des Instituts war im April dieses Jahres verstorben. „Sein Tod hat eine große Lücke gerissen“, stellte Haratsch dessen Bedeutung klar heraus. Zudem richteten sie ihren Dank auch an Prof. Dr. Arthur Benz, der zum 1. Oktober an die TU Darmstadt wechselte: „Er hat sich stets für das Institut engagiert.“

    „Fast keine Verfassungsreform kommt ohne Fachleute zustande“, führte Benz in die Thematik ein. Ihr Erfolg sei jedoch nur schwer zu bewerten, da die Politikberatung durch Expertinnen und Experten in sehr unterschiedlichen Formen stattfinden kann. So können sie in Gremien sitzen und moderieren oder einzelne Politiker persönlich beraten. Auch der Zeitpunkt, zu dem sie aktiv werden, kann sehr stark variieren: Sowohl in der frühen Phase der Formulierung als auch bei der Evaluation einer bestehenden Ordnung kann das Wissen von Fachleuten gefragt sein.

    Während des Symposiums vermittelten Politiker und Wissenschaftler, die an Verfassungsberatungen in der Schweiz, in Österreich, in Deutschland und an den Arbeiten des Europäischen Konvents beteiligt waren, einen Einblick in ihre Tätigkeiten. Allen voran gab Prof. Dr. Klaus Hänsch, Präsident des Europäischen Parlaments a.D., eine politische Einschätzung zum Einfluss wissenschaftlicher Beratung auf die Arbeiten des Europäischen Konvents. Darüber hinaus wurden Ergebnisse neuerer wissenschaftlicher Untersuchungen zum Thema vorgestellt und diskutiert.

    Carina Grewe 8.10.2010

  • IEV – Symposion 2010 – Die Rolle von Experten in Verfassungsverhandlungen

    Das diesjährige Symposion des Instituts für Europäische Verfassungswissenschaften (IEV) der FernUniversität in Hagen am 24. September 2010 stand unter dem Titel „Die Rolle von Experten in Verfassungsverhandlungen“.

    In seiner Begrüßungsrede hob der Dekan der Rechtswissenschaftlichen Fakultät, Andreas Haratsch, die Bedeutung des IEV, als einer der „Forschungsleuchttürme“ der beteiligten Fakultäten, hervor. Zudem würdigte er den kürzlich verstorbenen Begründer und Ehrendirektor des Instituts Dimitris Th. Tsatsos, der entscheidend an der Gründung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der FernUniversität beteiligt war. Der Direktor des IEV, Peter Brandt, griff die Ausführungen seines Vorredners auf. Er machte darauf aufmerksam, dass das Institut am 6. und 7. Mai 2011 ein Symposion zu Ehren des verstorbenen Institutsgründers Dimitris Th. Tsatsos veranstalten werde, das seinem Leben und Werk als europäischer Wissenschaftler und Politiker gewidmet sei. Er betonte, dass das interdisziplinäre IEV die Disziplinen nicht einebnen wolle. Im Vordergrund der Institutsarbeit stünde die Erforschung und wissenschaftliche Begleitung der Europäischen Verfassung.

    Arthur Benz wies in der Einführung darauf hin, dass das Thema der Tagung ausgesprochen wichtig, aber immer noch etwas „unterbelichtet“ sei. Zwischen den an Verfassungsreformen beteiligten Experten und Politikern bestünde ein höchst interessantes Verhältnis von Konflikt und Kooperation.

    Klaus Hänsch eröffnete den ersten Teil des Symposions mit einem Impulsvortrag und einer politischen Einschätzung zum Einfluss wissenschaftlicher Beratung auf die Arbeiten des Europäischen Konvents. Er sprach ausdrücklich nicht in der Rolle eines Experten, sondern als ehemaliges Präsidiumsmitglied des Konvents. Nachdem er den Aufbau und die innere Struktur des Konvents erläutert sowie die Rolle von Experten in seiner Arbeit skizziert hatte, erinnerte er am Beispiel des Penelope-Entwurfs von Romano Prodi daran, dass trotz der Beteiligung von Sachverständigen dieser inoffizielle Verfassungsvorschlag als „Flopp, Versager und Desaster“ ohne Einfluss geblieben war. Er kam zu dem Ergebnis, dass eine Expertenberatung weder im Interesse der Politik noch der Wissenschaft lag. Die Rechtswissenschaft sei eher an Ergebnissen als am Zustandekommen des Vertrages interessiert gewesen.

    In der anschließenden Diskussion stand die Frage im Raum, ob die Arbeit des Konvents auf rein fachlichen Erwägungen beruhte oder auch ideologisch geprägt war. Klaus Hänschbetonte, dass die sachliche und zielorientierte Argumentation im Vordergrund stand. „Wir haben nicht verhandelt, sondern es wurde diskutiert bis zum Konsens, bis es keinen nennenswerten Widerspruch mehr gegeben hat“, so Hänsch. Peter Schiffauer machte deutlich, dass seiner Meinung nach deutlich zwischen Experten und wissenschaftlicher Beratung zu trennen sei. Der Einfluss wissenschaftlicher Beratung sei schwieriger nachzuweisen als der Einfluss durch Experten.

    Auf dem zweiten Podium referierte René L. Frey anschließend zum Thema „Experten in der Reform des Neuen Finanzausgleichs (NFA) in der Schweiz“. Nach einem kurzen Überblick über den Ablauf der Reform des Finanzausgleichs und den Inhalt des Neuen Finanzausgleichs definierte er den Begriff des Experten. Unter Experten versteht Freywissenschaftliche neutrale Experten und meint damit Professoren, die lehren, forschen und beraten. Im Weiteren ging er auf die Fragestellungen ein, welche Erwartungen sich an Experten richten, in welcher Weise sie an den Beratungen mitwirken, über welche Rechte und Handlungsspielräume sie dabei verfügen und welchen Restriktionen sie unterliegen. Ein Beispiel hierfür bildet das Einhalten von Anstandsregeln, wie das Bewahren von Diskretion. Zum Ende führte er aus, dass die Mitwirkung von Experten nicht im Widerspruch zur demokratischen Legitimation von Verfassungsreformen stehe und es nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht der Politik sei, diese in den Reformprozess mit einzubeziehen.

    Mit „Experten in der Föderalismusreform I und II in Deutschland“ befasste sich im Folgenden Wolfgang Renzsch. Zu Beginn hob er hervor, dass in der politischen Praxis die nicht interessengeleitete Beratung ausgesprochen selten sei. Der Regelfall sei die interessengeleitete Beratung, weil davon ausgegangen werde, dass der Experte bestimmte Erwartungen bestätigt. Seine persönlichen Erfahrungen mit der Verwaltung und den Beamten hätten jedoch gezeigt, dass Experten nicht nur Sprachrohr seien. Er habe viel von Beamten gelernt; allerdings schätze er es, dass Experten quer denken würden. In erster Linie hätten Experten Legitimationsfunktion für politische Entscheidungen, könnten diesen Prozess aber zugleich auch befruchten.

    Unter der Leitung von Thomas Fleiner entwickelte sich eine lebhafte Diskussion über den spezifischen Typus von Experten. Arthur Benz fiel dabei auf, dass in der Schweiz die Beratung für die Exekutive erfolgt sei. Dies sei wichtig für die spezifische Unabhängigkeit der Experten gewesen. Er warf die Frage auf, ob dies anders wäre, wenn es auch eine Beratung für die Legislative, also für Parteien, gäbe.

    Kritisch äußerte sich Peter Bußjäger auf dem dritten Podium zur mittlerweile starken Stellung von Experten in der österreichischen Bundesstaatsdiskussion. Nach einem Rückblick über die letzten 50 Jahre, in denen der Einfluss der Experten sich stetig vergrößerte, kam er zu dem abschließenden Befund, dass die Politik sich mittlerweile auffallend zurückgezogen habe und das Feld den Experten überlasse. Deren Erfolge seien aber bislang bescheiden geblieben. Ihre konkrete Handschrift finde sich nur selten in den konkreten Ergebnissen wieder. Deswegen dürfe die Politik nicht glauben, dass Experten deren Arbeit erledigen könnten. Experten könnten lediglich Hilfestellung leisten. Die zentrale politische Aufgabe, Entscheidungsfindung und Kommunikation verbleibe bei der Politik.

    Zur Rolle von Experten im Österreich-Konvent und ihre parteipolitische Relevanz referierte Klaus Poier. Die Experten hätten innerhalb dieses Prozesses einen Hauptteil der Arbeit gehabt und über große Handlungsräume verfügt. Die dominierende Rolle hätten dabei die Juristen eingenommen. Letztendlich habe sich jedoch auch hier die in Österreich herrschende Parteiendominanz niedergeschlagen. Vordergründig habe ein pragmatisches Modell geherrscht, im Hintergrund aber hätten die Spitzen der Parteien die Fäden gezogen. Der Einfluss der Experten sei von dem Grad der Bindung an die Entscheidungsträger beziehungsweise deren Vertrauen in sie abhängig gewesen.

    Dietmar Nickel knüpfte mit seinem Vortrag „Methoden und Verfahrensweisen zur Bereitstellung wissenschaftlicher Beratung für den Europäischen Konvent“ an das Referat von Klaus Hänsch an. Im Post-Nizza-Prozess sei allen Beteiligten klar geworden, dass neue Methoden, wie die verstärkte Einbeziehung von Experten, notwendig geworden seien. Es sei jedoch nicht gelungen, die Initiativfunktion von Experten in die praktische Arbeit des Konvents zu überführen. Sie hätten weder die Rolle des Feigenblatts gespielt noch die politische Legitimationsfunktion gehabt.

    Der Gedanke der Juristendominanz unter den Experten und innerhalb der wissenschaftlichen Rezeption gegenüber der Zurückhaltung der Politikwissenschaftler war Gegenstand der folgenden Diskussion. Auch die starke parteipolitische Einbindung von Beratern in Österreich wurde kritisch hinterfragt.

    Unter der Fragestellung „Können Bürger in eigener Sache Experten sein?“ referierten zu Beginn des zweiten Teils des Symposions Ulrich Sarcinelli und Timo Werner zu „Politikberatung in Verfassungsreformen“. Im Rahmen der kommunalen Verwaltungsreform Rheinland-Pfalz hatten sie insbesondere die Rolle von Bürgern als Berater untersucht. Ihre Auswertung ergab, dass dieses Modell gut funktioniere. Mittlerweile habe auch die Politik, nach anfänglicher Skepsis, die positiven Aspekte erkannt. So führe eine verstärkte Beteiligung von Bürgern auch stets zu einem größeren Interesse an politischen Entscheidungen. Im Vergleich von elitezentrierter Beratung und Bürgerbeteiligung kam Sarcinelli zu dem Befund, dass Beratung durch Bürger möglich sei.

    Raffael Himmelsbach näherte sich anhand der Rolle von Beratern in der Schweizerischen Föderalismusreform dem Thema abstrakt an. Er grenzte die Vorgehensweise von Experten und Politikern gegeneinander ab. Daraus ergebe sich zwischen beiden Gruppen eine Arbeitsteilung, die im Ergebnis jedoch dieselben Ziele habe. Ein Rückgriff auf Experten erfolge vor allem unter den Gesichtspunkten, dass die Politik oftmals nicht in der Lage oder willens sei, Probleme eigenständig zu lösen.

    Einen Erfahrungsbericht lieferte Charlie Jeffery über „Experten im Devolution-Prozess im Vereinigten Königreich“. Ausgangspunkt war die asymmetrische Tradition der britischen Territorialverfassung und die Asymmetrie im Zuge der Devolutionsreformen nach 1997. Er befasste sich mit der Frage, wie Experteneinfluss gemessen wird und zog insbesondere die Indizien der Nachfrage als Maßstab für den Einfluss heran. Aktiv alleine bedeute nicht notwendigerweise einflussreich. Im Ergebnis hielt er fest, dass ein gemeinsames Engagement von Wissenschaft und Praxis sich zu einem zweischneidigen Schwert entwickeln könne.

    Thomas Fleiner sah sich durch die vorangegangenen Vorträge in seinen Erfahrungen aus der Praxis bestätigt, nach denen die Politik häufig nicht in der Lage sei, Expertenvorschläge umzusetzen und Gesetze zu formulieren.

    Arthur Benz resümierte zum Ende der Veranstaltung, dass Expertenwissen vielfach nicht unmittelbar, sondern mittelbar und in anderem Zusammenhang nützliches Wissen produziere. Zudem machte er darauf aufmerksam, dass eine Unterscheidung zwischen Wissenschaftlern und Laien nicht ausreiche, sondern der Typus des Experten in Gestalt von Wissenschaftlern, Professoren, Grenzgängern, bis hin zu fachkundigen Bürgerinnen und Bürgern zu verstehen sei.

    Die Erträge des Symposions mit Teilnehmern aus ganz Europa werden in einem Tagungsband dokumentiert und im Rahmen der Schriftenreihe des IEV im Berliner Wissenschafts-Verlag erscheinen.

    Dieser Beitrag erschien unter dem Titel "Die Rolle von Experten in Verfassungsverhandlungen, Symposion des Instituts für Europäische Verfassungswissenschaften, Tagungsbericht", in: DVBl 2011, S. 344-345 von Ingrid Piela und Thomas Herwig.

DTIEV | 08.04.2024