Hemm den Wind – FernUni-Projekt liefert Einblicke in Protestbereitschaft

Erste Ergebnisse eines FernUni-Projektes offenbaren, warum sich Menschen gegen Windkraft engagieren und wie Verbandsklagen und Bürgerbegehren auf den Windenergieausbau wirken.


Foto: Joern Siegroth/Getty Images
FernUni-Projekt zeigt, warum der Windkraftausbau in Deutschland bisher nur schleppend voranging.

Windenergie steht im Zentrum der deutschen Energiewende. Doch trotz enormer Potenziale bleibt ihr Ausbau hinter den Erwartungen zurück. Zwischen 2018 und 2020 brach die Inbetriebnahme neuer Windenergieanlagen massiv ein. Dazu trugen neben Problemen bei der Planung und Genehmigung auch lokale Bürgerbegehren und Klagen von Umwelt- und Naturschutzverbänden bei.

In einem interdisziplinären Forschungsprojekt der FernUniversität in Hagen untersuchen Forschende aus den Bereichen Psychologie, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft, warum es zu Klagen und Bürgerentscheiden gegen Windkraftprojekte kommt und unter welchen Bedingungen diese zu einem Hemmnis für den Windenergieausbau werden. „Von Hemmnissen sprechen wir dann, wenn Windenergievorhaben gar nicht, eingeschränkt oder zeitlich verzögert realisiert werden“, sagt Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller, die das Forschungsprojekt leitet.

Protestbereitschaft speist sich aus Emotionen

Passenderweise trägt das Projekt den Namen „Hemm den Wind“ und wird für drei Jahre durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) gefördert. 29 Windenergie-Unternehmen in ganz Deutsch­land, der Bundes­verband WindEnergie und die Fachagentur Windenergie an Land unterstützen das Projekt, das im November 2022 gestartet ist. Zudem begleitet es der Projektträger Jülich organisatorisch.

„Von Hemmnissen sprechen wir dann, wenn Windenergievorhaben gar nicht, eingeschränkt oder zeitlich verzögert realisiert werden.“

Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller

„Nach mehreren Studien und gut einem Jahr Forschung zeigt sich, dass Menschen, die sich gegen Windkraftprojekte engagieren, offenbar sowohl von negativen als auch von positiven Emotionen geleitet werden“, sagt Prof. Dr. Helen Landmann. Zusammen mit Prof. Dr. Robert Gaschler (Psychologie) analysiert sie die Beweggründe von Windenergie-Gegnern und -Befürwortern. „Negative Emotionen entstehen, wenn sich Menschen ungerecht behandelt fühlen, etwa, weil sie selbst betroffen sind. Einige der Befragten haben zum Beispiel den Eindruck, dass Ärmere von der Energiewende stärker belastet sind als Wohlhabende und kleinere Unternehmen mehr als größere.“ Außerdem deckte die Befragung auf, dass nicht wenige hinter dem Ausbau erneuerbarer Energien eine Art Verschwörung wittern. „Sie halten die Energiewende für einen Vorwand, mit dem das grüne Parteiprogramm durchgesetzt werden soll“, ordnet Landmann ein.

Es kommt auf das Umfeld an

Doch nicht nur Skepsis, Wut und Angst, auch positive Emotionen können Anlass zum Protest gegen das Windrad vor der eigenen Haustür sein. Die Aussicht, zusammen mit anderen etwas bewirken zu können, kann Menschen regelrecht beflügeln. „Diesen Effekt sehen wir ganz stark in der Bewegung Fridays for Future oder auch bei den zurückliegenden Protesten gegen die Abholzung des Hambacher Forsts“, erklärt Landmann. Der Einfluss des persönlichen Umfelds ist dabei nicht zu unterschätzen. „Überraschend ist für uns die Erkenntnis, dass eine ablehnende Haltung gegenüber Windkraft im Bekanntenkreis wesentlich stärker mit der Protestbereitschaft zusammenhängt als entsprechende Botschaften in Medienangeboten wie Zeitungen, Fernsehen oder Social Media.“

Foto: FernUniversität
Thomas Simons vom Projektträger Jülich mit den FernUni-Forschenden Prof. Dr. Andrea Edenharter, Prof. Dr. Robert Gaschler, Prof. Dr. Annette Elisabeth Töller, Prof. Dr. Helen Landmann, Alix Weigel und Benjamin Garske.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, gegen Windkraftanlagen vorzugehen. Beispielsweise können Bürgerinnen und Bürger oder der Gemeinderat einen Bürgerentscheid anstoßen. Insgesamt hat es im Zeitraum von 2010 bis 2020 in Deutschland etwa 60 solcher Entscheide gegeben, die sich gegen Windenergieanlagen richteten. „Die meisten der Fälle beziehen sich auf Eignungsflächen, auf Abstände zu Wohngebieten oder die Höhe der Anlagen“, erklärt Benjamin Garske, der zusammen mit Dr. Katharina Heidtmann Bürgerentscheide aus politikwissenschaftlicher Perspektive untersucht. Noch sind die FernUni-Forschenden dabei, ausgewählte Fälle aufzuarbeiten und zu systematisieren. „Was unsere Datenbank jetzt schon zeigt, ist, dass es in manchen Regionen zu vielen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden kommt, während in anderen Regionen kaum Protest zu sehen ist.“ Das könnte sich als Hemmnis für den Windenergieausbau auswirken, weil potenzielle Investoren in bestimmten Gegenden von der umtriebigen Protestkultur abgeschreckt werden können und ihr Vorhaben zurückziehen.

Neue Rechtslage könnte Klageverhalten verändern

Geklagt wird deutschlandweit gegen circa ein Viertel aller Windenergieanlagen. Sogenannte Verbandsklagen von etablierten Umwelt- und Naturschutzverbänden wie dem NABU oder windkraftkritischen Verbänden machen dabei laut einer Branchenumfrage der Fachagentur Windenergie mit 61 Prozent die größte Gruppe aus. Teils werden die Verbände von Bürgerinitiativen mobilisiert. „Klagen werden aus Sicht der Windenergiegegner nicht erst als Erfolg gewertet, wenn das Vorhaben komplett gescheitert ist“, differenziert Alix Weigel (Politikwissenschaft). „Auch Klagen, die in der Sache nicht erfolgreich sind, können als Hemmnis wirken, insbesondere durch zeitliche Verzögerungen. In NRW liegt die zeitliche Verzögerung eines Windenergievorhabens durch eine Klage im Durchschnitt bei drei Jahren und acht Monaten.“

Hemm den Wind

Die aktuellen Ergebnisse wurden im Rahmen einer Outreach-Conference präsentiert, auf der FernUni-Forschende mit Expertinnen und Experten der Branche über die Herausforderungen und Chancen des Windenergieausbaus diskutierten. Eine zweite Outreach-Conference mit weiteren Forschungsergebnissen ist für Ende des Jahres geplant. Das Projekt ist im FernUni-Forschungsschwerpunkt „Energie, Umwelt & Nachhaltigkeit“ (E/U/N) angesiedelt.
Mehr zum Projekt

Doch mit den Änderungen verschiedener Einzelgesetze und Verordnungen im Energierecht – national und auf europäischer Ebene – hat sich die Aussicht, unter Berufung auf den Arten- oder Naturschutz, erfolgreich gegen Windenergieanlage zu klagen, deutlich verschlechtert. Dazu gehören unter anderem das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) aus dem Jahr 2022 sowie die EU-Notfallverordnung und die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED III). Bei letzterer werden die EU-Staaten verpflichtet, die oftmals jahrelangen Verfahren zur Genehmigung von erneuerbaren Energieanlagen erheblich zu kürzen.

„Was wir hier gerade erleben, ist eine rechtliche 180-Grad-Wende“, sagt Prof. Dr. Andrea Edenharter (Rechtswissenschaft), die sich zusammen mit Jasper Dannenbaum den Verbandsklagen unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage widmet. Vor dem Hintergrund des Klimawandels und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine erhält der Windenergieausbau durch die europäische und nationale Gesetzgebung einen höheren Stellenwert als der Naturschutz. „Das äußert sich zum Beispiel, indem bei der Genehmigung von Windkraftanlagen keine Umweltverträglichkeitsprüfung mehr durchgeführt werden muss, was klar zu Lasten des Artenschutzes geht“, so Edenharter. Die Rechtswissenschaftlerin geht davon aus, dass Verbandsklagen gegen die Genehmigung einer Windkraftanlage in Zukunft weitaus seltener erfolgreich sein werden als bisher, obwohl die Auslegung der anzuwendenden Gesetze an vielen Stellen noch unklar ist.

Ziel des Forschungsprojektes, das noch bis Oktober 2025 läuft, ist es, neben wissenschaftlichen Erkenntnissen auch praktisch verwertbare Ergebnisse zu erzielen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen zum Beispiel herausfinden, welche Rolle Lokalpolitikerinnen und -Politiker bei der Umsetzung von Windkraftprojekten einnehmen und tiefere Einblicke in die Struktur von Naturschutz- und windkraftkritischen Verbänden gewinnen.

 

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Sarah Müller | 11.04.2024