Optimierung der ambulanten Therapie in der pädiatrischen Onkologie: Digitale Medikationsplanung und App-basiertes Therapiemanagement für medizinisches Personal, Patienten:innen und Familien
Ansprechpartner: Dr. med. Michael Neugebauer
Die Behandlung krebskranker Kinder stellt das Gesundheitssystem vor besondere Herausforderungen. Im Gegensatz zu Erwachsenen sind Tumorerkrankungen im Kindesalter seltener, zugleich jedoch hochkomplex und individuell. Jährlich erkranken weltweit rund 400.000 Kinder und Jugendliche an einer onkologischen Erkrankung (Ward et al., 2019). Krebs ist nach Angaben der WHO die zweithäufigste Todesursache in wohlhabenden Ländern (PHO/IAP, 2020). Die Therapie verfolgt meist einen kurativen Ansatz und erfordert eine engmaschige, auf das jeweilige Alter und den körperlichen Entwicklungsstand abgestimmte Betreuung. Neben der stationären Behandlung spielt die ambulante Phase der Chemotherapie eine entscheidende Rolle für den Therapieerfolg – insbesondere die korrekte Einnahme der zahlreichen Medikamente zu Hause (Hudson et al., 2021).
Gerade in dieser sensiblen Phase besteht ein erhebliches Risiko für Medikationsfehler, Dosierungsabweichungen und mangelnde Adhärenz. Studien zeigen, dass schon geringe Abweichungen in der Medikamenteneinnahme das Risiko für Infektionen, Rückfälle oder gar Todesfälle erhöhen können (McGrady & Pai, 2019). Viele Kliniken arbeiten bislang noch papierbasiert oder selbst erstellten digitalen Lösungen (z. B. Excel- oder Word-Tabellen), um diese individuellen Therapien zu managen und komplexe Medikationspläne zu erstellen und weiterzugeben. Dieser manuelle Prozess ist zeitaufwändig, fehleranfällig und erschwert eine strukturierte Kommunikation zwischen Klinik, Patientinnen und Patienten sowie deren Familien.
Digitale Unterstützungssysteme wie Clinical Decision Support Systems (CDSS) haben das Potenzial, Medikationsfehler zu reduzieren und die Qualität der Versorgung zu erhöhen (Pawloski et al., 2019; Armando et al., 2023). Dennoch fehlen spezialisierte Lösungen für die pädiatrische Onkologie. Auch im Bereich mobiler Gesundheitsanwendungen (mHealth) gibt es zwar eine Vielzahl von Apps, doch die spezifischen Anforderungen der Kinderonkologie sind bislang kaum berücksichtigt (Skeens et al., 2024).
Die Dissertation verfolgt das Ziel, die ambulante onkologische Versorgung durch digitale Instrumente systematisch zu verbessern. In einem ersten Schritt wird der aktuelle Stand der Digitalisierung in der pädiatrischen Onkologie in Deutschland, Österreich und der Schweiz systematisch erfasst. Eine Online-Befragung von kinderonkologischen Zentren soll aufzeigen, wie derzeit ambulante Therapien organisiert werden, welche Softwarelösungen zum Einsatz kommen und welche Herausforderungen im Alltag bestehen. Diese Bestandsaufnahme bildet die Grundlage für die Entwicklung innovativer, praxisorientierter eHealth-Lösungen.
Darauf aufbauend wird am Universitäts-Kinderspital Zürich eine spezialisierte Software zur digitalen Unterstützung des onkologischen Therapiemanagements entwickelt. Diese Software soll medizinisches Fachpersonal beim Therapiemanagement und explizit bei der Erstellung komplexer, studienbasierter Medikationspläne unterstützen. Durch algorithmische Berechnungen, Plausibilitätsprüfungen und automatisierte Dosis-Kontrollen können Fehler reduziert und der Planungsprozess deutlich beschleunigt werden. Zudem ermöglicht die strukturierte Speicherung und standardisierte Ausgabe der Daten (z. B. in PDF- oder FHIR-Formaten) eine effiziente Weitergabe an andere Systeme oder Personen.
Zuletzt wird eine mobile Applikation entwickelt. Diese App soll Familien eine digitale Übersicht über den gesamten Therapieplan bieten – inklusive Medikamenteneinnahmen, Laborwerten, Terminen und Statusinformationen. Durch den automatischen Datenaustausch zwischen App und Kliniksystem entsteht ein kontinuierlicher Informationsfluss, der sowohl die Therapietreue als auch die Patientensicherheit erhöht. Damit wird nicht nur die Qualität der Daten verbessert, sondern auch die Belastung der Familien reduziert.
Ziel der Dissertation ist es, empirisch zu prüfen, ob diese beiden entwickelten Anwendungen die Qualität der ambulanten onkologischen Versorgung bei Kindern messbar verbessern können. Dabei werden sowohl quantitative Daten (z. B. Zeitaufwand, Fehlerraten, Rückmeldungen aus der App-Nutzung) als auch qualitative Einschätzungen von Ärztinnen, Ärzten, Pflegepersonal und Eltern analysiert.
Die erwarteten Ergebnisse leisten einen Beitrag zur weiteren Entwicklung digitaler Unterstützungssysteme im Gesundheitswesen. Sie sollen zeigen, ob intelligente Softwarelösungen und mobile Anwendungen nicht nur die Effizienz in Kliniken steigern, sondern auch das Sicherheitsgefühl und die Selbstwirksamkeit von Familien mit onkologisch erkrankten Kindern stärken können. Darüber hinaus können die gewonnenen Erkenntnisse als Modell für andere Fachgebiete mit ähnlich komplexen Therapieprozessen dienen. Im Fokus steht die Analyse, in welcher Form die Einbindung digitaler Technologien die Strukturen und Prozesse der pädiatrischen Onkologie beeinflusst und welche Implikationen sich daraus für die Weiterentwicklung einer patientenzentrierten, digital vernetzten Medizin ergeben.
Das Dissertationsprojekt wird als kumulative Arbeit mit drei aufeinander aufbauenden Publikationen realisiert. Es kombiniert gesundheitsökonomische, informatikbezogene und medizinische Perspektiven und verbindet somit Forschung und Praxis in einem hochrelevanten Anwendungsfeld der digitalen Gesundheitsversorgung.
Quellen
Armando, L. G., Miglio, G., Cosmo, P. de & Cena, C. (2023). Clinical decision support systems to improve drug prescription and therapy optimisation in clinical practice: a scoping review. BMJ Health Care Inform, 30, e100683.
Hudson, M. M., et al. (2021). Long-term Follow-up Care for Childhood, Adolescent, and Young Adult Cancer Survivors. Pediatrics, 148, e2021053127.
IAP, PHO Chapter of Indian Academy of Pediatrics, InPOG & CKRCS Groups. (2020). WHO Global Initiative for childhood cancer – India responds. Pediatr. Hematol. Oncol. J., 5, 145–150.
McGrady, M. E. & Pai, A. L. H. (2019). A Systematic Review of Rates, Outcomes, and Predictors of Medication Non-Adherence Among Adolescents and Young Adults with Cancer. J. Adolesc. Young Adult Oncol., 8, 485–494.
Pawloski, P. A., Brooks, G. A., Nielsen, M. E. & Olson-Bullis, B. A. (2019). A Systematic Review of Clinical Decision Support Systems for Clinical Oncology Practice. J. Natl. Compr. Cancer Netw., 17, 331–338.
Skeens, M. A., Jackson, D. I., Sutherland-Foggio, M. S. & Sezgin, E. mHealth Apps in the Digital Marketplace for Pediatric Patients With Cancer: Systematic Search and Analysis. JMIR Pediatr. Parent. 7, e58101 (2024).
Ward, Z. J., Yeh, J. M., Bhakta, N., Frazier, A. L. & Atun, R. (2019). Estimating the total incidence of global childhood cancer: a simulation-based analysis. Lancet Oncol., 20, 483–493.