Kolloquium

Thema:
Kwashiorkor: Medizinische Wissensproduktion und gesundheitspolitische Expertise in Indien und der Welt, 1947-1967
Referent/-in:
Paul Schrader, Köln
Adresse:
Hybrid, FernUniversität in Hagen, Raum 4+5, Gebäude 2 und / oder ONLINE über ZOOM

Anmeldung bitte per Mail an karin.gockel@fernuni-hagen.de

Geben Sie bitte auch an, ob Sie online oder vor Ort teilnehmen möchten.
Termin:
02.05.2023, 18:15 Uhr

Im Sommer 1952 versetzte ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Weltagrarorganisation FAO gesundheitspolitische Expertinnen und Experten in verschiedenen Teilen der Welt in helle Aufregung. Bei dem Kwashiorkor – einer selbst in der medizinischen Fachwelt wenig bekannten Mangelkrankheit, die überwiegend Säuglinge und Kleinkinder zu betreffen schien – würde es sich um die weltweit „schwerste und am weitesten verbreitete Ernährungskrankheit“ handeln. Das Syndrom, so argumentierte der Report, stelle eine der Hauptursachen für die hohe Kindersterblichkeit in den Ländern des Globalen Südens dar und erfordere daher eine entschiedene Reaktion von allen Verantwortlichen. In der Folge entwickelte sich die Erforschung und Bekämpfung der Krankheit zu einem internationalen gesundheitspolitischen Handlungsfeld. Internationale Organisationen und humanitäre Vereinigungen, Kolonialverwaltungen und die Regierungen postkolonialer Nationalstaaten legten im Verlauf der 1950er und 1960er Jahre ambitionierte Programme gegen den Kwashiorkor auf, wobei die beteiligten Akteurinnen und Akteure zum Teil grenz- und ideologie-übergreifend miteinander kooperierten.

Der Vortrag möchte in diesem Zusammenhang insbesondere das Wirken und die transnationalen Netzwerke jener indischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler thematisieren, die seit der Unabhängigkeit an den Nutrition Research Laboratories in Coonoor und Hyderabad forschten, dem wichtigsten ernährungsmedizinischen Forschungsinstitut des Landes. Anhand dieses Beispiels verfolgt die Präsentation das Ziel, die gängige Vorstellung eines westlichen „Zentrums“ und einer außereuropäischen „Peripherie“ im Bereich der internationalen Gesundheitspolitik in der Nachkriegszeit zu hinterfragen. Anstatt lediglich passiv die medizinischen Konzepte und gesundheitspolitischen Ansätze aus dem Westen zu übernehmen, hatten die indischen Kwashiorkor-Fachleute selbst einen wesentlichen Anteil daran, wie auch an anderen Orten der Welt über den Charakter der Krankheit und mögliche Lösungen nachgedacht wurde.

Karin Gockel | 08.04.2024