Aktuelles
Aktuell arbeiten wir an einer Umstrukturierung der Aktuelles-Seite des Historischen Instituts.
Bis dahin finden Sie die Aktuelles-Seiten der einzelnen Lehrgebiete unter folgenden Links:
In memoriam Lutz Niethammer, 1939 – 2025
Mit dem Tod von Lutz Niethammer am 29. Juli 2025 verliert die deutsche Geschichtswissenschaft eine prägende Persönlichkeit, deren Wirken auch an der FernUniversität bleibende Spuren hinterließ. Als Historiker, Hochschullehrer und intellektueller Impulsgeber gestaltete er die Zeitgeschichte in Deutschland über Jahrzehnte hinweg maßgeblich mit. Sein Name steht für die Etablierung der Oral History als wissenschaftliche Methode und für die Verbindung von sozialgeschichtlicher Forschung mit biographischen Zugängen.
Bereits in den 1980er Jahren setzte Niethammer mit dem Projekt „Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet“ (LUSIR) von Hagen aus Maßstäbe für eine neue Dimension empirischer Arbeit. Es war das erste große Oral-History-Projekt an einer bundesdeutschen Universität und wurde zum Ausgangspunkt für eine neue Form der Geschichtsschreibung „von unten“. Bis heute wirkt dieses Projekt über Nordrhein-Westfalen hinaus nach – methodisch, institutionell und inhaltlich.
Von 1982 bis 1989 war Niethammer Professor für Neuere Geschichte an der FernUniversität in Hagen, wo er entscheidend zur Etablierung des Fachs Geschichte beitrug. Er war gemeinsam mit Alexander von Plato Mitbegründer des Instituts für Geschichte und Biographie, das unter seiner Mitwirkung zu einem Zentrum der Oral History wurde. Kolleg:innen wie Almut Leh fanden in ihm einen Mentor, der ihre Arbeit bestärkte und förderte. Auch die Gründung des Kulturwissenschaftlichen Instituts Essen (KWI) geht auf Niethammers Initiative zurück. Als dessen erster Direktor schuf er von 1989 bis 1993 eine interdisziplinäre Plattform, die bis heute überregionale Impulse gibt.
In den späten 1990er Jahren beriet Niethammer die Bundesregierung bei den internationalen Verhandlungen zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter. Er war maßgeblich an der Konzeption der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ beteiligt und begleitete deren Arbeit über Jahre hinweg mit kritischer Loyalität. Sein Essay im Abschlussbericht der Stiftung zeugt von seinem historischen Gespür und seinem moralischen Kompass, der fehlen wird.
1993 folgte Niethammer einem Ruf an die Friedrich-Schiller-Universität Jena, wo er bis zu seiner Emeritierung 2005 lehrte. In einer Zeit des Umbruchs prägte er das Historische Institut und machte Jena zu einem Zentrum der erfahrungsgeschichtlichen Forschung. Besonders wichtig war ihm die Förderung ostdeutscher Nachwuchswissenschaftler:innen, was Ausdruck seines Verständnisses von historischer Gerechtigkeit und gesellschaftlicher Verantwortung war.
Lutz Niethammer war ein akademischer Macher, der nie die Neugier an der Gegenwart der Vergangenheit verlor. Seine intellektuelle Offenheit, sein Gespür für den richtigen Moment und seine Fähigkeit, tragende Strukturen zu schaffen, hinterlassen bleibende Spuren – in Hagen, Essen, Jena und weit darüber hinaus. Sein Wirken lebt im Institut für Geschichte und Biographie fort, in den Erinnerungen seiner Kolleg:innen und Schüler:innen, und in einer Geschichtswissenschaft, die dank ihm gelernt hat, zuzuhören.
Dr. Almut Leh/ Prof. Dr. Felix Ackermann
Stimmen zum Wirken von Lutz Niethammer
„Lutz Niethammer wird uns fehlen. Er hinterlässt ein bedeutendes Erbe, das die Jenaer Geschichtswissenschaft weiterhin prägen wird.“ – Jörg Ganzenmüller, Friedrich-Schiller-Universität Jena
„Die so entstehende Intensität war Inspiration und Herausforderung zugleich, zumal für uns Jüngere.“ – Imre Kertész Kolleg Jena
„Mit Lutz Niethammer verlieren wir einen unserer wichtigsten Impulsgeber. Er zeigte uns Wege auf, die wir in seinem Sinne weiter gehen werden.“ – Jens-Christian Wagner, Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora
„Ein weit gespannter und unorthodoxer Gelehrter, dem die Zeitgeschichte viel zu verdanken hat.“ – Frankfurter Allgemeine Zeitung