Dr. Julian Valentin Möhring
Lebenslauf
Dr. Julian Möhring studierte und promovierte zwischen 2006 und 2019 am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt am Main – mit einem Aufenthalt an der École des Hautes Études en Sciences Sociales in Paris 2010/2011. Lehraufträge führte er zwischen 2014 und 2022 am Institut für Soziologie der JLU Gießen und an der Physiotherapieschule Gießen durch. Dr. Julian Möhring arbeitet seit September 2022 als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Lehrgebiet Ernsting’s family-Stiftungsprofessur für Mikrosoziologie am Institut für Soziologie der FernUniversität in Hagen.
Er ist seit 2013 nebenberuflich im interdisziplinären Projekt „Jugend im Risiko“ des Zentrums für Kinderheilkunde und Jugendmedizin Bereich Familien-und Kinderpsychosomatik am UKGM und der Jugendwerkstatt Gießen gGmbH tätig sowie Sozial-, Paar- und Familientherapeut (BvPPF).
Arbeitsschwerpunkte
- Familie und Vulnerabilität
- Rekonstruktive Sozialforschung
- Emerging Adulthood und Prekarisierung
- Prozess- und Figurationssoziologie
- Sozialtheorie des Vertrauens
Publikationen
- Möhring, Julian Valentin (2020): Vertraute Stabilität. Zur trügerischen Ruhe des Vertrauens im Prozess sozialer Verflechtung. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist (Dissertation).
Artikel (Auswahl)
- Möhring, Julian Valentin, Schäfer, Dennis, Brosig, Burkhard, Huth, Martin (2023): Restricted by Measures Against the Coronavirus? Difficulties at the Transition from School to Work in Times of a Pandemic. Stud Philos Educ (2023). https://doi-org.ub-proxy.fernuni-hagen.de/10.1007/s11217-022-09866-0
- Möhring, Julian Valentin (2022): Trügerische Ruhe und Vulnerabilität. Vertrauen im Spiegel der Altenpflege. Medien und Altern 20, S. 21-34.
- Möhring, Julian Valentin (2022): Familial Vulnerability at the Transition from School to Work. International Journal of Social Science Studies 10(3), S. 67-79.
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Schäfer, Dennis; Möhring, Julian Valentin; Brosig, Burkhard (2022): Psychosomatische Belastungen in der Beruflichen Qualifizierung. In Forum Sozialarbeit + Gesundheit 4, S.50-53.
- Möhring, Julian Valentin, Dennis Schäfer, and Burkhard Brosig (2021): Risky Transitions. Vocational Development between Traumatic Biography and the Search for Identity. Advances in Applied Sociology 11(12), S. 669-694.
- Schäfer, Dennis; Möhring, Julian Valentin; Brosig, Burkhard (2020): Hilfe zwischen Schule und Beruf. Eine Evaluation der Bewältigung psychischer Problemlagen. In Forum Sozialarbeit + Gesundheit 4, S.25-28.
- Wollenhaupt, Jonas; Schiffl, Benjamin; Möhring, Julian (2020): Heimat. Zwischen Entfremdung, Vertrautheit und Mythos. In: Politik und Gesellschaft 23, S.17-18.
- Brosig, Burkhard, Möhring, Julian Valentin, Müller, Kathrin (2017): Soziopsychosomatik. In: Köhle et al (Hg.): Uexküll Psychosomatische Medizin. Elsevier, München, S.233-240.
- Möhring, Julian (2012): Krise als kapitalismuskritischer Begriff aus triebökonomischer Perspektive. In: Psychosozial 35(3), S. 33 – 41.
Artikel (im Erscheinen)
- Medebach, Dirk H. & Julian Valentin Möhring (2023): Verschlafene Verweise auf Etablierte und Außenseiter. Eine werksgeschichtliche Rezeptionsanalyse der Aktualisierung eines soziologischen Klassikers in Fachzeitschriften, in: Benjamin Schiffl/Frank Meyhöfer/Jan Winkelhaus (Hg.): Kultur der Soziologie: Jahrbuch für Soziologiegeschichte, Wiesbaden: Springer VS.
Vorträge (Auswahl)
- Vulnerability andPower of Generations and Groups. A GenerativeApproach. Vortrag im Oktober 2022 auf der internationalen Konferenz „Vulnerability. Theories and Concepts in Philosophy and the Social Sciences“ in Graz. (Gemeinsam mit Dirk Medebach)
- Methodologische Potenziale einer Fachdiskussion im Dämmerzustand. Die soziologische Rezeptionsgeschichte von Etablierten und Außenseitern. Vortrag im Juli 2022 auf der Tagung Kontingenz² des an der Universität Essen des DFG-Graduiertenkollegs Vorsorge, Voraussicht, Vorhersage. Kontingenzbewältigung durch Zukunftshandeln. (Gemeinsam mit Dirk Medebach)
- Restricted by measures against the coronavirus? Difficulties at the transition from school to work in times of a pandemic. Vortrag im September 2021 beim Workshop „Ethics, children, education and the COVID-19 pandemic“ der Universität Salzburg und der St. Lawrence University. Zusammen mit Burkhard Brosig und Dennis Schäfer.
- Gefährdete Übergänge. Die Sichtbarkeit familienbezogener Verletzbarkeit am Übergang ins Berufsleben. Vortrag im August 2021 in der Ad-hoc-Gruppe - „Verletzbarkeit in der (Post-)Corona-Gesellschaft. Erfahrungssensible soziologische Zugänge zu Vulnerabilitätsphänomenen“ auf dem Kongress der Deutschen und der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie.
- Zur normativen Wirksamkeit vom Vertrauen auf Wiederholung. Vortrag im März 2021 beim Workshop „ Aspekte einer nicht-normativen Theorie von Normen: Praxistheorie als Option? “ Des Arbeitskreises „ Normen und Normativität “ der DGS-Sektion Soziologische Theorie.
- Etablierte und Außenseiter: Zur Aktualität und Aktualisierung soziologischer Klassiker. Vortrag im Oktober 2019 gemeinsam mit Dirk Medebach beim Kongress der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie.
- Vertraute Stabilität. Zur trügerischen Ruhe des Vertrauens im Prozess sozialer Verflechtung. Kurzvortrag mit Poster im März 2019 beim Kongress der Psychosomatik in Berlin.
- Trust in Figurations. Vortrag im Juni 2014 bei der Elias Conference in Leicester.
Forschung
Letztentscheidung und Habitusformation
Spannungen zwischen professionellem Handeln und Familiendynamik am Beispiel von familienrichterlichem Handeln im Kinderschutz
Das Familiengericht wird im multiprofessionellen Kinderschutz als Ort letzter Entscheidungen konzipiert (Bode und Turba 2023, S.34) und die Familiengerichte als jene, die im Kinderschutz das letzte Wort haben (Franzheld 2022, S.64). Erst wenn Kinder- und Jugendhilfe und die Sorgeberechtigten (zumeist die Eltern) nicht zu einer gemeinsamen Lösung bei der Abwendung einer Kindeswohlgefährdung gelangen, wird das Familiengericht eingeschaltet.
Justizjuristen leiten einen Prozess und fällen ein Urteil, um eine Strittigkeit zu lösen, die von einander opponierenden Parteien selbst nicht auflösbar ist (Maiwald, 1997, S. 104). Am Zivilgericht in Familiensachen ist schon am Sprachgebrauch zu erkennen, dass der Richter als vermittelnde Instanz in Erscheinung tritt und darauf zuarbeitet, eine gütliche Einigung der Streitenden zu erreichen: Eingeleitet werden keine Gerichtsprozesse, sondern Gerichtsverfahren und gefällt werden keine Urteile, sondern Beschlüsse (Müller 2020). Diese Orientierung an einem Rechtsfrieden, also daran, dass keine Partei das Verfahren durch neue Klagen delegitimiert und den Rechtsstreit in einem neuen Verfahren fortführt, gilt für Klärungen zu Sorgeverhältnissen allgemein und nicht nur für einen Rechtsstreit in Nachtrennungsfamilien (vgl. zu letzterem Maiwald 2004, S.79ff.).
Der juristische Zugang zu Fällen von Kindeswohlgefährdung geht über ein Auffinden von rechtlichen Normen, um einen Prozess zum Abschluss zu bringen (so Stegmeier 2009, S.15) hinaus und bezieht familiale Problemlösungsmöglichkeiten in vielfältiger Weise mit in das Gerichtsverfahren ein. Denn die Sorgeverhältnisse, in denen ein Kind aufwächst, werden als die zentrale Einflussgröße für die Abwendung einer Gefahr betrachtet. Als ausgebildete Juristinnen und Juristen greifen Richter auf ihre professionelle Rechtskenntnis und Auslegungspraxis zurück, um in Kindeswohlgefährdungsverfahren über die Abwendung von Gefahren zu entscheiden. Sie generieren durch die Anhörung von Kindern, Eltern und involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendhilfe sowie über das Studium von Berichten des Jugendamts und der Verfahrensbeistände sowie gegebenenfalls weiterer Experten ein Verfahrenswissen, das den Ausgangspunkt ihrer Entscheidung für eine juristische Problemlösung auf der Grundlage des geltenden Rechts bildet. Zwischen der materialen Dimension des Einzelfalls und der formalen Dimension des Katalogs rechtlicher Normen steht die juristische Profession „gleichsam zwischen der lebenspraktischen Krise und dem Anspruch verallgemeinerungsfähiger Geltung“ (Wernet 1997, S. 275). Genau an diesem Anspruch setzt Kritik an der Entscheidungspraxis im Familiengericht an, die auf fehlendes Wissen um Kindesentwicklung und Gefährdungssituationen abzielt (vgl. Salgo 2018). Dissens in dieser Frage, eine Steigerung der Verfahren, neue Regelungen zu Kompetenzen von Richterinnen am Familiengericht sowie festgestellte Veränderungen im beruflichen Habitus von Richtern machen eine Forschung zur juristischen Praxis bei Kindeswohlgefährdung relevant für die soziologische Forschung. In der Forschungsarbeit steht die Frage im Vordergrund, wie sich die Entscheidungssituation für Richterinnen und Richter in Kindeswohlgefährdungsverfahren darstellt und welcher professionelle Habitus hierfür notwendig ist. Mit Habitusformation (Oevermann 2004, S.164) wird dabei an ein Theorem angeschlossen, das die Herausbildung des Verhaltensgepräges vor allem sozialisatorisch, über den Prozess der Entwicklung von Handlungsautonomie in Familie und Gesellschaft begründet.
Zur Erforschung dieser Frage nach der habituellen Begründung von Letztentscheidungen wird der Weg der rekonstruktiven Sozialforschung anhand von Forschungsgesprächen (Loer 2021) mit Richterinnen und Richtern am Familiengericht sowie mit einer Genogrammanalyse (Hildenbrand und Konrad 2021) über drei Generationen beschritten. An der genauen Analyse des Einzelfalls wird aufgezeigt, wie juristische Entscheidungsprozesse im Kinderschutz vor einem spezifischen sozialgeschichtlichen Hintergrund getroffen und begründet werden (Bude 2001, 110). Dabei zeigt sich an der Verlaufskurve des Einzelfalls, dass der Gerichtsbeschluss nur dann das letzte Wort in Sachen Kinderschutz sein kann, wenn eine Krisenlösung rechtlicher und familiärer Probleme zugleich erreicht wird.
Literatur
Bode, I., & Turba, H. (2023). Kinderschutz kompakt. Regulierung, Organisation, Wandel. Wiesbaden.
Franzheld, T. (2022). Multiprofessionelle Zusammenarbeit. Kinderschutz interdisziplinär und partizipativ. Studientext: FernUniversität in Hagen.
Hildenbrand, B., & Konrad, M. (2021). Grundlagen der Genogrammarbeit: Die Lebenswelt als Ausgangspunkt sozialpsychiatrischer Praxis. Vandenhoeck & Ruprecht.
Loer, T. (2022). Interviews analysieren: Eine Einführung am Beispiel von Forschungsgesprächen mit Hundehaltern. Springer Fachmedien Wiesbaden.
Maiwald, K.-O. (1997). Die Herstellung von Recht: Eine exemplarische Untersuchung zur Professionalisierungsgeschichte der Rechtsprechung am Beispiel Preußens im Ausgang des 18. Jahrhunderts (1. Aufl.). Duncker & Humblot.
Maiwald, K. O. (2004). Professionalisierung im modernen Berufssystem: das Beispiel der Familienmediation. Springer-Verlag.
Müller, M. (2020). Keine Legitimation durch Familiengerichtsverfahren? Akzeptanzprobleme gerichtlicher Entscheidungen und Konstruktion geschlechtsdifferenter Elternschaft. Soziale Systeme, 22(1-2), 21-60.
Oevermann, U. (2004): Sozialisation als Prozess der Krisenbewältigung. In: Geulen, D./Veith, H. (Hrsg.): Sozialisationstheorie interdisziplinär. Aktuelle Perspektiven. – Stuttgart, S. 155-181.
Salgo, L. (2018). Der qualifizierte Familienrichter als tragende Säule im Kinderschutz. Zeitschrift für Kindschaftsrecht und Jugendhilfe, 13(5), 168-173.
Stegmaier, P. (2009). Wissen, was Recht ist. VS Verlag für Sozialwissenschaften
Wernet, A. (1997): Professioneller Habitus im Recht. Berlin.