Projekte
laufend
- Letztentscheidung und Habitusformation - Spannungen zwischen professionellem Handeln und Familiendynamik am Beispiel von familienrichterlichem Handeln im Kinderschutz
Justizjuristen leiten einen Prozess und fällen ein Urteil, um eine Strittigkeit zu lösen, die von einander opponierenden Parteien selbst nicht auflösbar ist (Maiwald, 1997, S. 104). Am Zivilgericht in Familiensachen ist schon am Sprachgebrauch zu erkennen, dass der Richter als vermittelnde Instanz in Erscheinung tritt und darauf zuarbeitet, eine gütliche Einigung der Streitenden zu erreichen: Eingeleitet werden keine Gerichtsprozesse, sondern Gerichtsverfahren und gefällt werden keine Urteile, sondern Beschlüsse (Müller 2020). Diese Orientierung an einem Rechtsfrieden, also daran, dass keine Partei das Verfahren durch neue Klagen delegitimiert und den Rechtsstreit in einem neuen Verfahren fortführt, gilt für Klärungen zu Sorgeverhältnissen allgemein und nicht nur für einen Rechtsstreit in Nachtrennungsfamilien (vgl. zu letzterem Maiwald 2004, S.79ff.).
Der juristische Zugang zu Fällen von Kindeswohlgefährdung geht über ein Auffinden von rechtlichen Normen, um einen Prozess zum Abschluss zu bringen (so Stegmeier 2009, S.15) hinaus und bezieht familiale Problemlösungsmöglichkeiten in vielfältiger Weise mit in das Gerichtsverfahren ein. Denn die Sorgeverhältnisse, in denen ein Kind aufwächst, werden als die zentrale Einflussgröße für die Abwendung einer Gefahr betrachtet. Als ausgebildete Juristinnen und Juristen greifen Richter auf ihre professionelle Rechtskenntnis und Auslegungspraxis zurück, um in Kindeswohlgefährdungsverfahren über die Abwendung von Gefahren zu entscheiden. Sie generieren durch die Anhörung von Kindern, Eltern und involvierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Jugendhilfe sowie über das Studium von Berichten des Jugendamts und der Verfahrensbeistände sowie gegebenenfalls weiterer Experten ein Verfahrenswissen, das den Ausgangspunkt ihrer Entscheidung für eine juristische Problemlösung auf der Grundlage des geltenden Rechts bildet. Zwischen der materialen Dimension des Einzelfalls und der formalen Dimension des Katalogs rechtlicher Normen steht die juristische Profession „gleichsam zwischen der lebenspraktischen Krise und dem Anspruch verallgemeinerungsfähiger Geltung“ (Wernet 1997, S. 275). Genau an diesem Anspruch setzt Kritik an der Entscheidungspraxis im Familiengericht an, die auf fehlendes Wissen um Kindesentwicklung und Gefährdungssituationen abzielt (vgl. Salgo 2018). Dissens in dieser Frage, eine Steigerung der Verfahren, neue Regelungen zu Kompetenzen von Richterinnen am Familiengericht sowie festgestellte Veränderungen im beruflichen Habitus von Richtern machen eine Forschung zur juristischen Praxis bei Kindeswohlgefährdung relevant für die soziologische Forschung. In der Forschungsarbeit steht die Frage im Vordergrund, wie sich die Entscheidungssituation für Richterinnen und Richter in Kindeswohlgefährdungsverfahren darstellt und welcher professionelle Habitus hierfür notwendig ist. Mit Habitusformation (Oevermann 2004, S.164) wird dabei an ein Theorem angeschlossen, das die Herausbildung des Verhaltensgepräges vor allem sozialisatorisch, über den Prozess der Entwicklung von Handlungsautonomie in Familie und Gesellschaft begründet.
Zur Erforschung dieser Frage nach der habituellen Begründung von Letztentscheidungen wird der Weg der rekonstruktiven Sozialforschung anhand von Forschungsgesprächen (Loer 2021) mit Richterinnen und Richtern am Familiengericht sowie mit einer Genogrammanalyse (Hildenbrand und Konrad 2021) über drei Generationen beschritten. An der genauen Analyse des Einzelfalls wird aufgezeigt, wie juristische Entscheidungsprozesse im Kinderschutz vor einem spezifischen sozialgeschichtlichen Hintergrund getroffen und begründet werden (Bude 2001, 110). Dabei zeigt sich an der Verlaufskurve des Einzelfalls, dass der Gerichtsbeschluss nur dann das letzte Wort in Sachen Kinderschutz sein kann, wenn eine Krisenlösung rechtlicher und familiärer Probleme zugleich erreicht wird.
abgeschlossen
- Die gleichgeschlechtliche Familie. Soziologische Fallstudien.
- Ein weiterbildendes Zertifikatsstudiums „Kinderschutz“ wurde aufgebaut
- Jugendhilfe in Transformationsprozessen
- Promotionskolleg „Familie im Wandel. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung“
- Spendersamenkinder und ihr technologisch vermittelter Lebensanfang. Eine Studie über die Bedeutung der psychohistorischen Dimension der Identitätsfindung