Forschungsprojekte am Lehrgebiet Allgemeine Bildungswissenschaft

Die Colonia Dignidad als Gegenstand Politischer Bildung

Projektleitung: Dr. Carlos Willatt (UC, Santiago de Chile), Dr. Marc Fabian Buck, Dr. Miriam Diederichs (beide FernUniversität in Hagen)

In diesem Forschungsprojekt werden drei unterschiedliche, miteinander verknüpfte Ziele verfolgt:

  1. Erstens streben wir die Weiterentwicklung theoretischer Perspektiven auf Politische Bildung (Caruso & Schatz 2018) im internationalen Kontext an, jenseits von standardisierten Zielen einer Global Citizenship Education (GCE bzw. GCED) und ihrer Kritik (Drerup 2019). Mit dem Konzept der Glocalization (Robertson 1995; Roudometof 2016) soll am Beispiel der Colonia Dignidad eine produktive Irritation der GCE und ihrer standardisierten Messung in Form der ICCS erfolgen.
  2. Zweitens sollen zweisprachige, didaktische Materialien für den Einsatz in (mindestens) chilenischen und deutschen Schulen erstellt werden. Hierfür werden sowohl bereits veröffentlichte Augenzeugenberichte herangezogen, als auch die Interviews des CDOH, als auch neues Material erhoben und erstellt werden. Hier wurden im November 2022 bereits ethnographische Studien und Interviews in der Villa Baviera durchgeführt.
  3. Drittens erforschen wir aus Perspektive Ästhetischer Bildung (Willatt 2019) die Frage nach dem Zusammenhang von ästhetischer Kontinuität (am Beispiel der Colonia Dignidad bzw. Villa Baviera) und der (Un-)Möglichkeit der Genese eines historisch-politischen Bewusstseins. Auch hierfür greifen wir auf vor Ort erhobenes Material zurück und verbinden in innovativer Weise Vorarbeiten zum kollektiven Gedächtnis und Erinnerungskulturen (Erll 2008) mit Gedenkstättenarbeit und -pädagogik.

Laufzeit: 2022-

Buchprojekt: Critically Assessing the Reputation of Waldorf Education in Academia and the Public (2 Bde.)

Projektleitung: Ann-Kathrin Hoffmann B.A., Dr. Marc Fabian Buck

Die Waldorfschulen (und in geringerem Maße auch die Kindergärten) blicken auf eine mehr als 100-jährige Tradition zurück und sind eine der beständigsten Organisationen im Bildungssystem. Ihr Ruf und ihre Beliebtheit variieren jedoch von Gesellschaft zu Gesellschaft. Noch bemerkenswerter ist die oft starke Kontroverse über die ideologischen Grundlagen, Methoden und andere Aspekte der Waldorfpädagogik. Beispiele und Auslöser für diese öffentlichen Kontroversen und Diskussionen sind zahlreich: die Veröffentlichung und Diskussion von "What they don't tell us" zweier Waldorf-entfremdeter Eltern in Norwegen im Jahr 2010, die Nähe zu rechtsextremem Gedankengut von Waldorflehrern in Deutschland im Jahr 2015, die gescheiterten Ofsted-Inspektionen von Waldorfschulen in Großbritannien im Jahr 2019. Zuletzt, Ende 2020, war die Diskussion um die Kritik des französischen Philosophielehrers Grégoire Perra an der Nähe der Anthroposophen zu Verschwörungstheoretikern in den Nachrichten sowie die teilweise enge Verbindung zwischen Waldorfschulen und -lehrern und den Leugnern und Verschwörungstheoretikern um Covid-19, insbesondere, aber nicht nur in Deutschland.

Inzwischen ist die Waldorfpädagogik nur noch ein Randthema im wissenschaftlichen Diskurs. Selten ist sie Teil historischer Diskussionen über Reformpädagogik um 1900 oder in Bezug auf andere Reformer (vor allem Maria Montessori), mitunter wird sie als typischer Fall für Privatschulen heute herangezogen. Dieser Sammelband versammelt Perspektiven aus aller Welt, um herauszufinden, wie die Waldorfpädagogik im öffentlichen und akademischen Diskurs wahrgenommen und diskutiert wird. Bildungssysteme sind in einer globalisierten und vernetzten Welt eine der letzten nationalen Zufluchtsstätten (aufgrund nationaler oder staatlicher Gesetzgebung und Lehrpläne) und daher ein plausibler Ausgangspunkt für globale Forschung zu diesem Thema. Darüber hinaus sind lokale, regionale oder nationale Sprachen wichtige Bezugspunkte für Diskurse und die Übernahme und Übersetzung von Steiners Ideen.

Der Sammelband versammelt als internationales Forschungsprojekt insgesamt 15 Fallstudien aus europäischen, asiatischen, afrikanischen und amerikanischen Ländern. Ziel ist es, erste Einblicke in identifizierte und rekonstruierte Orte, Strukturen und Formen von Diskursen über Waldorfpädagogik zu geben. Mit dem Projekt sollen auch Vorarbeiten für weitere Forschungen im Bereich der internationalen Waldorfbewegung geleistet werden, etwa zu Akteuren und Akteursnetzwerken, Diskurssouveränität etc. Ein Alleinstellungsmerkmal dieser Arbeit ist die Internationalisierung der akademischen Waldorfforschung, die sich bisher vor allem auf einzelne Phänomene oder Länder beschränkt hat. Der Band fördert vergleichende Studien zu einer scheinbar einheitlichen Pädagogik und ihrer Diskussion und geht der Frage nach Kontinuität und Wandel von Ideen und Praktiken der Waldorfpädagogik in unterschiedlichen Konstellationen nach. Dabei rekurriert er einerseits auf die globale Verbreitung von Ideen und andererseits auf das historische Konzept der "fortschrittlichen Pädagogik" als internationale Bewegung.

Dieses Buchprojekt ist der erste international vergleichende Versuch, die Waldorfbewegung und ihre vielfältigen Erscheinungsformen zu analysieren. Die internationalen Fallbeispiele haben unterschiedliche methodische Ansätze, die sich auf verschiedene Forschungsstände und Ebenen der öffentlichen oder akademischen Diskussion beziehen. Das gemeinsame Band der Beiträge sind vor allem zwei Leitfragen: Erstens, wie die Waldorfpädagogik a) in der Öffentlichkeit und b) in der Wissenschaft wahrgenommen und diskutiert wird, ob sie demnach ein Konzept ist, das akzeptiert/angesehen/kanonisiert und/oder Teil der (öffentlichen) Lehrer- oder Berufsausbildung ist; zweitens, was die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen "öffentlichen" und "akademischen" Diskursen sind und ob es Einflüsse zwischen beiden gibt.

Laufzeit: 2022-2023

Buch- und Videoprojekt: Strömungen und Denkstile der Pädagogik

Projektleitung: Jan F. Bossek M.A., Dr. Marc Fabian Buck

Die Pädagogik hat in den vergangenen Jahrzehnten eine stete Pluralisierung auf theoretischer Ebene erfahren. Neben der Geisteswissenschaftlichen Pädagogik werden nunmehr Perspektiven der Kritischen Erziehungswissenschaft, der Phänomenologischen Erziehungswissenschaft, der Poststrukturalistischen oder Psychoanalytischen Pädagogik usw. fortwährend theoretisiert. Diese disziplinären Strömungen verfügen über spezifische Termini und greifen auf bestimmte Denktraditionen zurück, um pädagogische Zusammenhänge zu beschreiben und zu analysieren. Angesichts dieser Pluralität lässt sich aktuell kaum von Paradigmen und ihrem Wechsel oder, mit Dietrich Benner gesprochen, von ,Hauptströmungen‘ sprechen, sondern eher von einer Ausdifferenzierung pädagogischer Strömungen und Denkstile (im Sinne Ludwik Flecks).

Diese Diagnose ist der Ausgangspunkt für das Buch- und Videoprojekt, das als Aktualisierung und Auffächerung des erziehungswissenschaftlichen Klassikers „Hauptströmungen der Erziehungswissenschaft“ (zuletzt 2001, erstmals 1973) Dietrich Benners konzipiert ist. In dessen Rahmen werden neun variante Pädagogiken von einschlägigen Kolleginnen und Kollegen, die die jeweiligen Strömungen und Denkstile zu vertreten wissen, einführend in Form von Texten und Videos vorgestellt. Adressatinnen und Adressaten sind Studierende des Lehramts und pädagogischer Hauptfächer im Bachelor-Studium, da es gerade für diese Zielgruppen ein Hindernis darstellen kann, die theoretischen Implikationen hinter differenzierten Fachtermini, die in wissenschaftlicher Literatur mitunter undefiniert und intransparent bleiben, zu durchschauen und so die jeweils vertretene disziplinäre Sichtweise nachvollziehen zu können.

Das Projekt versteht sich zugleich als Forschungsbeitrag und Bestandsaufnahme zum Identitätsproblem der Erziehungswissenschaft, wie es in den vergangenen Jahren reflexiv und empirisch behandelt wurde (Binder & Meseth 2020; Glaser & Keiner 2014; Kauder 2010; Kempka 2018; Vogel et al. 2018). Aus dem Projekt soll diese wissenschaftstheoretische Forschung vorangetrieben und Verhältnissetzungen unterschiedlicher Denkweisen vorgenommen werden – wohlbemerkt mit Bezug auf kategoriale Fixpunkte des jeweiligen Denkstils.

Zugehörige Videos:

Laufzeit: 2022-2023

Marc Fabian Buck | 09.04.2024