Kolloquium

Thema:
Historische Vergleiche genozidaler Gewalt als politische Ressource: Ringen um Anerkennung, politischer Diskurs und geschichtspolitische Praxis in Belarus und der Russländischen Föderation
Referent/-in:
Gundula Pohl, Hagen
Adresse:
FernUniversität, Universitätsstraße 33, Gebäude 2, Raum 4+5
Sofern Sie an einer TN per Zoom interessiert sind, wenden Sie sich bitte an karin.gockel@fernuni-hagen.de
Termin:
07.05.2024, 18:15 Uhr

Staatliche Akteure in Belarus und der Russländischen Föderation stellen mit Verweis auf Gewalt in der Gegenwart eine Vergleichsebene zum Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust her. Derzeit sind in beiden Ländern geschichtspolitische Projekte zur Schaffung eines Diskurses um einen nationalsozialistischen Genozid an der sowjetischen/ belarusischen Bevölkerung im Gang. Ihr Ziel ist es, historische Massengewalt des Zweiten Weltkrieges national wie international als Genozid zu klassifizieren und eine Meistererzählung als Grundlage gesellschaftlicher Erinnerung zu implementieren. Generalstaatsanwaltschaften untersuchen die historischen Verbrechen; regionale und nationale Parlamente erkennen die Genozide an, Gerichte verhandeln historische Verbrechen, Quellenbände werden publiziert, Ausstellungen eröffnet, Filme und Webserien produziert. Den geschichtspolitischen Akteuren geht es vornehmlich nicht um historische Aufarbeitung, sondern um politische Nutzung. So ist der Genozidvorwurf in außenpolitischer Hinsichteine Reaktion auf Sanktionen westeuropäischer Staaten. In Belarus ist das geschichtspolitische Projekt auch eine ideologische Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen im Land seit Spätsommer 2020. Der russländische Machthaber Vladimir Putin nutzt darüber hinaus seit mehreren Jahren ausgedachte Genozidvorwürfe als Propagandainstrument, so im Zuge des Georgieneinmarsches 2008 und des Ukraineangriffs ab 2014 und erneut 2022.

Im Kolloquiumsvortrag stelle ich mein Promotionsprojekt vor, in dessen Rahmen ich Genoziddiskurse und Praktiken des Vergleichens mit dem Nationalsozialismus und dem Holocaust als geschichtspolitische Praxis in Belarus und der Russländischen Föderation untersuche. Die im Mittelpunkt stehenden Diskursanalysen um einen „Genozid am sowjetischen Volk“ und einen „Genozid am belarusischen Volk“ bette ich in einen größeren regionalen Kontext um die Benennung und Klassifizierung von Massengewalt als Genozid ein. Zudem untersuche ich, inwiefern sich Verweise auf das in der UN-Konvention normativ eng gefasste Genozid-Konzept in bestimmte Formen von symbolischem Kapital überführen lassen und damit die Voraussetzung geschaffen wird, um das Konzept heute in unterschiedlichen Kontexten neu zu interpretieren.

Karin Gockel | 08.04.2024