Projekt

Die lateinische Geographie des Ptolemaios. Wissenstradition zwischen Wissen, Nichtwissen und Ignoranz

Projektleitung:
Dr. Gerda Brunnlechner
Status:
laufend
fördernde Einrichtungen:
Vorbereitung eines Antrags auf DFG-Projektförderung

Kurzbeschreibung

Werkstattbericht

Die lateinische Übersetzung der Geographie des Alexandriner Astronomen Klaudios Ptolemaios (*um 100 n.Chr.–um 170 n.Chr.) wurde spätesten 1409 in Florenz fertiggestellt. Sie enthielt drei Methoden zur Projektion der Erdoberfläche auf eine plane Fläche samt erläuternder Skizzen, mehrere Tausend Ortsnamen mit Koordinatenangaben als Grundlage für die Projektion und bald auch Karten. Nahezu sofort entwickelte die Geographie starken Einfluss auf die Wahrnehmung von Geografie und Kartografie, ihre Handschriften wurden innerhalb weniger Jahrzehnte über Lateineuropa verbreitet, wovon über 130 erhaltene lateinische und über 60 erhaltene griechische Exemplare zeugen, die bis Anfang des 16. Jahrhunderts erstellt worden waren. Der erste Druck der Geographie erfolgte 1475 in Vicenza, bis zur grundlegenden 1513 folgten weitere 13 Editionen.

Trotz der Wirkmächtigkeit dieses Werks gilt heute jedoch die These, ihre Übersetzung hätte eine wissenschaftliche Revolution ausgelöst, zu Recht als überholt. Denn es zeigt sich, dass die Geographie Innovationen nicht nur beförderte, sondern vielfach auch entscheidend hemmte. Außerdem fassen moderne wissensgeschichtliche Ansätze Wissenserwerb nicht mehr als Abfolge revolutionärer Durchbrüche auf. Vielmehr liegt der Fokus auf der Heterogenität der sozialen Prozesse der Wissensvermittlung, wobei die fortlaufende Umformung des Wissens durch dessen Zirkulation eine zentrale Rolle spielt. In diesem Zusammenhang kann Wissen nach Achim Landwehr als Set von Vorstellungen begriffen werden, das „von einer sozialen Gruppe als gültig und real anerkannt wird“.

Dieses Projekt will die Ambiguität vormodernen Wissenserwerbs beleuchten, indem die Zirkulation der Geographie als Abgrenzungsarbeiten zwischen nützlich und unnütz bzw. gültig und ungültig untersucht wird. Dabei geht es nicht darum anhand binärer Gegensatzpaare exakte Scheidelinien zu bestimmen, denn auch uneindeutige Ergebnisse fanden in vormodernen Kulturen durchaus Akzeptanz. Vielmehr wird die Entwicklung epistemischer Tugenden bzw. Untugenden und die Verwobenheit von Wissenserwerb mit Ignoranz und Vergessen in den Blick genommen, indem die Kategorien, Abgrenzungen und Einteilungen eingegrenzt werden, die das Interesse an der Geographie bestimmten und eventuelle Wahrheitsgeltung ermöglichten. Angesetzt wird zum einen an dem räumlich-zeitlich-sozialen Netzwerk der Wissensvermittlung, das sich aus bereits bestehenden Beschreibungen der einzelnen Exemplare erschließen lässt. Zum zweiten wird die Vielgestaltigkeit der einzelnen Handschriften und Druckeditionen hinsichtlich medialer Einschachtelungen, innerer Strukturierung, Veränderungen und Nutzungsspuren untersucht und in das Wissensnetzwerk eingearbeitet. Die Aufarbeitung des umfangreichen Quellenbestands wird mit Hilfe von Werkzeugen der Digital Humanities ermöglicht, welche die Transkription, das Auszeichnen und Analysieren der Texte sowie die Visualisierung des Netzwerks unterstützen.