Rhetorik und Res humanae

Ich bin für gar nichts. Nur dafür bin ich, daß man keinen Unsinn redet.

— Abbé Galiani

I. Vorbemerkung

Ob die Menschen je in einem Sein wohnten und seiner innewurden, ob sie in einem Gefüge der Instinkte schon Menschen waren oder erst nach dessen Verlassen geworden sind, wo sie zwischenzeitlich, ob als Mängelwesen oder nicht vielmehr als Überschußwesen gehaust haben mögen, durch welche Haine, Tempel und Kirchen, Festungen, Lager und Institutionen ihre Wanderschaft sie auch geführt hat, jedenfalls scheinen sie seither nach vielen Umzügen und etlichen Auszügen bis heute in der Sprache zu wohnen, was auch für die happy few gilt, die nach Hölderlin dichterisch wohnen.

Zwar bietet die Gegenwart den Menschen die Aufnahme in die großen Systeme an, doch mit der Einschränkung, daß sie in diese nur über ihre Rollen und nicht als Menschen eingehen dürfen[1], so daß sie die alte Wohnung so schnell nicht verlassen werden, und wenn, dann doch immer dorthin zurückkehren müssen, um in ihr die menschlichen Dinge abzuhandeln. Die Sprache konstituiert die Conditio humana.

Dieser Zusammenhang ist von vielen Denkweisen gesehen worden, von den magischen, mystischen, religiösen und philosophischen, ohne daß er nun seinerseits diese Denkweisen bestimmt hätte. Eine Ausnahme machte von jeher die Rhetorik.

Da sich menschliche Praxis nicht im Sprachhandeln erschöpft, ist von Interesse, welche anderen Denkweisen das nichtsprachliche Handeln der Menschen berücksichtigen und was diese auf Grund dieser gemeinsamen Handlungsorientierung mit der Rhetorik verbindet. Dabei soll jeweils nur eine Denkweise akzeptiert werden, für die der Handlungsaspekt konstitutiv und nicht peripher ist.

In diesem Beitrag wird also die Frage gestellt, welche Denkweisen die Praxisorientierung mit der Rhetorik gemeinsam haben und was das ihnen Spezische sein könnte.

Aus dem Kontext dieses Aufsatzes soll einsichtig werden, wann jeweils Rhetorik primär als analytische Disziplin und wann sekundär als praktische Wirkungstechnik oder als Rede, die sich ihrer immer schon rhetorischen Funktion nicht bewußt ist, verstanden wird. Obwohl diese zwei Ebenen des Rhetorischen leicht auseinanderzuhalten sind, geschieht es trotzdem selten; so ist zum Beispiel die rhetorische Rechtstheorie eine rein analytische Theorie.[2]

II. Einleitung

„Die Hoffnung ist eine große Verfälscherin der Wahrheit.“

— Baltasar Gracián

Der antirhetorische Affekt vereint so unterschiedliche Gegner wie die Philosophie, die Religion und die Politik. Ihre gemeinsame Furcht, die Rhetorik könne das Gerede, das sich als Rede im Dienste der Wahrheit, des Heils oder der Menschen ausgibt, entlarven und dessen bloße Meinungsmäßigkeit decouvrieren, reizt geradezu, sich mit Rhetorik zu beschäftigen.

Rührt diese Furcht vielleicht daher, daß die Rhetorik nach Aristoteles die einzige Disziplin ist, die nicht nur den Gegenstand betrachtet, sondern „darin immer den Partner berücksichtigt“[3]? Rückt sie den Menschen dadurch zu nahe? Wenn dem so wäre, dann stünde die Rhetorik ja in besonderer Weise den Res humanae am nächsten, dann wäre sie es, die nicht nur das Menschliche, sondern das Allzumenschliche, weil sie es erfolgreich benutzen will, am besten kennen müßte. In der Redepraxis sind nicht nur die ausgetauschten Argumente wirkungsvoll, sondern auch ihre Anwender. Die Plausibilität der Argumente verweist auf die Glaubwürdigkeit ihrer Benutzer. Argumentation kann von den Argumentierenden und deren situativer Verhaftung nicht getrennt werden.

Da die Rhetorik nur diese Wirkung will, entblättert sie das scheinbar absichtslose Absichtsvolle der Argumentationen, die von den Menschen wegführen. Die Rhetorik verlangt von dem, der bewegen will, den ganzen Menschen und erfaßt, weil sie ihn bewegen will, den ganzen Menschen. Sie weiß um die Krypto- und Pseudoargumente, um die zutreffenden und die Fehlargumente, um die rationalen und die irrationalen, die sachlichen und die persönlichen, um die des Herzens und um die des Geistes.[4]

Aber. So wenig wie die Philosophie oder gar die Wissenschaft ist die Rhetorik der Ursprung der menschlichen Dinge, diese entstehen im vordisziplinären Bereich zwischen den Menschen, es sind diese menschlichen Beziehungen selbst, so vermittelt diese durch die kulturell vorgegebenen und ethnostrukturell geprägten sozialen Steuerungssprachen sein mögen. Allerdings erfahren diese „Dinge“ durch die Rhetorik die ihnen gemäße Fassung: „Explicanda est oratione communis condicio lexque vitae.“[5]

III. Das Philosophieren

„Se moquer de la philosophie, c’est vraiment philosopher.“

Blaise Pascal

Nach all den philosophischen Versuchen, das Recht in Beziehung zur Erkenntnis, zur Vernunft, zur Wahrheit, zur Logik, zum Wesen, zur Natur, zum Sein, zur Geschichte, zur Wissenschaft, zu ewigen Ideen oder zu absoluten Prinzipien zu bringen, es immer und in jedem Fall zu metaphysieren, bietet sich an, es in aller Bescheidenheit wieder in einen vordisziplinären, allgemein menschlichen Rahmen zu stellen: „Es sind nämlich theoretische Aussagen über Dinge des menschlichen Empndens und Handelns weniger zuverlässig als die Tatsachen: Wenn sie daher der Erfahrung widersprechen, so ist ihre Geltung dahin, und sie zerstören noch dazu, was objektiv richtig ist.“[6] Das Recht selbst – sein rein meinungsmäßiges Reden und Denken, sein Entscheidungscharakter, sein Handlungsbezug – scheint dazu aufzufordern, es wieder als eine Prudentia iuris zu verstehen.[7]

Ausgangspunkt eines solchen Rechtsdenkens muß daher immer die Conditio humana sein, mit der strengen Auflage, diese nicht einer Philosophie im Sinne einer Abstraktion, eines Systems, der Generalisierung oder Teleologie zuliebe aus dem Blick zu verlieren. Es soll damit aber keinem naiven, verblasenen Humanitarismus das Wort geredet werden, vielmehr soll, wenn auch lediglich tentativ und deshalb in der Form essayistisch, skizziert werden, welche Disziplinen dieser Conditio humana näher standen und stehen als die eingangs verworfenen Versuche der einzelnen Philosophien. Dabei wird hier streng zwischen den Philosophien und dem Philosophieren unterschieden, ganz im Sinne der pyrrhonischen Unterscheidung zwischen dogmatischer Philosophie und zetetischem Philosophieren[8], wobei die Dogmatik Indiz ihrer bloßen Meinungsmäßigkeit ist, die als unphilosophisch abgelehnt wird, während das Philosophieren als Zetetik das suchende Forschen und Analysieren intendiert. Es ist jedoch nicht nur die zetetische Haltung, die die dogmatische ausschließt. Wenn das zetetische Philosophieren nicht der Dogmatisierung anheimfallen soll, muß es auf bestimmte Gegenstände, über die man nur meinungsmäßig (doxisch) sprechen kann, als Themen seines Analysierens verzichten. Infolge dieser Themenbeschränkung können die menschlichen Dinge nicht mehr Gegenstand des Philosophierens sein, wodurch diese keineswegs unbedacht sich selber überlassen bleiben, wie noch zu zeigen sein wird. Der einzige dem Philosophieren noch verbleibende Gegenstand ist nach dem hier vertretenen Konzept das Denken.

Philosophieren ist Denken über Denken. Alles Denken über andere Gegenstände, und sei es „der“ Mensch, das Leben, das Sein, das Gerechte, die Gesellschaft, das Ganze und so weiter, ist meinungsmäßiger Art: „Die Meinung richtet sich ja auf das, was auch anders sein kann, genau wie die Besinnung.“[9] Die Vielzahl der „Philosophen“ auf diesen Gebieten spricht für sich.

Auch macht der Anspruch auf Erkenntnis, Wahrheit, Universalität und Objektivität das Philosophieren für das unmittelbare Nachdenken über andere Gegenstände als das Denken ungeeignet, weil es von eben diesen Ansprüchen her diese erwähnten Gegenstände nicht erreicht, was hingegen dem Meinen mühelos gelingt, indem es gerade auf diese Ansprüche verzichtet und dafür eben Wahrheitsunbestimmbarkeit, Situationsabhängigkeit, Relativismus und Perspektivismus akzeptiert.

Genau dies ist das Dilemma jeder sogenannten „praktischen“ Philosophie, die entweder in der Entscheidung für die Aufrechterhaltung der Ansprüche des Philosophierens den Praxisbezug verliert oder in der Wahrung dieses Bezugs jene philosophischen Ansprüche aufgeben muß, und welches hier dadurch gelöst wird, daß zum einen der Gegenstand des Philosophierens auf das Denken zurückgenommen wird und zum anderen das praxisbezogene Denken als meinungsmäßiges der Disziplin der Phrónesis[10], hier Prudentia genannt, zugeordnet wird[11]. Die Legitimität dieses Denkens liegt in seiner bewußt akzeptierten Subjektivität, was nichts anderes bedeutet, als daß die an der Praxis beteiligten Subjekte bei jeder prudentiellen Überlegung berücksichtigt werden.[12] Es wechseln sowohl die daran beteiligten Subjekte als auch ihre Meinungen sowie die Situationen, in denen sie sich jeweils benden. Die dadurch immer vorhandene Fluktuation der Standpunkte kann nur in einem meinungsmäßigen Denken aufgefangen werden, darin liegt eben gerade dessen Humanität, daß es eine diesen Wechseln entsprechende Flexibilität besitzt.

Im Ergebnis bedeutet dies: Nicht Praxis, sondern nur das die Praxis regelnde Denken (Phrónesis, Prudentia) kann selbst wieder zum Gegenstand des Philosophierens gemacht werden; so ist demzufolge juristisches Denken Gegenstand der Rechtsphilosophie, dessen tatsächliche Bedingungen, inhaltliche Voraussetzungen, seine verwendeten (sprachlichen) Mittel, seine Regeln, Formen und praktischen Ziele, kurz: Gegenstand der Rechtsphilosophie ist die Jurisprudenz.[13]

Philosophieren als analytische Haltung ist also immer auf schon Gedachtes angewiesen. In der Beschränkung auf die Analyse der jeweiligen Denkweisen sind philosophisch haltbare Ergebnisse zu erwarten. Die rhetorische Betrachtungsweise, soweit sie sich auf die Analyse des Gesprochenen und somit Gedachten beschränkt, kann insofern dem Philosophieren an die Seite gestellt werden. Eine rhetorische Rechtstheorie wird daher auch nicht der Gefahr erliegen, daß sie in einer materialen, dogmatischen Philosophie endet.

Als für dieses Thema, „Rhetorik und Res humanae“, relevantes Ergebnis ist festzuhalten: Die menschlichen Angelegenheiten gehören als Gegenstand der Erörterung nicht in die Philosophie, sondern in die Prudentien. Die Prudentien (des Rechts, der Politik, der Moral, der Ökonomie) können unter rhetorischen Aspekten analysiert werden, weil jene auf Grund ihrer Meinungsmäßigkeit (Doxität) immer argumentativ verfahren[14]; die rhetorische Argumentationsanalyse legt die in diesen Prudentien eingesetzten Mittel offen, nunmehr im Sinne ihrer praktischen Wirkungstechnik.[15]

Exkurs: In der angegebenen Weise, Philosophieren sei ein Denken über das Denken, kann über jede ausformulierte Philosophie philosophiert werden, das heißt, es kann gegen jede dieser Philosophien der Verdacht ihrer schieren Meinungsmäßigkeit erhoben werden. Wie berechtigt dieser Soupçon ist, läßt sich beispielsweise an einer unausgesprochenen Voraussetzung der europäischen Philosophie nach pyrrhonischer Methode vorführen[16], indem dieser Voraussetzung eine gleichwertige entgegengesetzt, damit jene bewußt gemacht und gleichzeitig deren Meinungsmäßigkeit und Beliebigkeit vorgeführt, also ihre philosophische Unhaltbarkeit gezeigt wird.

In der abendländischen Philosophie ndet sich überwiegend eine selbstverständlich gewordene Tendenz, linear zu denken, ein Schema, das wesentlich durch den Mosaismus über das Christentum eingedrungen ist, aber auch in der antiken griechischen Philosophie in Platons Ideenlehre und in der Entelechie des Aristoteles angelegt war und seither in jeder Teleologie, sei sie nun religiös oder philosophisch, historisierend oder politisch, nachweisbar ist, bis hin zu Rousseau, Kant, Hegel, Marx und Bloch.

Diesem linearen Schema kann gleichrangig das zyklische entgegengesetzt werden, das die bei aller Varietät sich doch gleichbleibende menschliche Natur ins Zentrum ihrer Betrachtung setzt, allerdings nicht als denierte Größe einer verkürzten Anthropologie oder einer sonstigen Dogmatisierung, jedenfalls nicht teleologisch, sondern im Bewußtsein des antinomischen, oft paradoxen, manchmal absurden, ebenso vernünftigen wie egoistischen und selbstlosen Wesens der Menschen. Diese zirkuläre, anthropozentrische Betrachtungsweise (der Menschen, wie sie sind und nicht, wie sie sein sollen) ndet sich beispielsweise im Koheleth, bei Herodot, Empedokles, Thukydides, Polybios, Horaz, Marc Aurel, Machiavelli, Vico, Gracián, Chamfort, Nietzsche.

In dieser Gegenübersetzung des zyklischen zu dem linearen Denken ging es nur darum zu zeigen, wie tief die meinungsmäßigen Voraussetzungen reichen, ohne sich für das eine oder andere zu entscheiden, zumal wegen des doxischen Charakters der Frage philosophische Unentscheidbarkeit besteht. Das heißt nicht, daß zwischen den beiden Denkstilen nicht meinungsmäßig, zum Beispiel ästhetisch, politisch oder moralisch entschieden werden könnte; so spräche etwa der geringere Deutungsaufwand mehr für das zyklische Denken, zumal es eher zu den Menschen hin, das lineare hingegen von den Menschen weg zu führen scheint.

IV. Die Prudentia

„Der Zwang zu entscheiden ist stärker als die Fähigkeit zu erkennen.“

Immanuel Kant

Im Gegensatz zum Philosophieren akzeptiert die Prudentia die Doxität ihrer Aussagen.[17] Die Lebenspraxis selbst legitimiert ihren dogmatischen Charakter. Eine für diesen vitalen Bedarf bereitgestellte Dogmatik bildet den instrumentellen Kern jeder Prudentia. Unter einer Dogmatik verstehen wir ein außer Frage gestelltes Meinungsgefüge zur Herbeiführung von Entscheidbarkeit und Begründbarkeit im jeweiligen Wertbereich.[18] Eine sich ihres dogmatischen Charakters bewußte Prudentia weiß auch um ihren Perspektivismus, um ihre Relativität, ihre situative Bedingtheit, in der sie über die menschlichen Belange handelt, um die innere Unendlichkeit der Kasuistik, die im Rahmen des sich Wiederholenden und des Gewohnten variiert.[19] Sie weiß um die schwankende und widerspruchsvolle Natur der Menschen[20], um die Antinomien im Begründen und die Aporien im Entscheiden, die auszuhaltenden Paradoxien und die weiterführenden Inkonsequenzen; sie hat im Vorläugen abschließend zu entscheiden und im Ungewissen Gewißheit darzustellen.[21] Sie trifft Vorurteile, um Urteile möglich zu machen, stellt vor Eintreten einer Situation Entscheidungshilfen mit dem ganzen Risiko der Situationsverfehlung durch vorsituatives Normieren bereit, denn erst die Situation entscheidet über die Gemäßheit, die Eignung der Norm. Und wo die Prudentia, wie im Recht, unter Entscheidungszwang steht, ist sie bereit, ihre Meinungen außer Frage zu stellen und eben diese Dogmatisierung zu institutionalisieren, um auch dem Begründungszwang zu genügen. Indem sie sich des weiteren dem Deutungszwang unterwirft, überbrückt sie die Spannung zwischen der endlichen Zahl normativer Sätze und der unendlichen Menge kasuistischer Möglichkeiten (leges certae, facta innita)[22], indem sie das Unvorhersehbare als vorhergesehen interpretiert. Im Normsetzungszwang kulminiert die vitale Funktion jeder Prudentia, im Vorläugen Halt zu bieten, Orientierung zu liefern und statt ewiger Fragen gegenwärtige Antworten zu geben.

In der Endgültigkeit der Endlichkeit der Conditio humana sind die politischen, wirtschaftlichen, moralischen und juristischen Prudentien außer Frage gestellte Meinungsgefüge[23], um die Entscheidbarkeit und Begründbarkeit notfalls unter Zuhilfenahme der Deutbarkeit ihrer Aussagen unter wechselnden Bedingungen zu garantieren, wobei ihre Änderbarkeit trotz deren volitiven und dezisionistischen Charakters denselben institutionellen Bedingungen zu genügen hat.

Man könnte sich denken, daß diese Prudentien sich aus den menschlichen Belangen, den daraus resultierenden Problemen und Lösungen unter Verweis auf ihre Ergebnisse selber begründen und deshalb normativ sich selbst genügen könnten: Prudentien sozusagen als selbstreferentielle Systeme einer verinnerlichten, normativen, gelebten Wirklichkeit der in der Selbstverständlichkeit einer Res publica agierenden Menschen, wie etwa im römischen Recht.

Zeitgemäß scheint die Vorstellung einer solchen Möglichkeit aber nicht mehr zu sein. Vielmehr enthalten unter neuzeitlichen gesellschaftlichen Bedingungen (seit 1776) diese Prudentien so gut wie immer ein von den Meinungsdenkern unter den Philosophen bereitwillig geliefertes Menschen-, Gesellschafts-, Welt- und Wirklichkeitsbild mit Erkenntnisanspruch („Wir halten diese Wahrheiten einer Begründung nicht für bedürftig“!), deren Anspruch von den menschlichen Belangen und ihrer adäquaten Erfüllung wegführt (in eine ferne, dafür aber paradiesische diesseitige oder jenseitige Zukunft), eben weil sie scheinbar philosophisch-erkenntnismäßigen und nicht nur bekenntnishaft-prudentiellen Ansprüchen genügen wollen. In einer wissenschaftlichen Zivilisation gewinnt diese Verführung eine zusätzliche Variante, indem Rechtswissenschaft die Jurisprudenz verleugnet, Politikwissenschaft sich für Politik hält und Metaethik für Moral.

Da diese Entwürfe von Menschen gemacht sind, haben sie auch ihre menschlichen Gefahren, daß nämlich ihren Lieferanten und – oft genug – ihren Anwendern über dem Menschenbild die Menschen aus dem Blick geraten. Auch Galianis Kampf gegen den Abstraktionismus des Menschenbildes der Enzyklopädisten blieb vergeblich. Der Markt für abstrakte Menschenbilder hat immer noch Konjunktur. Und obwohl diese Entwürfe vorzugsweise entarten, gehört es zu dieser Art Déformation philosophique, diese wahrscheinlichste unter den Möglichkeiten der Verwirklichung auszublenden. François de la Rochefoucauld hat sie dafür um so greller ausgeleuchtet: „Die Wahrheit stiftet nicht soviel Nutzen in der Welt wie ihr Schein Schaden.“[24]

V. Die Rhetorik

„Die Sprache ist Rhetorik, denn sie will nur eine dóxa, keine epistéme übertragen.“

Friedrich Nietzsche

Dieses als Motto zu diesem Kapitel gewählte tiefste Wort zur Rhetorik erhellt den Zusammenhang zwischen Rhetorik und Prudentia sowie mit den in der letzteren geregelten menschlichen Dingen. In seiner Vorlesung über Rhetorik, die er in Basel gehalten hat, dringt Nietzsche zu der Einsicht durch, daß die Rhetorik eine meta- und eine objektsprachliche Ebene besitzt. In der metasprachlichen Dimension macht er analytisch-rhetorische Aussagen über die objektsprachlich-praktische Dimension der Wirkungsorientiertheit sowohl des rhetorisch geschulten wie auch des unbewußt rhetorischen „natürlichen“ Redens: „Es gibt gar keine unrhetorische ‚Natürlichkeit‘ der Sprache, an die man appellieren könnte: Die Sprache selbst ist das Resultat von lauter rhetorischen Künsten.“[25] Er hebt besonders hervor, das die „Rhetorik eine Fortbildung der in der Sprache gelegenen Kunstmittel ist, am hellen Lichte des Verstandes“[26]. Wie wichtig ihm diese objektsprachliche Einheit von Technik und Sprache ist, zeigt sich auch in folgender Stelle: „Die Kraft, welche Aristoteles Rhetorik nennt, an jedem Dinge herauszunden und geltend zu machen, was wirkt und Eindruck macht, ist zugleich das Wesen der Sprache: Diese bezieht sich ebenso wenig wie die Rhetorik auf das Wahre, auf das Wesen der Dinge, sie will nicht belehren, sondern eine subjektive Erregung und Annahme auf andere übertragen.“[27]

Diese objektsprachliche Rhetorik im Sinne von Sprache und Redetechnik macht Nietzsche zum Gegenstand der (Meta-)Rhetorik, das heißt der metasprachlichen Analyse[28], indem er sich scharf gegen den essentialistischen Ontologismus wendet[29]: „Der sprachbildende Mensch faßt nicht Dinge oder Vorgänge auf, sondern Reize: Er gibt nicht Empndungen wieder, sondern nur Abbildungen von Empndungen … Nicht die Dinge treten ins Bewußtsein, sondern die Art, wie wir zu ihnen stehen, das Pithanon. Das volle Wesen der Dinge wird nie erfaßt.“[30]

Da die menschlichen Belange in (Umgangs-)Sprache ausgedrückt werden[31], diese aber nur Dóxa überträgt und keine Epistéme, wir aber die Meinungsmäßigkeit für das Philosophieren ausdrücklich abgelehnt und für die Prudentia festgestellt haben[32], ist die Rhetorik als Wirkungstechnik die der Prudentia adäquate, eigentlich immer schon inhärente Darstellungsweise, eben Argumentation[33].

Für diesen Zusammenhang zwischen Rhetorik und Prudentia hatte Gian Battista Vico bereits eine prägnante Formel gefunden: „Praeterea sensus communis, ut omnis prudentia, ita eloquentiae regula est“[34], so daß sein Rat nur konsequent war: „Wer daher nicht zum Physiker oder Mechaniker ausgebildet, sondern zum Dienst an der Allgemeinheit ausgebildet wird, sei es für das Gericht oder den Senat oder die Kirche, … [der] soll die Topik … pegen und über die Natur, den Menschen, den Staat, in freier und gewählter Redeweise nach beiden Seiten hin disputieren, so daß er jeweils das Ansprechendere und Wahrscheinlichere trifft, …“[35]

Die Analyse besagter Argumentation und der in ihr verwendeten Argumente ist Gegenstand der metasprachlichen Rhetorik.[36] Dabei zeigt sich, daß für ein hermeneutisches Verstehen kein Raum ist und die Sprachpraxis nicht in der Bedeutungsdimension endet, sondern auf die pragmatische Dimension und über diese hinaus auf die Beteiligten verweist[37]: „Von einer ‚eigentlichen Bedeutung‘, die nur in speziellen Fällen übertragen würde, kann gar nicht die Rede sein.“[38] Während die Ergebnisse des Philosophierens wie auch der Wissenschaft von den daran Beteiligten unbeeinußt sein müssen[39], sind diese in der Rhetorik maßgebend: „Dreierlei braucht man nämlich für eine Rede, einen Redner, einen Gegenstand und eine Zuhörerschaft und dieser letzte, der Zuhörer, ist richtunggebend.“[40]

Was Inhalt der Prudentia ist, ist zugleich Gegenstand der Rhetorik, gleichgültig, ob wir dafür die menschlichen Dinge oder die Meinungen einsetzen; beides trifft zu[41]; in der Aufgabe, die menschlichen Belange entscheidbar zu machen, sind Prudentia und Rhetorik untrennbar verbunden.

VI. Die Moralistik

„Von dem, was der Mensch sein sollte, wissen auch die Besten nicht viel Zuverlässiges, von dem, was er ist, kann man aus jedem etwas lernen.“

Georg Christoph Lichtenberg

Man mag es unbefriedigend nden, daß sich aus dem Bisherigen zwischen dem Philosophieren und den menschlichen Dingen keine unmittelbare Beziehung ergibt, solange man die angegebenen philosophischen Ansprüche aufrechterhält. Da diese an das Philosophieren zu stellenden Anforderungen nicht beliebig aufgegeben werden können, ohne das Philosophieren selbst aufzugeben, ist an diesem Ergebnis unbedingt festzuhalten.

Es ist aber keineswegs so, daß es überhaupt keine reektierte Geistigkeit gäbe, die, ohne selbst Philosophie sein zu wollen, über die menschlichen Dinge handelte, ohne diese wie die Prudentia dogmatisch zu verfestigen: die Moralistik.[42] Sie verfügt zwar wie die Prudentia über dieselbe Nähe zu den menschlichen Dingen, unterscheidet sich aber von dem prudentiellen Denken durch ihren zetetischen Charakter: Die Moralistik ist eine meinungsmäßige Zetetik. Ansonsten besitzt sie die bereits für die Prudentia genannten Charakteristika der Meinungsmäßigkeit, der Wahrheitsunbestimmtheit, der Situationsabhängigkeit, der Subjektivität, des Relativismus und Perspektivismus ihrer Aussagen. Wie die Prudentia gipfelt auch sie in der Euboulia (Wohlberatenheit, Urteilsfähigkeit), wohlwissend, daß erst die Situation über die Geeignetheit des Rates entscheidet. Die Spannweite des moralistischen (beileibe nicht des moralischen) Denkens versucht sich nicht im Denitorischen, sondern in der tentativen, oft nur essayistischen, meist aphoristischen Annäherung, in zahllosen Momentaufnahmen des Menschlichen, die zusammen jenes umfassende Bild der menschlichen Natur ergeben, das sich der teleologischen Deutung verweigert, die Topoi nie abschließend sammelt, das Einzelne berücksichtigt und es in die große Summe der Erörterung der Conditio humana einbringt und deren endliche Offenheit bejaht. Sie kennt keine Themenbeschränkung, wo doch die menschlichen Belange aus der widersprüchlichen Vielfalt der menschlichen Natur hervorgehen, was sich in den oft paradox formulierten Maximen der Moralisten spiegelt.

Desgleichen sieht sie das bei aller Verschiedenheit im einzelnen sich Wiederholende und Gleichbleibende der menschlichen Situationen und der Meinungen zu diesen, wie sie durch Geburt, Reife, Geschlecht, Alter und Tod der Menschen vorgegeben sind und steht insofern dem Zyklischen näher als dem Linearen.[43] Auch ist der Moralistik jede voreilige Verabsolutierung, Generalisierung und Systematisierung fremd.

Es würde sich nun darum handeln, die Denker der Moralistik einzeln vorzustellen, was aber in einem Aufsatz nicht zu leisten ist, es kann nur auf die großen Moralisten der Neuzeit verwiesen werden, auf Montaigne, Cracián, de la Rochefoucauld, Montesquieu, Vauvenargues, Rivarol, Galiani, Chamfort und andere[44], wobei Deutschland eigentlich nur Lichtenberg und Nietzsche vorzuweisen hat. Daß die Moralistik und die Prudentia als eigenständige Denkweise das adäquate Verständnis eher im mediterranen als im deutschsprachigen Raum gefunden haben, dieses Schicksal teilen sie mit der Rhetorik.[45] Da hierzulande die Unbedingten den „Abschied vom Prinzipiellen“[46] trotz der unmenschlichen Folgen ihrer Versuche, die Menschen auf ihre absoluten Maßstäbe zu verkürzen, so schnell nicht nehmen werden, ist selbst von einer allfälligen Befassung mit der Moralistik wenig Änderung zu erwarten: „Die Philosophen haben zu allen Zeiten die Sätze der Menschenprüfer (Moralisten, F. N.) sich angeeignet und dadurch verdorben, daß sie dieselben unbedingt nahmen.“[47] Gerade das Aushaltenlernen der vielfältigen Bedingtheit der Conditio humana, der mangelhaften Einsichts- und Erkenntnisfähigkeit, der Unbeantwortbarkeit der großen Fragen sowie die Gelassenheit, selbst die Naturkonstante der menschlichen Dummheit und die Sozialkonstante der menschlichen Gemeinheit in die Betrachtung mit einbeziehen zu können, ohne darüber die Heiterkeit zu verlernen, ohne Sinnvorgaben Sinnstifter in eigener Sache zu sein[48], all dies scheinen uns die Lehren der Moralistik zu sein.

Es handelt sich hier weniger darum, die Moralistik auch nur ansatzweise darzustellen, als vielmehr auf den Zusammenhang mit der Rhetorik und der Prudentia hinzuweisen, der für die jeweilige Disziplin erhellend sein könnte. Es wird damit ja nichts unbekannt Neues behauptet, vielmehr wird auf sehr alte Bestände des abendländischen Denkens verwiesen.

Wem dies alles aber noch zu ungewiß und schwankend ist, dem kann geholfen werden, indem er auf einen noch schwankenderen Boden geführt wird, als ihn die Moralistik darstellt, wo allerdings nach unserem Geschmack die menschlichen Dinge noch umfassender und weit sicherer aufgehoben sind, nämlich in der Literatur, deren Themenreichtum der Problemfülle der menschlichen Belange am nächsten kommt. Deshalb müssen sich alle Disziplinen, die das Bedenken und Darstellen der menschlichen Dinge für sich beanspruchen, in Bezug auf ihre Fülle und Nähe zu den menschlichen Belangen an der Literatur messen lassen: „Quam multi poetae dicunt quae philosophis aut dicta sunt aut dicenda“ (Seneca). Nicht nur in dieser Einschätzung der Literatur, sondern auch in der meines Faches wußte ich mich mit Peter Noll einig: „Die Juristen, die über das richtige Recht philosophieren, kommen mir vor wie Anatomen am toten Objekt. Das lebendige Objekt wäre die Macht, doch dieser sind sie selbst unterworfen.“[49]

Die letzte Nähe zu den Menschen und ihren Belangen wird aber erst aus einem Verzicht auf das Wunschdenken in den menschlichen Dingen gewonnen werden: „Mein Schlußsatz ist: daß der wirkliche Mensch einen viel höheren Wert darstellt als der ‚wünschbare‘ Mensch irgendeines bisherigen Ideals; …“[50]



[1] Niklas Luhmann, Funktionen und Folgen formaler Organisation, Berlin 1964, 2. Au. 1972, S. 39 ff.

[2] Ballweg, „Phronetik, Semiotik und Rhetorik“ in: Schlieffen (Hrsg.), Analytische Rhetorik. Rhetorik, Recht und Philosophie, S. 87–118, S. 100 f., 117.

[3] Aristoteles, Topik, hrsg. von P. Gohlke, Paderborn 1952, 155 b 4, 10.

[4] Chaïm Perelman, Das Reich der Rhetorik, München.

[5] Marcus Tullius Cicero, Tusculanae disputationes, 4, 62; Harold Garnkel, Studies in Ethnomethodology, Englewood Cliffs 1967; ders., „Das Alltagswissen über soziale und innerhalb sozialer Strukturen“, in: Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Hrsg.), Alltagswissen, Interaktion und gesellschaftliche Wirklichkeit, 2 Bde., Reinbek 1973, Bd. 1, S. 189–262.

[6] Aristoteles, Nikomachische Ethik, Stuttgart 1983, 1172 b 1.

[7] Ottmar Ballweg, Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, Basel 1970.

[8] Sextus Empiricus, Grundriss der pyrrhonischen Skepsis, übers. u. eingel. V. M. Hossenfelder, Frankfurt am Main 1968, S. 94.

[9] Aristoteles, Nikomachische Ethik, VI, 5, 1140 b 20 und: „weil der Gegenstand des Handelns auch anders muß sein können“ (Gohlke), „weil das Gebiet des Handelns veränderlich ist“ (Dirlmeier), 1140 a 30–b 15.

[10] Wir folgen dabei der von Aristoteles vorgenommenen Unterscheidung der Denkweisen in poiesis, phrónesis, epistéme und sophia; dazu „Ein wissenschaftstheoretisches Lehrschema für den juristischen Unterricht“, S. 39–45.

[11] Hans Peter Balmer, Philosophie der menschlichen Dinge. Die Europäische Moralistik, S. 15: „Das Dilemma lautet: Entweder eine Philosophie, die sich bemüht, dem Menschen umfänglich gerecht zu werden und seinem wirklichen Leben treu zu bleiben oder aber der unversöhnliche Bruch zwischen einem Denken, das abstrakt in idealen Höhen schwebt einerseits und der menschlichen Realität andererseits, die denkerisch nicht zu erreichen, sich selbst überlassen bleibt!“

[12] Ottmar Ballweg, Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, Basel 1970, S. 62 ff.

[13] Ebenda, passim.

[14] Aristoteles, Rhetorik, München 1980, passim.

[15] Siehe zur Unterscheidung von Metarhetorik und (praktischer) Rhetorik unter I.

[16] Sextus Empiricus, a.a.O., S. 94 ff.

[17] Aristoteles, Nikomachische Ethik, VI, 8, 1141 b 3–22: „Die Besinnung (phrónesis) richtet sich auf das Menschliche und das, worüber man beraten kann. Denn das halten wir für den Hauptvorzug des Besonnenen, daß er Rat weiß; keiner aber sucht Rat für das, was sich unmöglich anders verhalten kann, …“

[18] Zu Rechtsdogmatik und Rechtszetetik öfters Theodor Viehweg, „Zur Geisteswissenschaftlichkeit der Rechtsdisziplin“, in: Studium Genuale 11, 1958, S. 334 ff.; ders., „Systemprobleme in Rechtsdogmatik und Rechtsforschung“, in: J. Bärmann (Hrsg.), Recht und Geschichte, Bd. IV, Wiesbaden 1969, S. 327 ff.; ders., „Rechtsdogmatik und Rechtszeteitk bei Jhering“, in: Franz Wieacker (Hrsg.), Christian Vollschläger, Jherings Erbe, Abh. D. Akad. D. Wiss. Göttingen 1970, S. 211 ff.

[19] Aristoteles, Nikomachische Ethik, II, 2, 1103 b 39–1104 a 10: „Im Bereiche des Handelns aber und der Nützlichkeit gibt es keine eigentliche Stabilität … Wenn dies aber schon bei übergreifenden Aussagen zutrifft, so kann Exaktheit noch viel weniger bei der Darstellung von Einzelfällen des Handelns vorhanden sein …“

[20] Michel de Montaigne, Essais, übers., ausgew. u. eingel. V. H. Lüthy, Zürich 1953, S. 119, 280, 320, 324, 419, 432, 550 et passim, S. 58: „Wahrlich, ein wundersam eitles, wandelbares und schillerndes Ding ist der Mensch. Es ist schwer, ein festes und eindeutiges Urteil auf ihn zu gründen.“

[21] Wolfgang Gast, Zur Einübung der Ungewissheit, in: Argumentation und Recht, Beiheft N.F. 14 z. ARSP 1980, S. 147–169; zur Beziehung zwischen Herstellung und Darstellung von „Gewissheit“ Rolf Eickelpasch, „Das ethnomethodologische Proramm einer ‚radikalen‘ Soziologie“, in: Rolf Eickelpasch, Burkhard Lehmann, Soziologie ohne Gesellschaft?, München 1983, S. 63 ff.

[22] Gian Battista Vico, De nostri temporis studiorum ratione, lat.-dt., Darmstadt 1963, S. 110.

[23] Helmuth Plessner, Conditio humana, Pfullingen 1964, S. 48: „Die künstliche Horizontverengung ist vielmehr die Art und Weise vermittelnder Unmittelbarkeit, welche das ganze menschliche Verhalten charakterisiert, vorgebildet in dem Zusammenspiel von Auge und Hand, verdichtet in dem meinend-artikulierenden Wesen der Sprache und fortgeführt durch alle schöpferischen Gestaltungen auf immer anderen Ebenen, in denen es sich abspielt.“

[24] La Rochefoucauld, in: f. Schalk (Übers. u. Hrsg.), Die französischen Moralisten, 2 Bde., Band 1, Bremen 1962, S. 10.

[25] Friedrich Nietzsche, Gesammelte Werke (Musarion-Ausgabe), Band 5, Vorlesungen 1872–1876, München 1922, „Rhetorik“, S. 298.

[26] Ebenda.

[27] Ebenda.

[28] Zur Unterscheidung von Objektsprache und Metasprache Charles William Morris, „Foundations of the Theory of Signs“, in: International Encyclopedia of Unied Science, Chicago 1938, vol. I, no. 2, S. 1–59, dt., Grundlagen der Zeichentheorie. Ästhetik und Zeichentheorie, München 1972, S. 25 f.

[29] Ulfrid Neumann, Rechtsontologie und juristische Argumentation. Zu den ontologischen Implikationen juristischen Argumentierens, Heidelberg 1979.

[30] Friedrich Nietzsche, a.a.O., S. 298; Hans Blumenberg, „Anthropologische Annäherung an die Aktualität der Rhetorik“, in: Wirklichkeiten, in denen wir leben, Stuttgart 1981, S. 104–135, 108: „Unter diesem Aspekt ist Sprache nicht ein Instrumentarium zur Mitteilung von Kenntnissen oder Wahrheiten, sondern primär der Herstellung der Verständigung, Zustimmung oder Duldung, auf die der Handelnde angewiesen ist.

[31] Hans Blumenberg, a.a.O., S. 112: „Sich unter dem Aspekt der Rhetorik zu verstehen heißt, sich des Handlungszwanges ebenso wie der Normenentbehrung in einer endlichen Situation bewusst zu sein.“

[32] Hans Blumenberg, a.a.O., S. 125: „Im Begründungsbereich der Lebenspraxis kann das Unzureichende rationaler sein als das Insistieren auf einer ‚wissenschaftsförmigen‘ Prozedur, und es ist rationaler als die Kaschierung von schon gefallenen Entscheidungen durch wissenschaftstypisierende Begründungen.“

[33] Hans Blumenberg, a.a.O., S. 110: „Rhetorik als eine Technik, sich im Provisorium vor allen denitiven Wahrheiten und Moralen zu arrangieren. Rhetorik schafft Institutionen, wo Evidenzen fehlen.“

[34] Gian Battista Vico, a.a.O., S. 26.

[35] Gian Battista Vico, a.a.O., S. 75.

[36] Hans Blumenberg, a.a.O., S. 126: „Rhetorik lehrt, Rhetorik zu erkennen, aber sie lehrt nicht, Rhetorik zu legitimieren.“ Waldemar Schreckenberger, Rhetorische Semiotik. Analyse von Texten des Grundgesetzes und von rhetorischen Grundstrukturen der Argumentation des Bundesverfassungsgerichts, Freiburg i. Br. 1978; Thomas-Michael Seibert, Aktenanalysen, Tübingen 1981; Gerhard Struck, Topische Jurisprudenz, Frankfurt a. M. 1971; ders., Zur Theorie juristischer Argumentation, Berlin 1977.

[37] Ottmar Ballweg, Rechtswissenschaft und Jurisprudenz, Basel 1970, S. 62 ff.; zur Agontik: Stephan Wolff, Der rhetorische Charakter sozialer Ordnung. Selbstverständlichkeit als soziales Problem, Berlin 1976, zur Beziehung zwischen Rhetorik und Ethnomethodologie bes. S. 76 ff., S. 129 ff.

[38] Friedrich Nietzsche, a.a.O., S. 300.

[39] Dies ist auch der Grund, weshalb die Affektenlehre in der Rhetorik, nicht aber in einer philosophischen Dialektik oder Hermeneutik ihren Ort hat.

[40] Aristoteles, Rhetorik, I, 3 b.

[41] Hans Blumenberg, a.a.O., S. 113 f.: „Dabei kann der Handlungszwang, der die rhetorische Situation bestimmt und der primär eine physische Reaktion verlangt, rhetorisch so transformiert werden, daß die erzwungene Handlung durch Consensus wiederum ‚nur‘ eine rhetorische wird. Physische durch verbale Leistungen zu ersetzen, ist ein anthropologisches Radikal; Rhetorik systematisiert es.“, S. 115: „Der menschliche Wirklichkeitsbezug ist indirekt, umständlich, verzögert, selektiv und vor allem ‚metaphorisch.‘“

[42] Hans Peter Balmer, a.a.O., S. 15: „Die Moralistik orientiert über Motive, Bestrebungen und Verhaltensweisen von Menschen, über Realitäten und Möglichkeiten des Lebens, ohne daß der Mensch an sich bestimmt, über das Leben im Ganzen spekuliert oder über das Grundverhältnis von Mensch und Welt entschieden würde. Sie ist daher nicht Philosophie im metaphysisch-ontologischen Sinn, …“

[43] Vgl. den Exkurs unter III. Es gehört zu den Paradoxien unserer Zeit, daß gerade geschichtsphilosophische Linearität über Geschichtsverachtung in die Geschichtslosigkeit führt.

[44] Es sei hier ausdrücklich auf das schon mehrfach zitierte Buch von Hans Peter Balmer zur europäischen Moralistik hingewiesen, das in einer beeindruckenden Übersicht von der griechischen über die römische Antike die Linien der moralistischen Geistigkeit bis zur Gegenwart nachzieht und diese im abendländischen Denken verortet.

[45] Vasile Florescu, La rhétorique et la néorhétorique. Genèse, évolution, perspectives. 1. rumänische Auflage, Bukarest 1973, ins Frz. übers. v. Melania Munteanu, 2. Au., Paris 1982, S. 54 ff.

[46] Odo Marquard, Stuttgart 1981; Claude Jaquillard, L’Adieu à l’Alemagne ou la guerre des deux mondes, Wien 1984.

[47] Friedrich Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgaben, hrsg. von G. Colli u. M. Montinari, Bd. IV, 3, Berlin 1967, Menschliches, Allzumenschliches II, 5, S. 18.

[48] Odo Marquard, „Wider die allzu laute Klage vom Sinnverlust. Philosophische Bemerkungen und eine Fürsprache fürs Unsensationelle“ (Vortrag v. 04.07.1983 in Mainz), in: FAZ v. 31.10.1983, Nr. 253.

[49] Peter Noll, Diktate über Sterben und Tod, posthum, Zürich 1984, S. 73.

[50] Friedrich Nietzsche, Werke. Kritische Gesamtausgabe, hrsg. v. G. Colli u. M. Montinari, Berlin 1970, 8. Abt., 2. Bd., Nachgelassene Fragmente Herbst 1887 bis März 1888, S. 298.

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