Forschungsprojekte

Foto: AAW Anonymous Art Work

Digitale Geschichten der Gewalt im 21. Jahrhundert

Die Nachwuchsforschungsgruppe NFG026 erforscht Partizipative Kriegsöffentlichkeiten und autobiographisches Erzählen in Russland, Belarus und der Ukraine. Die Hans-Böckler-Stiftung stellt dafür zum 1. November 2023 drei Promotionsstipendien zur Verfügung. Die Nachwuchsforschungsgruppe nimmt eine kritische Analyse partizipativer Praktiken der Herstellung digitaler Öffentlichkeiten vor. Ziel ist eine Historisierung des Zusammenwirkens von Digitalisierung und Kriegsführung am Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu erforschen die Mitglieder die neuste Geschichte digitaler Infrastrukturen und ihre Nutzung zur Schaffung von Öffentlichkeiten im Zuge staatlicher Gewaltanwendung. Empirisch nehmen sie aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick, wie aus der Interaktion staatlichen, privatwirtschaftlichen und individuellen Handelns neue Formen digitaler Öffentlichkeit entstehen. In diesen Perspektiven diskutieren die Nachwuchsforscher:innen die Entstehung, Politisierung und Kommerzialisierung von Kriegsöffentlichkeiten in Russland, Belarus und der Ukraine seit der 2014 erfolgten russischen Annexion der Krim.

Historische Vergleiche genozidaler Gewalt als politische Praxis

Staatliche Akteure stellen im östlichen Europa mit Verweis auf Gewalt in der Gegenwart eine Vergleichsebene zum Holocaust her. So war die Behauptung eines angeblich im Donbass stattfindenden Genozids bereits 2014 ein zentrales Element russischer Propaganda, um die staatliche Unterstützung für die selbsternannten Volksrepubliken im Osten der Ukraine zu legitimieren. Nach 2020 entwickelte der belarusische Autokrat Alexander Lukaschenka seine eigene Interpretation eines historischen Genozids am Belarusischen Volk. Mit der Ausweitung der russischen Kampfzone in der Ukraine wurde die Deutung der russischen Morde an Zivilisten in Butscha, der Vernichtung von Mariupol sowie die systematische Zerstörung ukrainischer Kultur in den besetzten Gebieten als Genozids zu einem wichtigen Teil des Ringens um Unterstützung der Ukraine aus dem Westen Europas. Das am Lehrgebiet Public History durchgeführte Projekt erforscht, wie das in der UN-Konvention normativ eng gefasste Genozid-Konzept in den unterschiedlichen Kontexten in Belarus, der Ukraine und Russland heute neu interpretiert wird, um das eigene Handeln zu legitimieren.

Felix Ackermann: „Der Genozid am Belarusischen Volk“ als politischer Diskurs und Strafverfolgungspraxis, Belarus-Analysen 56, Juli 2021, S. 2–5. DOI: 10.31205/BA.056.01 Abruf (Genozid am Belarussichen Volk ...)
Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Gundula Pohl erforscht staatliche Genozid-Diskurse in Russland und Belarus in ihrer Promotion.

Die Nachnutzung von Zellengefängnissen

Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden überall in Europa Zellengefängnisse als staatliche Infrastrukturen des Aussperrens. Ihr Grundriss erinnert bis heute an die Idee, dass die Isolation des Einzelnen zu seiner Resozialisierung beitragen solle. In der Realität des Strafvollzugs waren diese Zellen in der Regel überbelegt, die Gefängnisse wurden nicht zu Orten der Besserung. Im 20. Jahrhundert wurden sie in der Regel zu Räumen, in denen der Staat Verbrechen an seinen eigenen Bürgern verübte. Wie gehen heute Gesellschaften mit ihrer eigenen Gewaltgeschichte um, die diesen Gefängnissen eingeschrieben ist? Dieser Frage geht das Forschungsprojekt zu einem Zeitpunkt nach, zu dem ein großer Teil dieser historischen Infrastrukturen obsolet wird. Wie lässt sich die Zellenstruktur still gelegter Gefängnisse heute neu nutzen? Und wie werden Spuren staatlicher Gewalt gegenüber gewöhnlichen Strafgefangenen und politischen Häftlingen sichtbar gemacht? Das Projekt vergleicht geschlossene Gefängnisse in St. Petersburg, Wilna, Warschau, Berlin und Barcelona.

Felix Ackermann, Die Zukunft der Gefängnisse, in: Merkur 12/2020, S. 75–80. Englisch: (Prisons in memoriam ), Litauisch: ( Kalejimu ateitis )


Public History | 08.04.2024