DFG-Projekt / DFG-Research Grant

„Poetik des Erfolgs. Institutionelle und narrative Dimensionen von Erfolgsratgebern (1900-1933)“

Poetics of Success. Institutional and Narrative Dimensions of Self-Help Success Books (1900-1933)

Mitarbeiter: Horst Gruner, M.A., Dr. Wim Peeters

Wissenschaftliche Hilfskraft: Stephanie Wollmann, B.Ed.

dfg_projekt_collage_erfolgsratgeberFoto: Bild: Horst Gruner/Wim Peeters

Zusammenfassung

Um 1900 etabliert sich eine neue Form von Ratgeberliteratur. In zahlreichen Büchern und Broschüren wird Erfolg als etwas vorgestellt, was jedem offen steht. Auf ganz unterschiedliche Weise wird den Adressaten dieser neuen Erfolgs-Ratgeber dabei die Fähigkeit zur Selbstformung zugesprochen: Sie können dem Beispiel großer Männer nacheifern, sie können ihre Nervenschwäche überwinden, sie können energisch werden und ihre Willenskraft aktivieren, sie können ihre innere Einstellung reformieren, sie können verlässliche Techniken der Selbstrationalisierung anwenden. Das Forschungsprojekt hat zum Ziel, diese bislang wenig und vor allem kaum literaturwissenschaftlich untersuchte Textsorte im Zeitraum ab etwa 1900 bis 1933 zu analysieren. Zu diesem Zweck wird die Hauptmasse der Erfolgs-Ratgeber des Untersuchungszeitraumes zusammengetragen. Die Auswertung dieses Materialkorpus erfolgt nicht aus einem wissensgeschichtlichen, soziologischen oder historischen Interesse heraus. Vielmehr werden die Ratgeber von einem narratologisch-diskursanalytischen Standpunkt aus analysiert, der in erster Linie die Darstellungsformen der Ratgeber in Auge hat. Hierbei stehen die narrative und die institutionelle Dimension im Vordergrund. Unter der narrativen Dimension sind vor allem die zahlreichen erzählerischen Bestandteile dieser Ratgeber zu verstehen: Fall- und Beispielerzählungen, Anekdoten, biographische Abrisse und autobiographische Berichte, typologische Erzählungen usw. spielen in diesen Ratgebern in verschiedenen Funktionen eine so tragende Rolle, dass man teilweise von einem Genre des Erzählens sprechen kann - Erfolg gibt es nur als Erfolgsgeschichte. Unter die Kategorie der institutionellen Dimension sollen alle Elemente gefasst werden, mit denen die Verfasser der Ratgeber sich selbst autorisieren und absichern (z.B. durch Narrative, durch Rekurs auf Wissen, Erfahrung, Praktiken usw.) und ihre Adressaten positionieren (z.B. durch explizite Performativität in Leseradressierungen, Anleitung zu Übungen, Empfehlungen, Vorhersagen usw.). Die Analyse der narrativen und institutionellen Dimension soll vor allem auch die Wirkung der pragmatischen Paradoxien oder Tautologien rekonstruieren, die das Genre der Erfolgsratgeber durchziehen (der Erfolg steht nicht jedem offen, man kann ihn nicht vorhersagen). Das Projekt möchte damit einen wichtigen Beitrag zur Genealogie der modernen Ratgeberkultur aus einer literaturwissenschaftlichen Perspektive leisten. Denn im Untersuchungszeitraum des Projekts lassen sich die Genese der inneren Strukturen und die Ausdifferenzierung der Darstellungsformen beobachten, die auch den heutigen Lebenshilfe-Ratgebern zugrunde liegen.

Summary

Around 1900 a new form of self-help literature establishes itself. Numerous book publications and broschures present success as being open to everybody. Self-help success books are supposed to award their readers in all sorts of manner the power of self-shaping: They can follow the example of great men, they can overcome their neurasthenia, they can become more energetic and activate their will power, they can reform their attitude with new thought, they can exercise approved practices to rationalise oneself. It is the intention of this research project to analyse the rise of self-help success book publications in the period between 1900 and 1933. This type of literature has not yet been studied systematically in literary studies. In a first step the relevant publications for the investigation period have to be collected. Rather than adressing issues from the angle of sociology, history or history of science, the project will focus on the narrative and institutional dimensions of representation in self help success books combining a narratological and discourse analytical approach.The narrative dimension of these self-help books comprises a wide range of elements: cases, examples, anecdotes, biographical outlines, autofictional accounts, typecast stories etc. These parts play a constitutive role in self-help success books to such an extent, that they must be considered a narrative genre in its own right: Success is always a success story.The institutional dimension as a category covers those elements that the author uses to authorize and secure his position (f.i. narratives underlining personal and practical experience, know how, scientific record) and furthermore those elements that relate to the reader (f.i. explicit performativity in adressing the reader, instructions for exercise, suggestions, prospects etc.)The analysis of the narrative and institutional dimension aims to reconstruct the agency of the pragmatic paradoxes and tautologies that are an integral part of the genre of self-help success books (success is neither in reach for everyone nor can it be predicted). The project wants to make a major contribution from the perspective of literary studies to a genealogy of modern self-help culture. In the years between 1900 and 1930 most of the inner structures and representational forms of the genre emerge, that are predominant in self-help literatur until today.

Vorträge

  • Horst Gruner/Wim Peeters: Glück durch Erfolg. Über die narrative Verfasstheit von Glück in der modernen Ratgeberliteratur (1900-1933). [Internationale Tagung (UPEC, Université Paris-Est-Créteil): Écrire et penser le bonheur dans l’espace germanophone (XVIIe-XXIesiècles) / Theoretische und fiktionale Glückskonzepte im deutschen Sprachraum (17.-21. Jahrhundert), 19.-20. Mai 2016.]
  • Horst Gruner/Wim Peeters: "My Nervousness." The Autobiographical Case Construction of Otherness Among Peers in Neurasthenia Self-Help Literature around 1900. [International Conference (Sciences Life Writing, Johannes Gutenberg University Mainz): Medicine and the Other. The Issue of Difference in Medical Knowledge and Practice of the 19th and 20th Centuries, October 6-7 2016.]
  • Wim Peeters: Lukács’ Reflexion über „große Männer“ und die „Lebensfähigkeit“ der Literatur. [Fachtagung (Literaturforum im Brecht-Haus / Regionalzentrum der FernUniversität in Hagen, Berlin): Hundert Jahre „transzendentale Obdachlosigkeit“. Zur Aktualität von Georg Lukács’ Theorie des Romans (1916), 2.-3. Dezember 2016.]
  • Horst Gruner: "Es ist gerade als ob mein ganzes Rückenmark flüssig geworden wäre". Briefliche Falldarstellungen von Neurasthenie in der populärwissenschaftlichen Ratgeberliteratur um 1900. [Workshop (Zentrum für Kulturwissenschaftliche Forschung Lübeck): Thomas Mann und die Neurasthenie, 10-11. Februar 2017.]
  • Horst Gruner: Exzess und Nervenschwäche. Fälle von übermäßigem Genuss- und Rauschmittelkonsum in der populärwissenschaftlichen Ratgeberliteratur zur Neurasthenie um 1900. [Fortbildungsseminar (Institut für Geschichte der Medizin der Robert Bosch Stiftung, Stuttgart): Sucht, Rausch und Genuss. Medizin-, sozial- und kulturgeschichtliche Perspektiven, 25.-28. April 2017.]
  • Wim Peeters: Der Rat des Anti-Ratgebers. Über Paradoxien in der Selbsthilfeliteratur. [Publikumsvortrag bei der Gesellschaft für deutsche Sprache (Buchhandlung Böttger, Bonn), 20. September 2017.]
  • Wim Peeters: What is your Success Story? Impulses from the early History of Success Literature. [Vortrag im Rahmen der Reihe „Milteny Biotec Leadership Impulse. HR initiative for new insights and external inputs focussing leadership“ (Hauptsitz Milteny Biotec, Bergisch Gladbach), 5. September 2018.]
  • Wim Peeters: Ratgeberparadoxien bei Glavinic, Röggla und Schönthaler. [Tagung (Kulturcampus, Universität Hildesheim): Kunst der Beratung, 4.-6. April 2019.]

Veröffentlichungen

Cover Rat geben​​Cover Fallgeschichten
  • ​Niehaus, Michael/Peeters, Wim (2012): „Zum diskursiven Ort von Anti-Ratgebern. Eine kleine Blütenlese“, in: David Oels/Michael Schikowski (Hg.), Ratgeber, Non Fiktion. Das Arsenal der anderen Gattungen, 1/2 (2012), S. 71-86.
  • Niehaus, Michael (2013a): „‚Wie soll ich tante Emma umbringen?‘. Überlegungen zum Ratgeben als Institut“, in: Literaturwissenschaft und Linguistik, 169/43 (2013), S. 122-141.
  • Niehaus, Michael/Peeters, Wim (Hg.) (2014): Rat geben. Zu Theorie und Analyse des Beratungshandelns, Bielefeld: Transcript 2014.
  • Niehaus, Michael (2014a): „Logik des Ratgebens. Eine Standardversion zur Beschreibung eines Typs von Sprechaktsequenzen“, in: Michael Niehaus/Wim Peeters (Hg.): Rat geben. Zu Theorie und Analyse des Beratungshandelns, Bielefeld: Transcript 2014, S. 9-64.
  • Peeters, Wim (2014): „Ludwig Bechsteins Ratgebermärchenkette. Zum Verhältnis von Erzählen und Rat“, in: Michael Niehaus/Wim Peeters (Hg.): Rat geben. Zu Theorie und Analyse des Beratungshandelns, Bielefeld: Transcript 2014, S. 201-320.
  • Peeters, Wim (2015): „‚Selbsthilfe durch die Macht des Beispiels‘. Der Weg zum Erfolg durch eigene Kraft von Hugo Schramm-Macdonald, in: Stephanie Kleiner/Robert Suter (Hg.): Guter Rat. Glück und Erfolg in der Ratgeberliteratur 1900-1940, Berlin: Neofelis 2015.
  • Aschauer, Lucia/Gruner, Horst/Gutmann, Tobias (Hg.) (2015): Fallgeschichten. Text- und Wissensformen exemplarischer Narrative in der Kultur der Moderne, Würzburg: Königshausen und Neumann 2015.
  • Gruner, Horst (2015a): „Typisch nervös. Der Nervenkranke im populären Gesundheitsbuch um 1900“, in: Lucia Aschauer/Horst Gruner/Tobias Gutmann (Hg.): Fallgeschichten. Text- und Wissensformen exemplarischer Narrative in der Kultur der Moderne, Würzburg: Königshausen und Neumann 2015.
  • Gruner, Horst / Peeters, Wim (2017): "'Meine Nervosität'. Der autobiographische Fall in Nervenheilratgebern um 1900". In: DIEGESIS. Interdisziplinäres E-Journal für Erzählforschung / Interdisciplinary E-Journal for Narrative Research 6.2 (2017). 71-90. (URN: urn:nbn:de:hbz:468-20171121-112931-8)
    URL: https://www.diegesis.uni-wuppertal.de/index.php/diegesis/article/download/288/413
  • Peeters (2017): „Bilder des ‚überflüssigen‘ und des ‚erfolgreichen‘ Menschen um 1930.“ In: Monatshefte 109 (2) (2017), Special Issue: Weimar Photography in Context, Ed. by Carolin Duttlinger and Silke Horstkotte, S. 243-254.
  • Peeters, Wim (2017): „Rat geben.“ In: Matías Martínez (Hg.): Erzählen. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2017.
  • Gruner, Horst (2018): „Erschöpfte Menschen. Zur ästhetischen Konzeption von Burnout in Falldarstellungen der populären Forschungs- und Ratgeberliteratur (1974–2004)“, in: Stephanie Kleiner/Robert Suter (Hg.), Stress und Unbehagen. Glücks- und Erfolgspathologien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Berlin: Neofelis 2018.
  • Peeters, Wim (2018): „Der Steppenwolf als Messie. Über Entsorgungsratgeber für den ‚inneren Haushalt‘“, in: Stephanie Kleiner/Robert Suter (Hg.), Stress und Unbehagen. Glücks- und Erfolgspathologien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Berlin: Neofelis 2018.
  • Peeters, Wim (2018): Lukács’ Reflexion über „große Männer“ und die „Lebensfähigkeit“ der Literatur. In: Rüdiger Dannemann, Maud Meyzaud und Philipp Weber (Hg.): Hundert Jahre „transzendentale Obdachlosigkeit“.Georg Lukács’ Theorie des Romans neu gelesen. Bielefeld: Aisthesis Verlag 2018, S. 137-150.
  • Peeters, Wim (2019): Mit Erfolg konformieren. König „Erfolg“ (1899) von Anton von Perfall. In: Jessica Güsken, Christian Lück, Wim Peeters und Peter Risthaus (Hg.): Konformieren. Festschrift für Michael Niehaus. Heidelberg: Synchron. Wissenschaftsverlag der Autoren 2019, S. 121-139.
  • Peeters, Wim/Gruner, Horst (2019): Glück durch Erfolg. Über die narrative Verfasstheit von Glück in der modernen Ratgeberliteratur (1900-1933). In: Sylvie Le Moël/Elisabeth Rothmund (Hg.): Theoretische und fiktionale Glückskonzepte im deutschen Sprachraum.Berlin: Frank und Timme Verlag 2018. (Zur Publikation angenommen.)
  • Peeters, Wim (2019): Die Krise der Tat. Zu einem basalen Narrativ der Erfolgsratgeberliteratur (1912-1940). In: Iuditha Balint und Thomas Wortmann (Hg.): Krisen erzählen. Paderborn: Fink Verlag 2019. (Zur Publikation angenommen.)
Katrin Heinemann, M.A. | 08.04.2024