Tagungen

Foto: Hardy Welsch
 

Auf dieser Seite informieren wir Sie über aktuelle Tagungen und Veranstaltungen des Instituts für Neuere deutsche Literatur- und Medienwissenschaft.

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Opferdramaturgie und Viktimologie der Geschlechter in Prosa und Film (19. Jh. bis zur Gegenwart)

Poster zur Tagung (PDF 91 KB) (PDF 1 MB)

Hybrid-Workshop und -Seminar am 03. und 04. Februar 2023

Veranstaltungsort: Campusstandort Berlin der FernUniversität in Hagen

Organisation: Prof. Dr. Uwe Steiner, Dr. Wim Peeters und Anna Maria Spener, M.A.

Der öffentliche Teil wird per Zoom übertragen. Anmeldungen darüber hinaus bitte per Mail an: anna-maria.spener

Flyer mit allen Infos zur Tagung (140 KB) (PDF 455 KB)

Exposé

Augenscheinlich vermehren sich gegenwärtig wieder die Diskurse ums Opfer. Das ist freilich keine gänzlich neue Entwicklung. Tatsächlich wurzeln sie nicht unbeträchtlich in den ästhetischen Entwicklungen der kulturellen Moderne zwischen 1760 und 1850. Im Drama wird das Sacrificium, das das Opfer ursprünglich gewesen ist, in eine Victima transformiert, oder genauer: Es wird die unschuldige Victima zum Sacrificium geadelt. Und das nicht zuletzt, indem jetzt das Drama die tragische Position geschlechtlich codiert: Die dramatische Erfolgsgattung schlechthin, das bürgerliche Trauerspiel, überformt die tragische Position geschlechteranthropologisch, das kulturelle Kapital der empathischen Identifikation wird vornehmlich für das weibliche Opfer mobilisiert. Komplementär nimmt männliche Täterschaft die antagonistische Position ein. Es war insbesondere Lessing, der die Position der tragischen Heldin genderbezogen codiert und sie einer metapoetischen Reflexion unterzogen hat.
Das bürgerliche Trauerspiel popularisiert das gendercodierte Opferschema. Bald feiert es ähnlich oder kontrastiv auch auf der Opernbühne Erfolge, im Don Giovanni über die Norma und Lucia bis hin zum Musikdrama Wagners. Alsbald wird es von der jungen Gattung Roman, in Erzählungen und in der Romantheorie prestigeträchtig adaptiert, ablesbar an den allfälligen Verweisen auf Lessings Emilia Galotti als Intertext bei Blanckenburg, im Werther, in Lenz‘ Zerbino oder in Tiecks William Lovell. Die Marquise von O…., die Wahlverwandt­schaften, Flaubert und Fontane beobachten die Gattungsgrenze zum Drama auf erzählerische Weise: Sowohl Emma Bovary als auch Effi Briest zelebrieren ihr Sterben in opferkultischen bzw. opfersemantischen Kontexten. Paradigmatisch führen sie die lange Liste prosaischer Distanzierungen von der Theatralität des Opfers im 19. Jahrhundert an. Zeichnen sich hier die Konturen einer Kritik der literarischen Viktimologie ab? Was geschieht mit der von Lessing mitbegründeten ästhetischen Opferpolitik, wenn die so überaus effektive Konstellation von Opfer und Drama narrativ in den Blick genommen wird?
Jedenfalls zieht der Nexus zwischen Opferdramaturgie und Geschlecht weite Kreise durch die Prosa Bernhard Kellermanns, Ingeborg Bachmanns, Fritz Zorns, Bernward Vespers hindurch bis in die Gegenwart hinein, bis zu Michel Houellebecq, Jonas Lüscher, Anke Stelling oder Olga Tokarczuk. Hatte sich mit dem bürgerlichen Trauerspiel das weibliche Opferprivileg als dramaturgische Konstellation und als „Narrativ“ etabliert, viktimologisch wie sakrifiziell, gilt es zu fragen, was sich verändert haben könnte. Hinsichtlich des Dispositivs, hinsichtlich der Verteilung auf die Geschlechter, hinsichtlich von Opferpolitik, von Opferkritik und der Kritik der Opferkritik und darüber hinaus.

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Workshop-Programm

Zoom-Link Vorträge: https://fernuni-hagen.zoom.us/s/68824880457


Freitag, 03. Februar 2023

14:00 Begrüßung

14:10 Prof. Dr. Uwe Steiner (FernUniversität in Hagen):
„Lächerliches Unheil”. Vom Opfer im Drama zum Opfer in der Prosa. Zur Einführung (öffentlich)

15:10 Manusch Rimkus, M.A. (FernUniversität in Hagen):
Geschlechterinversionen in Ludwig Tiecks Novelle Eigensinn und Laune

16:20 Dr. Malte Kleinwort (Ruhr-Universität Bochum):
Aus der Opferrolle in den (vermeintlich) passiven Widerstand – Heinrich von Kleists Die Marquise von O...

17:00 Dr. Elke Kalb (FernUniversität in Hagen):
Fontanes Arbeit am weiblichen Opfermythos oder die Darstellung weiblicher Widerstände gegen männliche Opferzumutungen

17:50 Dr. Wim Peeters (FernUniversität in Hagen):
Die Opfer des selbstrationalisierten „großen Mannes“ – Bernhard Kellermanns Der Tunnel (1913)

19:30 Gemeinsames Abendessen im Restaurant Lubitsch


Samstag, 04. Februar 2023

10:00 Prof. Dr. Barbara Vinken (Ludwig-Maximilians-Universität München):
Keynote: Das glückselige Opfer – Norma. Das tragische Opfer – Carmen (öffentlich)

11:50 Prof. Dr. Kentaro Kawashima (Keio University Tokyo):
Ingeborg Bachmanns Me Too? – Über die Erzählung Undine geht

12:30 Diego León-Villagrá, M.A. (Freie Universität Berlin):
„Jeder Mensch sollte gleich bei Geburt eine Rente bekommen […] denn er ist ein Opfer.“ Maskuline Opferdramaturgie in Fritz Zorns Mars und Bernward Vespers Die Reise (1977)

13:10–14:10 Mittagslunch im Campus Berlin

14:10 Sören Görlich, M.Ed. (Martin-Luther-Universität Halle):
Blockierte Opferschaft: Unsichtbare Märtyrer einer bedrohten Männlichkeit in den Romanen von Michel Houellebecq (Les particules élémentaires, Sérotonine) und Jonas Lüscher (Kraft)

14:50 Simon Schoch, M.A. (New York University):
Zum Opfer stilisiert. Klasse und Geschlecht in Anke Stellings Roman Schäfchen im Trockenen

15:50 Dr. Karolina Sidowska / Dr. Monika Wąsik-Linder (Universität Lodz):
Verdrängte Weiblichkeit schlägt zurück – Geschlechterrelationen in Empuzjon (2022) von Olga Tokarczuk

16:30 Prof. Dr. Kanichiro Omiya (University of Tokyo):
Coda: Begnadete Helden oder ausgebliebene Opfer. Candide, Egmont, Prinz von Homburg und der Offizier in der Strafkolonie zwischen Rettung und Entehrung des Opfers (öffentlich)

17:30 Abschluss




Interne Förderung im Rahmen der Forschungsgruppe ›Gender Politics‹

Neuere Deutsche Literaturwissenschaft und Medientheorie
FernUniversität in Hagen | Universitätsstr. 33 | 58084 Hagen | Deutschland



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