Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur

Der südwestdeutsche Weg in den „Deutschen Herbst“

Rainer Schimpf im Vortrag Foto: Werner Daum
Rainer Schimpf im Vortrag

Radikalisierung und politische Gewalt von Lörrach bis Heidelberg

18. Oktober 2017, 18 Uhr
Dr. Rainer Schimpf

Flyer zur Veranstaltung (PDF 960 KB)

Die „Rote Armee Fraktion“ im deutschen Südwesten – der 40. Jahrestag des „Deutschen Herbstes“ (1977) in den „Gesprächen am Tor“ im RZ Karlsruhe

Der deutsche Südwesten ist wie keine andere Region eng mit dem politischen Terrorismus in der Bundesrepublik der 1970er Jahre verbunden. Führende Mitglieder der „Roten Armee Fraktion“ (RAF) stammten aus Baden-Württemberg, ja sogar aus dem engeren Karlsruher Umfeld, wo sich auch die wesentlichen Organe der strafrechtlichen Verfolgung und Ahndung befanden und noch befinden. An den 40. Jahrestag des „Deutschen Herbstes“ von 1977 gerade in Karlsruhe zu erinnern, stieß somit auf ein reges Interesse der Stadtöffentlichkeit.

Nachdem der Leiter des Regionalzentrums Karlsruhe, Dr. Werner Daum, die wesentlichen Schritte in Erinnerung gerufen hatte, die zur beispiellosen innenpolitischen Eskalation in den „Deutschen Herbst“ führten, veranschaulichte Dr. Rainer Schimpf (Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart) am Beispiel Christian Klars den Weg der Terroristen in die politische Radikalisierung und Gewalt. Mit seinem täterzentrierten Ansatz verfolgte der Kurator einer diesbezüglichen Ausstellung (RAF – Terror im Südwesten, Stuttgart 2013/14) auch das Ziel, zu einem besseren Verständnis des heutigen Terrorismus beizutragen. Anhand ausgesuchter historischer Bild- und Tondokumente zeichnete Rainer Schimpf minutiös die allmähliche politische Radikalisierung des jungen Christian Klar nach, die stellvertretend für den klassischen Weg in die politische Gewalt vieler Vertreter der sog. „zweiten“ und „dritten Generation“ der RAF steht: Vom jugendlichen Aufbegehren im schulischen Umfeld führte dieser Weg über die Solidarisierung mit der inhaftierten ersten RAF-Generation zu der festen Handlungsanleitung, endlich konkret „etwas machen zu müssen“ gegen unmenschliche Zustände in der Bundesrepublik, aber vor allem gegen mitverantwortete Missstände in anderen Weltteilen. Der Referent machte somit auch deutlich, wie sich weitab von den Zentren der 1968er Bewegung (Westberlin, Frankfurt am Main) gerade die südwestdeutsche Provinz zum Terrain des politischen Terrorismus entwickeln konnte.

In der anschließenden Diskussion meldete sich ein nachdenkliches Publikum zu Wort, dessen Redebeiträge und Kommentare zum Ausdruck brachten, dass viele der Anwesenden den „Deutschen Herbst“ vor Ort erlebt hatten, wie er auf den Tag genau vor 40 Jahren in der Geiselbefreiung von Mogadischu, den Selbstmorden der ersten RAF-Generation in Stuttgart-Stammheim und der Ermordung des entführten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer (18. Oktober 1977) seinen dramatischen Höhepunkt gefunden hatte. Weitgehende Einigkeit bestand in der Auffassung, dass die Justizbehörden und die zum parteiübergreifenden „Großen Krisenstab“ erweiterte Exekutive aufgrund ihrer überzogenen Reaktion eine wesentliche Mitverantwortung für diese schwerste Krise der jungen deutschen Nachkriegsdemokratie trugen; zumal der damalige „nicht erklärte Ausnahmezustand“ (Wolfgang Kraushaar) die Stammheimer Selbstmorde offenbar mit ermöglichte, was bis heute erfolgreich vertuscht wird – beides unter eklatanter Missachtung aller rechtsstaatlichen Prinzipien.

Rainer Schimpf, geb. 1966, studierte Geschichte in Freiburg und arbeitet seit 1997 als Kurator beim Haus der Geschichte Baden-Württemberg in Stuttgart. Er war u.a. einer der Kuratoren der Ausstellung „RAF - Terror im Südwesten“ (2013).

Bibliografischer Hinweis:
RAF - Terror im Südwesten: Katalog zur Ausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart, 14. Juni 2013 bis 23. Februar 2014, 4. Aufl. Stuttgart 2013. [Externer Link: Deutsche Nationalbibliothek]

Ausstellungsarchiv:
RAF - Terror im Südwesten: Sonderausstellung im Haus der Geschichte Baden-Württemberg vom 14. Juni 2013 bis zum 23. Februar 2014 [Externer Link: Haus der Geschichte Baden-Württemberg, Stuttgart]