Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur

Tobias Arand im Online-Vortrag Foto: Werner Daum
Tobias Arand im Online-Vortrag

Ein Karlsruher Akademieschüler ‚macht‘ Geschichte -

Anton von Werner und der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71

20. Januar 2021, 18 Uhr
Prof. Dr. Tobias Arand

Flyer zur Veranstaltung (PDF 990 KB)

Quellenkritik am Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71: die künstlerischen Deutungen eines fast vergessenen Krieges

„Es gibt keine historische Bildwahrheit, es gibt die historische Interpretation“, konstatierte Prof. Dr. Tobias Arand (PH Ludwigsburg) in seinem Vortrag, in dem er die Werke des Historienmalers Anton von Werner (1843–1915) Revue passieren ließ. Dieser Schüler der Großherzoglich Badischen Kunstschule zu Karlsruhe begleitete, als eine Art embedded artist, den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 künstlerisch und bannte dessen inszenierten Höhepunkt, also die Proklamation Wilhelms I. zum deutschen Kaiser am 18. Januar 1871 in Versailles, mehrfach in Öl. Anlässlich des 150. Jahrestages dieses symbolischen Gründungsaktes des deutschen Kaiserreichs vermittelte Arand dem online zugeschalteten Publikum am Beispiel ausgesuchter Gemälde Anton von Werners die Grundlagen der historischen Quellenkritik. Anhand der drei unterschiedlichen Darstellungen der Kaiserproklamation, die der Hofmaler 1877 (Schlossfassung), 1882 (Zeughausfassung) und 1885 (Friedrichsruher Fassung) seinen unterschiedlichen Auftraggebern vorlegte, veranschaulichte der Ludwigsburger Geschichtsdidaktiker die Bandbreite der historischen Interpretation ein und desselben Ereignisses. „Es gibt die richtige Abbildung der Vergangenheit überhaupt nicht“. Auch im weiteren Schaffen von Werners arbeitete der Referent mit seiner anschaulichen Bildanalyse die manipulativen Elemente – etwa „Im Etappenquartier“ (1894) – heraus, die auf eine beschönigende und den deutschen Sieger überhöhende Deutung des Kriegsgeschehens abzielten, immerhin „eines industriell geführten Massenvernichtungskrieges“. So ließ die dichte Analyse Arands keinen Zweifel daran, dass Anton von Werner – als bedeutende Quelle nicht für den Krieg, sondern für dessen sukzessive Interpretation – maßgeblich die Überlieferung dieses Konflikts im patriotisch-affirmativen Sinne beeinflusste und damit auch unser heutiges „Geschichtsbild“ (Karl-Ernst Jeismann) vom Deutsch-Französischen Krieg immer noch prägt.

Der sich an den Vortrag anschließende Austausch mit dem Publikum kreiste um das künstlerische und (staats-)politische Verständnis des als konservativer, antimoderner und direkt vom Kaiser protegierter Hofmaler auftretenden Anton von Werner. Auch der Stellenwert des auf drei Einigungskriegen gegründeten ersten deutschen Nationalstaats im modernen Sinne für den weiteren historischen Werdegang Deutschlands wurde thematisiert. Der Referent sah „keinen direkten Weg von Versailles 1871 nach Versailles 1919“, allerdings wäre der Erste Weltkrieg ohne den Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 kaum möglich gewesen. Tobias Arand gebührt das Verdienst, diesen grausamen, im Schatten der beiden Weltkriege in Vergessenheit geratenen deutsch-französischen Konflikt abermals in Erinnerung gerufen zu haben.

Tobias Arand, geb. 1967, war nach dem Lehramtsstudium der Geschichte und Germanistik in Münster zunächst in Lehre und Forschung an den Universitäten Münster, Aachen und Duisburg-Essen tätig. Nach einer weiteren Lehrtätigkeit an der PH Heidelberg folgte er 2009 einem Ruf an die PH Ludwigsburg, wo er seither als Professor für Geschichte und ihre Didaktik lehrt. Neben der Geschichtsdidaktik und antiken Geschichtsschreibung sowie den Einigungskriegen zählt die Geschichtskultur, insbesondere von Kriegen, zu seinen Interessenschwerpunkten. In diesen Bereichen hat er zahlreiche Publikationen, auch didaktischer Art, vorgelegt.

Literaturhinweise:

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