Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur

Prof. Dr. Thomas Sokoll im Vortrag Foto: Dr. Werner Daum
Prof. Dr. Thomas Sokoll im Vortrag

Max Weber, Karl Marx und der moderne Kapitalismus:

Eine historische Rekonstruktion

11. Mai 2022, 18 Uhr
Prof. Dr. Thomas Sokoll

Flyer zur Veranstaltung (PDF 985 KB)

Weber und Marx als „Brüder im Geiste“: der Befund einer werkskritischen und rezeptionsgeschichtlichen Analyse in den Gesprächen am Tor

„Was sagte Weber, was sagte Marx, was sagte Weber über Marx, was kannte Weber von Marx, was wissen wir heute über Weber und Marx, und seit wann und durch wen stellt sich die Frage nach dem Verhältnis der beiden zueinander?“ Mit diesen Worten brachte Prof. Dr. Thomas Sokoll (FernUniversität in Hagen, Historisches Institut) die methodische Herausforderung seiner Analyse auf den Punkt, die auf eine Neubewertung Max Webers aus geschichtswissenschaftlicher Erkenntnisperspektive zielte.

In seinem Karlsruher Vortrag vermittelte Thomas Sokoll dem in Präsenz versammelten und online zugeschalteten Publikum ein anschauliches Bild über den Kapitalismusbegriff bei Weber und Marx, das auf der Kombination mehrerer analytischer Perspektiven und Überlieferungsschichten, also der Verschränkung von Werkanalyse und Rezeptionsgeschichte, beruhte. Dabei konnte der Referent an eine intensive Auseinandersetzung mit dem Werk Max Webers anknüpfen, die er im Zuge seiner langjährigen sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Forschungen in Cambridge und Hagen immer mehr vertieft hatte. In einer äußerst kenntnisreichen werkskritischen Beweisführung zeigte der Weber-Forscher zunächst die ideengeschichtlichen Berührungen zwischen Weber und Marx auf, die als „Brüder im Geiste“ um eine Theorie des modernen Kapitalismus rangen – wenn auch mit unterschiedlicher Akzentsetzung. So ergänzte Weber die auf die Ausbeutungstheorie zulaufenden Überlegungen Marx‘ durch seinen Begriff der protestantischen Arbeitsethik, bei dem das Postulat einer innerweltlichen Askese zum „Nadelöhr“ für den Übergang zum modernen Kapitalismus wird. Seine Analyse des Werks Max Webers verknüpfte Thomas Sokoll sodann mit dessen Rezeptionsgeschichte in der Historikerzunft, die sich, neben mancher Ignoranz, über alle Historikergenerationen hinweg immer wieder mit ihm auseinandersetzte (etwa Otto Hintze, Theodor Schieder, Wolfgang Mommsen, Hans-Ulrich Wehler, Jürgen Kocka).

Der anschließende Austausch mit dem Publikum kreiste um methodische Probleme der Begriffsbildung bei Weber und Marx. Auch die Rezeption Webers in der historischen Forschung wurde vertieft. Schließlich war man an der entstehungsgeschichtlichen Unterscheidung des idealtypischen Modells eines modernen Kapitalismus westlicher Prägung von Wirtschaftsmodellen in anderen Weltreligionen interessiert. Welche Schlüsse aus der beeindruckenden historischen Rekonstruktion dieser Veranstaltung für die postindustrielle, globalisierte und multipolare Welt von heute zu ziehen sind – diese Frage verlangt indes nach einer weiteren, vertiefenden Veranstaltung mit Thomas Sokoll.

Thomas Sokoll, geb. 1954, war bis 2019 außerplanmäßiger Professor für Neuere Geschichte (Frühe Neuzeit) an der FernUniversität in Hagen und ist seitdem im Ruhestand. Seine Forschungsinteressen gelten der vergleichenden Strukturgeschichte Alteuropas in epochenübergeifender Perspektive, der Geschichte der sozialen Ungleichheit, der Geschichte der Industrialisierung und der Geschichte des modernen Kapitalismus.

Weiterführende Literaturhinweise:

  • Thomas Sokoll, Zwerge am Fuße des Riesen: Max Webers ‚Protestantische Ethik‘ und die historische Forschung: in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 107 (2020), S. 441-494.
  • Thomas Sokoll, The Moral Foundation of Modern Capitalism: Towards a Historical Reconstruction of Max Weber’s ‘Protestant Ethic’, in: Stefan Berger/Alexandra Przyrembel (Hg.), Moralizing Capitalism. Agents, Discourses and Practices of Capitalism and Anti-Capitalism in the Modern Age, Cham/CH 2019, S. 79-108.
  • Thomas Sokoll, Max Webers Protestantismusthese und die Historiker. Protokoll einer Verdrängung, in: Detlev Lehnert (Hg.), Max Weber 1864-1920. Politik - Theorie - Weggefährten, Köln u.a. 2016, S. 195-216.
  • Thomas Sokoll, Protestantische Ethik, Amerika und ein beschädigtes Leben: Neues zu Max Weber, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 102 (2015), H. 1, S. 59-73.

Infolge technischer Probleme am Zentralserver der FernUniversität hatte die Online-Übertragung leider keine verwertbare Aufzeichnung der Veranstaltung zum Ergebnis. Wir bitten dies zu entschuldigen. Der Referent steht jedoch gerne für Rückfragen zur Verfügung, bitte sprechen Sie ihn per E-Mail an: thomas.sokoll .

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