Moodle: Studierende lassen sich nur schwer aktivieren. Was nun?

von Dr. Claudia Grüner, Lehrgebiet Bildungstheorie und Medienpädagogik

Die Situation ist nicht neu und vermutlich allen vertraut, die sich mit der Gestaltung virtueller Lehr- und Lernszenarien befassen: Von den in der Moodle-Umgebung eingeschriebenen Studierenden ist nur ein Bruchteil aktiv und sichtbar und die mit hohem Aufwand erstellten Lernmaterialien bleiben ungenutzt. Modelle und Konzepte zur Aktivierung wurden ausprobiert und eingesetzt, die Moodle-Oberfläche ist ansprechend gestaltet – und trotzdem bleibt die Masse der Studierenden unsichtbar und scheinbar passiv. Das frustriert und es stellt sich die Frage woran das liegt und wie man es ändern kann.

Letztlich geht es für uns Lehrende ja darum, Lernen als aktiven und interaktiven Prozess zu initiieren, Handlungs- und Erfahrungsräume zu eröffnen und die Studierenden in ihrer Selbstregulation zu unterstützen, um eine „Maximierung des studentischen Lernerfolgs“ (Ulrich, 2016, S.103) zu erreichen. Optimalerweise können wir diesen Prozess sehen und messen, um darauf aufbauend unser Angebot weiter zu optimieren. Genau diese Sichtbarkeit ist aber nicht gegeben, wenn sich die Studierenden in den virtuellen Lernumgebungen zu sehr zurückhalten und sozusagen ‚unter unserem Radar‘ bleiben.

Wie schlimm ist das wirklich?

Die Frustration über geringe Aktivitäten ist also nachvollziehbar. Hier ist aber auch die Frage zu stellen, ob die sichtbare Aktivität der Studierenden wirklich so entscheidend für den Lernerfolg und den Erfolg der Lehre ist. Aktivierung führt nicht automatisch zum Lernen (vgl. Ulrich, 2016, S. 104). Für den Kontext des Lernens in Moodle kann durchaus auch umgekehrt resümiert werden, dass Zurückhaltung auf der Lernplattform nicht zwangsläufig auf einen geringeren Lernerfolg schließen lässt. Hier wird ein Problem deutlich, dass von Stegbauer und Rausch schon 2001 festgestellt wurde und letztlich noch immer nicht von der Hand zu weisen ist: „Aus der Vorstellung, ein jeder könnte mit jedem in Kontakt treten, wird sehr schnell die Forderung danach, jeder sollte dies auch tun, sich also ebenbürtig beteiligen […].“ (Stegbauer & Rausch, 2001, S. 50)

Hier könnte angesetzt werden, um die eigenen Erwartungen an die Studierenden einmal zu reflektieren und vielleicht auch gelassener zu bleiben, wenn sich wieder einmal die Frage stellt, warum es so ruhig in der Lernumgebung ist und wie dies geändert werden kann. Denn es ist mitnichten so, dass die ‚unsichtbaren‘ Studierenden in der Mehrheit nicht effektiv lernen oder nicht von den Lernangeboten profitieren. Zwar sind diese nicht aktiv im Sinne des Schreibens von Beiträgen und halten sich zurück, was das persönliche Einbringen in den auf der Lernplattform stattfindenden sozialen Austausch betrifft, sie sind aber zu einem nicht unerheblichen Anteil dennoch beteiligt, lesen mit, beobachten die Aktivitäten, machen Erfahrungen und entwickeln Emotionen. Das wird für den jeweils individuellen Lernprozess adaptiert und auf erweiterte Lernsettings und den dortigen sozialen Austausch übertragen (vgl. Grüner, 2018, S. 203).

Auch die Inaktiven sind aktiv

Die Studierenden im Hintergrund lernen also unter anderem am Modell im Sinne von Bandura (1976) und wissen eine gut gestaltete und strukturierte Lernumgebung durchaus zu schätzen. Wie sie diese dann aber nutzen, liegt nicht mehr vollständig in der Hand der Lehrenden. Angesprochen ist hier auch das flexible und selbstbestimmte Lernen, im Sinne des New Learning, wie es im Hagener Manifest formuliert wird. Eine Lernkultur also, in der Bildungsinstitutionen aufgefordert sind, Freiheiten zu stärken sowie eigenverantwortliches und selbstorganisiertes Lernen zu unterstützen (vgl. Fernuniversität in Hagen, 2021, S. 5). ‚Passive‘ Studierende suchen gezielt nach Beiträgen, anhand derer sie eigene Handlungsoptionen entdecken und entwickeln können. Sie halten sich kurz und zielgerichtet in der Lernumgebung auf und suchen vor allem den Anschluss an die Kursinhalte, den gezielten Zugriff auf Lernressourcen und die Möglichkeit, den eigenen Lernstand zu kontrollieren. Der Verbleib in der Peripherie entspricht den Handlungsinteressen der Studierenden, mehr Beteiligung wird von ihnen nicht angestrebt (Grüner, 2018)

Dieser Beitrag soll aber nun kein Plädoyer sein, auf aktivierende Methoden zu verzichten. Diese sind allein schon deshalb wesentlich, um die kritische Masse zu erreichen, die erforderlich ist, damit die Lernumgebung lebendig gehalten wird. Er ist aber ein Aufruf, jenseits dieser kritischen Masse gelassener zu bleiben, wenn sich Studierende im Hintergrund halten und diese positiver zu konnotieren. Die passive Partizipation ist ein dominierendes Phänomen in vielen Online-Kontexten und damit auch in Moodle-Lernumgebungen. Vermutlich wird sich das so schnell auch nicht ändern. Die Lehr- und Lernziele sollten daher stärker auf Individualität und den subjektiven Standort der Studierenden ausgerichtet sein. Damit werden selbstbestimmte und selbstregulierte Lernprozesse gestärkt und unterstützt. Das setzt eine wertschätzende und vertrauensvolle Haltung gegenüber den Studierenden voraus, in der die unsichtbaren Studierenden sozusagen als „vicarious learner“ (McKendree et al., 1998) eingestuft werden und ihnen dieser Beobachtungsstatus auch zugestanden wird. Unsere Aufgabe als Lehrende ist es dann, die Lernumgebungen so zu gestalten, dass die dort stattfindenden Aktivitäten als Modell fungieren können. Aktive Studierenden können dann als Vorbilder dienen, und ihre eher noch unschlüssigen Mitstudierenden zu aktiver Teilnahme motivieren.

Es werden sich also nie alle aktivieren lassen, und das ist auch gar nicht schlimm, solange die kritische Masse an Studierenden gegeben ist, die es ermöglicht, eine lebendige Lernumgebung zu gestalten, die als Orientierungspunkt für das individuelle Lernen dienen kann. Dazu bieten sich beispielsweise der Einsatz von Peer-Feedback an oder auch die Nutzung von Aktivitäten zur Selbstregulation wie Lern-Quizze, Lernkarten, oder Reflexionsfragen mit Feedbackfunktion. Impulse zur Aktivierung sollten also zum einen auf das Erreichen der kritischen Masse zielen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig, die große Gruppe der Studierenden im Hintergrund in die didaktischen Überlegungen einzubeziehen und zu akzeptieren, dass die Handlungsinteressen der Lernenden durchaus auch von denen der Lehrenden abweichen können.

Literatur

  • Bandura, A. (1976). Lernen am Modell. Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie. Klett.
  • FernUniversität in Hagen (2021). Lernen neu denken. Das Hagener Manifest zu New Learning. https://www.fernuni-hagen.de/imperia/md/content/universitaet/hagenermanifest/hagener-manifest.pdf
  • Grüner, C. (2018). Das Phänomen Lurking – Individuelle Lernprozesse „aktiver“ und „passiver“ Nutzer*innen virtueller Lernumgebungen im Fernstudium am Beispiel der FernUniversität in Hagen. Dissertationsschrift. Deposit FernUniversität in Hagen. https://doi.org/10.18445/20180716-174744-1
  • Mckendree, J., Stenning, K., Mayes, T., Lee, J., & Cox, R. (1998). Why observing a Dialogue may benefit learning: The vicarious learner. Journal of computer assisted learning, 14(2), S. 110–119.
  • Stegbauer, C., & Rausch, A. (2001). Die schweigende Mehrheit: „Lurker“ in internetbasierten Diskussionsforen. In Zeitschrift für Soziologie, (1/30), S. 47-64.
  • Ulrich, I. (2016). Gute Lehre in der Hochschule. Praxistipps zur Planung und Gestaltung von Lehrveranstaltungen. Springer.


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