Ekel in Literatur und Film

Seminar: Ekel in Literatur und Film

Leitung: Dr. Jessica Güsken

Termine: Montag, 09. Mai bis Donnerstag, 12. Mai, jeweils von 15:15-16:45 Uhr

Raum: Gebäude 8, Universitätsstr. 21, Raum B 121

Erläuterungen:

Ekelhaft ist etwas, das man nicht will oder das nicht sein darf: weg damit, weg von mir – das scheint der stärkste aller Unlust-Affekte zu besagen, wenn Ekel im Erbrechen kulminiert. Seinem elementaren Schema nach ist Ekel die Erfahrung einer Nähe, die nicht gewollt wird: Das Ekelerregende ist eine Präsenz, die sich aufdrängt, einem buchstäblich auf die Pelle rückt, spontan als Kontamination bewertet und mit Gewalt distanziert wird. Insofern kündet Ekel letztlich stets von einer fundamentalen, gar existenziellen Bedrohung und es verwundert nicht, dass Ekelerregendes gemeinhin mit Tabus belegt wird. Dabei handelt es sich nicht zuletzt um Darstellungstabus – also um das Tabu, bestimmte Gegenstände oder Sachverhalte zu zeigen, zu sagen oder irgend vorstellig zu machen. Klassischer Weise wird alles Ekelhafte von den schönen Künsten ausgeschlossen. So konstatiert etwa Immanuel Kant in der Kritik der Urteilskraft: „[N]ur eine Art Häßlichkeit kann nicht der Natur gemäß vorgestellt werden, ohne alles ästhetische Wohlgefallen, mithin die Kunstschönheit, zu Grunde zu richten: nämlich diejenige, welche Ekel erweckt.“ Während Ekel hier als Maximalwert des Hässlichen und damit nicht nur als äußerstes Gegenteil der Schönheit, sondern sozusagen auch als Erzfeind jeden Wohlgefallens ausgewiesen wird, avanciert er seit der Aufklärung jedoch zugleich zu einer ästhetischen Grundkategorie, die sehr wohl der Erzeugung von ästhetischer Lust dienen kann. In diesem Sinne bemerkt bereits Gotthold Ephraim Lessing im Laokoon, dass das Ekelhafte „als Ingrediens, um andere Empfindungen zu verstärken, nützlich sein könne“, um „eine Vermischung von Lust und Unlust zu schaffen, die reizender ist, als das lauterste Vergnügen“: nämlich die vermischte Empfindung des Lächerlichen einerseits, und des Schrecklichen andererseits. Aber nicht allein als Spezialzutat zur Erregung von Lachen oder Pathos lässt sich Ekel funktionalisieren. Er weist überdies selbst gleichsam ins Herz des Schönen zurück: Gustatorisch als ‚allzu große Süßigkeit‘ verstanden, läuft das Schöne von sich aus stets Gefahr, ins Ekelhafte umzuschlagen. Insofern ist jede Theorie und auch jede Poetologie des Ekels, wie man in Anschluss an Winfried Menninghaus‘ einschlägige These sagen kann, gewissermaßen ein „Gegenstück zur Theorie der Liebe, des Begehrens und des Appetits als Formen des Umgangs mit einer Nähe, die gewollt wird“ (Menninghaus 2002, S. 7). Die Frage nach dem Ekelhaften erlaubt daher Einsichten in den Untergrund der Ökonomien der Lust sowie die kulturelle Konstitution der Differenz eigen/fremd.

Das Seminar bietet zunächst eine Einführung in die (Kultur- und Ästhetik-)Theorien des Ekels, und widmet sich darauf aufbauend dem verschiedentlichen Umgang mit dem Ekelhaften in ausgewählten literarischen Texten und Filmen. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf Moderne und Postmoderne, vom tradierten Kanon bis zur Popkultur: So werden Gottfried Benns berühmte Morgue-Gedichte ebenso Thema sein, wie Charlotte Roches Skandalroman Feuchtgebiete. Ein weiterer Schwerpunkt ergibt sich aus der Frage, was das Ekelhafte überhaupt – oder besser, ganz konkret sein soll: Neben bestimmten Körperflüssigkeiten und Ausscheidungen liefern erstens der verwesende Körper sowie zweitens der gealterte (weibliche) Körper, besonders im Verbund mit Sexualität im Alter, überaus wirkmächtige Paradigmen des Ekelhaften, deren Darstellung und Inszenierung im Seminar zur gemeinsamen Debatte steht, so etwa mit Blick auf den Film Wolke 9 (R: A. Dresen, D 2009). Leitend für die gemeinsam zu erarbeitenden Analysen wird dabei die Frage nach dem Umgang mit dem Darstellungstabu des Ekelerregenden sein, nicht zuletzt auch in Bezug auf die unterschiedlichen Medien der Darstellung, deren Logik eine jeweils andere Sinnlichkeit des Ekels implementiert.

Das Seminarprogramm, einschließlich einer Liste der vorzubereitenden Texte, wird den angemeldeten Teilnehmer:innen im dazugehörigen Moodle-Raum zu Verfügung gestellt.

Zur Vorbereitung empfohlen:

- Winnfried Menninghaus: Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung. Frankfurt a.M. 2002.

- Sianne Ngai: Ugly Feelings. Cambridge 2007. (insbes. das „afterword: on disgust“, S. 332-354)

- Michel Serres: Das eigentliche Übel. Verschmutzen, um sich anzueignen. Berlin 2010.

Anfragen zu dieser Veranstaltung richten Sie bitte an jessica.guesken.

Wim Peeters | 08.04.2024