Präsenzveranstaltung

Thema:
Anthropologie und Realismus im 19. Jahrhundert
Veranstaltungstyp:
Präsenzveranstaltung
Zielgruppe:
BA KuWi: Modul 25303/L3; MA NdL: Modul 26301/MANDL 1; Modul 26302/MANDL 2; Modul 26303/MANDL 3; Modul 26304/MANDL 4; und alle Interessierte
Ort:
Nürnberg
Adresse:
Campus Nürnberg
Termin:
02.06.2023 bis
03.06.2023
Zeitraum:
02.06.2023 16:00-20:00 Uhr
03.06.2023 10:00-17:00 Uhr
(Änderungen vorbehalten.)
Leitung:
Professor Dr. Uwe Steiner
Anmeldefrist:
21.05.2023
Auskunft erteilt:
Leyla Pektas (Allgemeine Anfragen) , E-Mail: leyla.pektas , Telefon: +49 2331 987-4882
  • Achtung: Aus Umfangsgründen verzichten wir in dieser Veranstaltung auf das ursprünglich mit angekündigte 20. Jahrhundert.

Thomas Hettche, ein Autor der Gegenwart, hat in seiner Dankrede zur Verleihung des Wilhelm-Raabe-Preises den Realismus als eine Haltung definiert, „die darin besteht, all das gegenüber dem Menschen in sein Recht zu setzen, was ohne ihn da ist.“ In diesem Sinne widerspräche der Realismus als Haltung einem verbreiteten Axiom in den Kulturwissenschaften, demzufolge alles Gegebene vom Menschen selbst gemacht wäre. In einer zweiten Hinsicht bezeichnet Realismus ein literarisches Verfahren. In diesem Sinne ergibt sich nicht nur die Notwendigkeit, historische Spielarten des Realismus, so z.B. den poetischen oder den bürgerlichen Realismus, von einem epochenübergreifenden Stilbegriff „Realismus“ zu unterscheiden. Sondern auch der Befund, dass jedweder Realismus in der Literatur Wirklichkeit als Problem erkennt. Sie ist, obschon nicht an sich menschengemacht, nicht einfach gegeben. Realistische Erzählverfahren bilden daher nicht einfach ab, sondern problematisieren Wirklichkeit(en).

Die Frage, was der Mensch macht und was den Menschen macht, das ist zumal die Frage der Anthropologie. Inwiefern ließe sie sich auch in den realistischen Konzeptionen von Gottfried Keller, Theodor Fontane und Wilhelm Raabe wiederfinden? In ihren Werken fände sich, so die These, womöglich eine implizite Anthropologie, die Realität zwar in Bezug auf den Menschen oder das Menschliche begreift. Ohne sie jedoch auf menschliche Konstitution oder Konstruktion zu reduzieren. Eine sorgfältige Lektüre von Schlüsselromanen wie „Effi Briest“ oder „Stopfkuchen“ zeigt jedoch auch, wie sich konkreten Subjekten immer wieder sogar die (vermeintlich) menschengemachten Realitäten entgegenstellen.

In diesem Sinne verstehen sich die Werke Raabes und Fontanes auch als Erkundungen der vermeintlich vertrauten, gleichwohl fremden eigenen Kultur. Das betrifft die Anthropologie des Opfers in „Effi Briest“, aber auch die paläoontologische Dezentrierung des Menschen als Anhängsel einer Evolutionsgeschichte des Stoffwechsels im „Stopfkuchen“. Alle drei behandelten Werke, auch das wäre eine übergreifende Perspektive, scheinen eine skeptische Anthropologie zu formulieren, in der sich der Mensch u.a. als sündenbockschlachtendes Naturwesen unverfügbaren kulturellen Dynamiken ausgesetzt sieht.

Der Präsenzveranstaltung liegen die folgenden Primärtexte zugrunde:

- Gottfried Keller: Romeo und Julia auf dem Dorfe (aus: Die Leute von Seldwyla, div. Ausgaben)

- Theodor Fontane: Effi Briest (div. Ausgaben)

- Wilhelm Raabe: Stopfkuchen (als Reclam-Text erhältlich)

- Wilhelm Raabe: Die Hämelschen Kinder (Erzählung; wird als Kopie zur Verfügung gestellt)

Literatur zur Einführung:

  • Monika Ritzer/Gerhard Plumpe: Realismus1/Realismus2. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, Bd. III: P-Z, S. 217-224.
  • Gerhard Plumpe (Hg.): Theorie des bürgerlichen Realismus. Eine Textsammlung, Stuttgart 1985.
  • Thomas Hettche: Vom ernsten Spiel der Freiheit. In: Hubert Winkels (Hg.): Thomas Hettche trifft Wilhelm Raabe. Der Wilhelm-Raabe-Literaturpreis und seine Folgen, Göttingen 2015, S. 29-38.
  • Michael Neumann/Kerstin Schüssel (Hg.): Magie der Geschichten. Weltverkehr, Literatur und Anthropologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Konstanz 2011.
  • René Girard: Das Ende der Gewalt. Analyse des Menschheitsverhängnisses, Freiburg 2009, S. 27-56, S. 337-360.
Leyla Pektas | 08.04.2024