Präsenzveranstaltung

Thema:
Aktualität und Geschichte der Empfindsamkeit: Von Klopstock, Lenz und Goethe über Freud bis zu Svenja Flaßpöhler.
Veranstaltungstyp:
Präsenzveranstaltung
Zielgruppe:
BA KuWi: Modul 25303/L3; MA NdL: Modul 26302/MANDL 2; Modul 26303/MANDL 3; Modul 26304/MANDL 4; und alle Interessierten
Ort:
Karlsruhe
Adresse:
Campus Karlsruhe
Termin:
09.12.2022 bis
10.12.2022
Zeitraum:
Freitag, 09.12. 16.00 Uhr - 20.00 Uhr
Samstag, 10.12. 09.00 Uhr - 15.00 Uhr (Änderungen vorbehalten)
Leitung:
Professor Dr. Uwe Steiner
Anmeldefrist:
20.11.2022
Auskunft erteilt:
Frau Pektas (Allgemeine Anfragen) , E-Mail: leyla.pektas , Telefon: +49 2331 987-4882

Das 18. Jahrhundert ist wieder einmal aktuell. Wenn wir gegenwärtig über kulturelle Sensibilität oder gar Hypersensibilität diskutieren, wenn wir die Vorteile der Empfindsamkeit mit den Nachteilen der Empfindlichkeit verrechnen, dann bewegen wir uns in einem Problembezirk, dessen mentalitätsgeschichtliche Koordinaten um 1750 herum, zu Beginn der kulturellen Moderne, festgelegt wurden. Empfindsamkeit wird einerseits begriffen als eine in der Kultivierung der sozialen Gefühle bewirkte Verfeinerung. So sollen bspw. Ethiken oder Ästhetiken des Mitleids die moralische Sensibilität für die eigene und die Fragilität der anderen steigern helfen. Die gesteigerte Empfindlichkeit wird aber schon von vielen Zeitgenossen als Problem wahrgenommen. Mit der Gefühlskultur der Empfindsamkeit – sie prägt auch die gleichzeitige Bewegung des Sturm und Drang – geht daher auch eine neue Leidenskultur einher. Sie begründet die Geschichte einer sich immer subtiler verfeinernden kulturellen Sensibilität, die auch pathologische Seiten aufweisen kann. Literatur beschreibt solche Entwicklungen nicht nur, sie ist, wie das Paradebeispiel der Leiden des jungen Werthers zeigt, zutiefst in sie verstrickt. Ein Autor wie Lenz thematisiert die damaligen mentalitätsgeschichtlichen Capricen, aber vor allem praktiziert er sie. Als Goethe im 19. Jahrhundert seine Autobiographie verfasst, blickt er aus der Distanz zurück auf den Werther und die Kultur der Empfindsamkeit. Und im 20. Jahrhundert erwägt Sigmund Freud in Das Unbehagen in der Kultur eine kulturelle Erklärung für gesteigerte Sensibilitäten: Je erfolgreicher Kultur uns von den Primärlasten der Naturzwänge befreit, desto mehr leiden wir unter den Sekundärlasten von Kultur selbst. Wo man unter immer weniger zu leiden hat, schrieb Odo Marquard einmal, leidet man am Wenigen immer mehr.

Dass man aus der Literatur und den Debatten des 18. Jahrhunderts heraus aktuelle Problemlagen besser verstehen lernt, das u.a. möchte dieses Seminar zeigen. Die gegenwärtigen Sensibilitäten, Hypersensibilitäten und Absetzbewegungen wollen wir darum auch anhand ausgewählter Passagen aus dem Buch von Svenja Flaßpöhler diskutieren.

Folgende Primärtexte stehen auf dem Programm:

  • Friedrich Gottlieb Klopstock: Der Zürcher See
  • Johann Wolfgang Goethe: Die Leiden des jungen Werthers (Auszüge)
  • Jakob Michael Reinhold Lenz: Moralische Bekehrung eines Poeten, von ihm selbst aufgeschrieben
  • Johann Wolfgang Goethe: Dichtung und Wahrheit (Auszüge aus Buch XII-XIV)
  • Sigmund Freud: Das Unbehagen in der Kultur. Studienausgabe Bd. IX und andere Ausgaben.

Goethes Werther und Freuds Unbehagen, ferner auch das Buch von Flaßpöhler sollten Sie sich anschaffen. Die anderen Texte bzw. Textauszüge werden Ihnen elektronisch zur Verfügung gestellt.

Weitere Literatur:

Svenja Flaßpöhler: Sensibel. Über moderne Empfindlichkeit und die Grenze des Zumutbaren, Stuttgart: Klett-Cotta 2021.

Gerhard Sauder (Hg.): Theorie der Empfindsamkeit und des Sturm und Drang, Stuttgart: Reclam 2003.

Jürgen Viering: Empfindsamkeit. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft, hrsg. v. Georg Braungart u.a., Bd. 1, Berlin/ N.Y. 1997, S. 438-441.

Leyla Pektas | 08.04.2024