Gespräche am Tor - Karlsruher Begegnungen zu Wissenschaft, Politik und Kultur

Peter Schiffauer im Online-Vortrag Foto: Werner Daum
Peter Schiffauer im Online-Vortrag

Das Bundesverfassungsgericht und das Recht der Europäischen Union -

der gespannte Bogen ihrer 70-jährigen Erfolgsgeschichten

23. September 2021, 18 Uhr
Prof. Dr. Peter Schiffauer

Flyer zur Veranstaltung (PDF 1 MB)

Das Spannungsverhältnis zwischen nationalem und europäischem Verfassungsrecht in den „Gesprächen am Tor“

Anlässlich des 70. Geburtstags des Bundesverfassungsgerichts, das am 28. September 1951 in Karlsruhe offiziell eröffnet wurde, lud das Regionalzentrum Karlsruhe der FernUniversität in Hagen in Kooperation mit dem dortigen Dimitris-Tsatsos-Institut für Europäische Verfassungswissenschaften zu den „Gesprächen am Tor“. In der Online-Veranstaltung sprach Prof. Dr. Peter Schiffauer (FernUniversität in Hagen) über das Spannungsverhältnis zwischen europäischem und nationalem Verfassungsrecht.

Seit seiner Gründung hat das Bundesverfassungsgericht eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte absolviert, indem es sich durch seine unabhängige Rechtsprechung das Vertrauen der Bevölkerung über alle Generationen hinweg erwarb. Nachdem das deutsche Verfassungsgericht den europäischen Integrationsprozess längere Zeit einvernehmlich begleitet hat, stellt sich seit 2020 mit bisher nicht gekannter Schärfe die Frage nach der obersten Gerichtshoheit in einem Staatenbund wie der Europäischen Union. Bekanntlich positionierte sich das Bundesverfassungsgericht im Mai 2020 mit seiner Entscheidung über die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) erstmals offen und für manche überraschend gegen einen Spruch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). In seinem Vortrag gelang es dem aus Wrocław zugeschalteten Referenten, den somit ins öffentliche Bewusstsein getretenen Spannungsbogen zwischen der Rechtsprechungszuständigkeit des EuGH und derjenigen des Bundesverfassungsgerichts mit großer Expertise auszumessen und konstruktiv auszubalancieren. Dabei wurde deutlich, dass das Bundesverfassungsgericht der europäischen Integration trotz aller Konfliktzonen immer aufgeschlossen gegenüberstand.

Die sich an den Vortrag anschließende längere Diskussion thematisierte etwa die innereuropäische Signalwirkung des deutschen EZB-Urteils von 2020, das zum Präzedenzfall für einzelstaatliche Alleingänge erhoben werden könnte. Auch über die These einer übermäßigen verfassungsrechtlichen Regulierung der europäischen Integration und einer damit einhergehenden Beschränkung der politischen Handlungsfähigkeit wurde diskutiert. Weiterhin ging es um die Sicherstellung eines wirksamen Grundrechtsschutzes auf der Grundlage des deutschen Grundgesetzes und der europäischen Grundrechtecharta. Schließlich veranlasste die Frage, inwieweit die nationalen Verfassungsgerichte die europäische Integration eher behinderten, zur Erörterung des übergeordneten Problems, ob die Verfassungsrechtsprechung zum Recht oder zur Politik zu rechnen sei, mithin zur Auseinandersetzung mit dem politischen Charakter des Bundesverfassungsgerichts.

Peter Schiffauer, geb. 1948, wirkte 1978–2014 auf dem Gebiet der Europäischen Integration in der deutschen und europäischen öffentlichen Verwaltung, namentlich im Europäischen Parlament, wo er 2004–2014 das Sekretariat des Ausschusses für konstitutionelle Fragen leitete. Seit 1995 trägt er zu Forschung und Lehre an der FernUniversität in Hagen bei. Er ist dort Honorarprofessor für Europäisches und Deutsches Verfassungsrecht und derzeit Stellvertretender Direktor des Dimitris-Tsatsos-Instituts für Europäische Verfassungswissenschaften. Schwerpunkte seiner Forschungen und Publikationen auf dem Gebiet des Rechts, der Theorie und der Geschichte der Europäischen Integration sind transnationale und nationale Verfassungsfragen.

Weiterführende Ressourcen:

Zur Aufzeichnung der Veranstaltung [.mp4-Datei]
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