Rückblick auf die 50. Jahrestagung der DGHD

Corporate Design DGHD-Tagung 2022Das ist schon eine Leistung: Zum 50. Mal traf sich die Deutsche Gesellschaft für Hochschuldidaktik (DGHD) zu ihrer Jahrestagung. Nachdem sie im März 2020 kurzfristig auf ein Online-Format umgestellt werden musste (wir erinnern uns…) und 2021 eine Werkstatt-Tagung die Jahrestagung ersetzte, konnten sich die Teilnehmenden in diesem Jahr tatsächlich wieder in Präsenz treffen. Angesichts der vielen Gespräche und Impulse aus den Vorträgen und Workshops hat sich das gelohnt.

Pedagogical Ambassadors

Für mich ging es am Mittwoch mit den ersten beiden Keynotes los. Das bedeutete, dass ich leider bei der AG Digitale Medien in der Hochschuldidaktik nicht dabei sein konnte, die sich Dienstag und Mittwochmorgen traf. Da muss ich wohl mal bilateral herausfinden, was besprochen wurde. In der ersten Keynote jedenfalls berichtete Prof. Dr. Klara Bolander Laksov von der Stockholm University wie „pedagogical leadership“ dazu genutzt werden kann, das Beste der Lehre in den Zeiten der Pandemie mit ins postdigitale Zeitalter an den Hochschulen mitzunehmen. Pedagogical Leadership meint die Tatsache, dass an den Hochschulen Personen existieren, die Lehre und alles, was damit zusammenhängt, durch ihr eigenes Beispiel und die Kommunikation mit Kolleg*innen voran bringen. Bolander Laksov nannte in ihrem Vortrag als Beispiel „pedagogical ambassadors“, die z. B. aus einem Lehrgebiet kommen und für eine gewissen Zeit an einer zentralen Einrichtung arbeiten. Dadurch bekommen sie Einblick „in beide Welten“ und können als Multiplikator*innen in den Fakultäten fungieren.

Ein anderer Aspekt, den Bolander Laksov eigentlich eher in einem Nebensatz ansprach, gab einen Impuls, über die Rollen nachzudenken, die Lehrende an Hochschulen ausfüllen müssen. Sie sagte, dass sie sich auch wieder freuen würde, im Hörsaal zu stehen, weil ihr dann alle, die vor ihr sitzen zuhören würden. Nur ihr. Sie ergänzte aber dann, dass es ja eigentlich gar nicht um sie gehen würde, sondern um diejenigen, die etwas lernen müssten. Das müsste sie sich immer wieder sagen. Es ist interessant, wie sich diese Rolle, die in der Didaktik immer wieder hervorgehoben wird und die sich im Sprechen vom „From the sage on the stage to the guide on the side“ oder „From teaching to learning“ widerspiegelt, so grundsätzlich von der Rolle unterscheidet, die Lehrende an Hochschulen in der Forschung ausfüllen.

In der zweiten Keynote erzählte Prof. Dr. Anna Mountford-Zimdars – nach anfänglichen technischen Herausforderungen – anekdotisch von den Schwierigkeiten, die vor allem für die Chancengleichheit von Studierenden an den englischen Hochschulen bestand. Studierende, die einen nicht-akademischen Familienhintergrund haben, kämpften auch in England speziell in ländlichen Regionen mit den Umständen der Pandemie.

Espresso, per favore!

Danach hieß es wie häufig auf großen Tagungen sich zu entscheiden. Das war nicht einfach, denn alle Slots boten mehrere parallele interessante Sessions. Ich entschied mich zunächst mal für die sogenannten Espresso Papers. Dabei konnten die Beitragenden im Vorfeld Videos in einer TaskCards Pinnwand bereitstellen, die dann durch eine kurze Fragen-und-Antworten-Session in Präsenz ergänzt wurde. Die Beiträge dieses Slots bewegten sich eher auf einer Metaebene der Reflexion von Lehre: Gestaltung von Interaktion, Nutzung von Irritationen, Potentiale digitaler Kollaboration und kollegiale Hospitation, hier „Lehrbesuche“ genannt, weil – so der Vortragende – sich das schöner und nicht so bedrohlich anhört. Diese Stichworte sind nichts Neues, aber die Diskussion in der Session war angenehm lebhaft und stellte die Wichtigkeit von Reflexion auf unterschiedlichen Ebenen für das Vorankommen der Professionalisierung von Lehrkompetenz heraus.

Im Anschluss gestalteten die Kolleg*innen des Projekts HD@DH.nrw einen Workshop zum Thema „Was war, was ist, was kommt? – Hochschuldidaktische Weiterbildung im Wandel“, in dem angeregte Diskussionen um alle möglichen Aspekte der Hochschullehre entbrannten. An drei Tischen ging es World-Café-mäßig um die Vor- und Nachteile rein digitaler hochschuldidaktischer Weiterbildungsangebote, die Frage, ob wieder in Präsenz zurückgekehrt wird und die Wünsche, die hochschuldidaktische Weiterbildung begleiten. Die Ergebnisse ergaben ein heterogenes Bild, wie man es bei einem vollen Workshop vermuten kann. Dennoch scheint eine Tendenz zu sein, dass die Lehrenden bei hochschuldidaktischen Weiterbildungen die Flexibilität von digitalen Formaten zu schätzen wissen. Also genau das, was auch vielfach bei Studierendenbefragungen genannt wird. Einigkeit bestand aber meines Erachtens auch darin, dass die Aufteilung in Online-, Hybrid- und Präsenzformate eine bewusste didaktische Entscheidung sein muss, egal ob in der Hochschuldidaktik oder im grundständigen Angebot.

In die Virtualität eintauchen

Am nächsten Tag ging es dann gleich mit spannenden Projekten weiter, die vor allem AR/VR und KI thematisierten. Das Projekt „Immersive Learning Werkstatt“ von der Hochschule Ravensburg-Weingarten experimentiert mit einer VR-Anwendung zu Gesprächsführungsschulungen in der Sozialarbeit. Studierende „sitzen“ dabei einem Avatar gegenüber und unterhalten sich wie in einem Rollenspiel, ganz ohne Kicherfaktor, wie der Vortragende betonte. Dazu wird die Anwendung mit über 90.000 Gesprächssituationen gefüttert. Im nächsten Beitrag wurde der KI-Campus vorgestellt und das führte mir mal wieder vor Augen, dass ich da längst mal reingeschaut haben wollte… Schließlich rundete eine VR-Anwendung zu Labor-Übungen in MINT-Fächern die Session ab.

Evidenzen? Welche Evidenzen?

Ein weiteres Highlight war ein Impulsvortrag von Ivo van den Berg von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre mit dem ominösen Titel „Ein Loch ist im Eimer, liebe Leute“. Van den Berg leitete auf erkenntnis- und wissenschaftstheoretischer Grundlage die Erkenntnis her, dass evidenzbasierte Begründungen für gute Hochschullehre eigentlich momentan nicht möglich seien, da erstens der Evidenzbegriff nicht hinreichend geklärt ist und zweitens deshalb keine gültigen Handlungsempfehlungen hergeleitet werden können. Offen gestanden: Ein Highlight war der Beitrag für mich deshalb, weil er ein Parforceritt durch Wissenschaftstheorie war und ich nur die Hälfte von dem mitbekommen habe, was gesagt wurde. Gerade deshalb fühle ich mich herausgefordert, in dieser Richtung weiter zu „forschen“ und freue mich auf den Beitrag von van den Berg im Tagungsband.

Die drei Vortragenden in der Folgesession hatten den zuletzt beschriebenen Beitrag anscheinend nicht gehört. Sie stellten tatsächlich Handlungsempfehlungen vor, die aus verschiedenen fundiert umgesetzten Studien herauskristallisiert wurden. Dabei ging es schon mal um n=800 und n=1300 und auch das Studiendesign machte jeweils einen guten Eindruck. Auch hier freue ich mich auf die Verschriftlichungen im Tagungsband und möchte auf einen weiteren zusammenfassenden Beitrag vertrösten, in dem ich die Ergebnisse vorstellen werde. Abhängig davon, wann der Tagungsband erscheint, natürlich.

Dom Paderborn
Foto: Alexander Sperl

Übrigens: Paderborn ist eine schöne Stadt (s. Foto) und lohnt einen Besuch. Eine Stadtführung sollte gebucht werden, da erfährt man so einige Anekdoten. 😉

Letzter Tag

Der letzte Tag begann für mich mit einer Session, in der die Bedeutung von Kreativität in der Lehre hervorhob und dementsprechend auch kreativ umgesetzt wurde, nämlich als Storytelling. Ebenfalls in dieser Session gab es sehr interessante Einblicke in das Thema Social Reading, wie es an der Universität Hildesheim eingesetzt wird.

Abgerundet wurde die Tagung dann von der Keynote von Prof. Dr. Isabel Steinhardt von der Uni Paderborn, die über den Sozialraum Hochschule vortrug. Dieser Sozialraum ist immer noch etwas Fremdes für diejenigen Studierenden, die aus Nicht-Akademiker-Familien kommen und dementsprechend den Habitus erst neu erlernen müssen, der an Hochschulen herrscht. Ein wichtiger Impuls auch über die eigene Rolle in dieser Landschaft oder eben diesem Raum nachzudenken.

Ach ja, und außerdem: Herzlichen Glückwunsch an alle Twitter-Award-Gewinner*innen und die beiden Gewinner des DGHD-Nachwuchspreises: Lian Konrad Seibold für seine Masterarbeit zum Studienabbruch von Mathe-Studierenden mit Fokus auf der Interaktion mit Lehrenden und Dr. Joshua Weidlich von der FernUni für seine Dissertation „Presence at a distance: Empirical investigations toward understanding, modeling, and enhancing social presence in online distance learning environments“.

Und als allerletzte Anmerkung: Die Organisation war hervorragend! Vielen Dank an alle Beteiligten in Paderborn, es hat Spaß gemacht!



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