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Promotionsstipendien: Digitale Geschichten der Gewalt im 21. Jahrhundert

[03.03.2023]

Nachwuchsforschungsgruppe NFG 026 zu „Partizipativen Kriegsöffentlichkeiten und autobiographischem Erzählen in Russland, Belarus und der Ukraine“ startet in Hagen

Das Lehrgebiet Public History sucht derzeit drei Promovend:innen, die im Rahmen einer Ende 2023 startenden und von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Nachwuchsforschungsgruppe die Historisierung der Entstehung digitaler Formen von Öffentlichkeit erforschen. Die Förderung sieht dreijährige Promotionsstipendien für Nachwuchswissenschaftler:innen aus den Disziplinen Anthropologie, Soziologie, Geschichte, Medien- und Kulturwissenschaften sowie Mittel für die Durchführung von Workshops vor. Dafür ist im Mai 2023 nach Rücksprache mit dem Lehrgebiet Public History eine direkte Bewerbung bei der Hans-Böckler-Stiftung notwendig. Voraussetzungen sind das Interesse an interdisziplinärer Forschung, die exzellente Kenntnis einer Gesellschaft im östlichen Europa sowie Deutsch auf dem Niveau B2 zum Antritt der Förderung. Die Promotionsprojekte sind am Lehrgebiet Public History der FernUniversität in Hagen angesiedelt und können in deutscher oder englischer Sprache verfasst werden.

Ziel der Nachwuchsforschungsgruppe ist eine kritische Analyse partizipativer Praktiken der Herstellung von Öffentlichkeit im Zuge von Digitalisierung und Kriegführung am Beginn des 21. Jahrhunderts. Dazu erforschen die Mitglieder die neuste Geschichte digitaler Infrastrukturen und ihre Nutzung zur Schaffung von Öffentlichkeiten im Zuge staatlicher Gewaltanwendung. Empirisch nehmen sie aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick, wie aus der Interaktion staatlichen, privatwirtschaftlichen und individuellen Handelns neue Formen digitaler partizipativer Öffentlichkeit entstehen. Auf Grundlage der so gewonnenen Einsichten analysiert die Nachwuchsforschungsgruppe die Entstehung, Politisierung und Kommerzialisierung von Kriegsöffentlichkeiten in Russland, Belarus und der Ukraine seit der 2014 erfolgten russischen Annexion der Krim.

Die über den regionalen und zeitgenössischen Kontext hinausreichende Fragestellung ist auf die Erschließung digitaler Text-Bild-Strukturen für die zukünftige Erforschung lebensgeschichtlicher Erzählmodi zur Geschichte des frühen 21. Jahrhunderts ausgerichtet. Sie geht auf die Beobachtung zurück, dass ein großer Teil der Texte, Fotos und Videos, die in sozialen Netzwerken im Angesicht von Gewalt geteilt werden, Versatzstücke der sozialen Konstruktion von Wirklichkeit sind und die Mediatisierung von Kriegshandlungen, Besatzungsalltag und fortlaufender Repression grundlegend verändern. Die digitale Übertragung ermöglicht, diese Bilder über die Grenzen einzelner Medien, Klassen, Regionen und Staaten hinweg in Echtzeit zu transportieren, was neue Modi der Herstellung von Kriegsöffentlichkeiten hervorgebracht hat. Zugleich ermöglicht das Teilen lebensgeschichtlicher Zeugnisse auf digitalen Plattformen auch ein bisher ungekanntes Ausmaß an staatlicher Überwachung, das – wie in Russland und Belarus derzeit zu beobachten ist – zum Ausgangspunkt für politische Repression werden kann.

Die digitalen Egodokumente lassen sich, aufgrund der mehreren sozialen Netzwerken eingeschriebenen Metapher des Zeitstrahls, auch als Modi autobiographischen Erzählens verstehen. In diesen weben die beteiligten Bürger:innen in durch digitale Infrastrukturen vorgegebenen Rahmen selbsttätig und öffentlich eine Geschichte ihres Lebens. Die Frage nach der Zukunft öffentlichen lebensgeschichtlichen Erzählens soll zudem Licht auf die Einschränkungen werfen, denen horizontale Formen digitaler Kommunikation bereits heute unterworfen sind. Daraus resultiert die Frage, ob diese Praktiken von Zensur selbst als Formen digitaler Gewalt und Teil der Kriegführung im 21. Jahrhunderts verstanden werden können.

Förderin der Nachwuchs-Forschungsgruppe NFG 026: Hans-Böckler-Stiftung

Informationen zu den Promotionsverbünden der Hans-Böckler-Stiftung: Promotionsverbuende

Wissenschaftliche Leitung: Prof. Dr. Felix Ackermann

Kontakt: felix.ackermann

CfP Digitale Kriegsoeffentlichkeiten (PDF 132 KB)

CfP Public Spheres at War (PDF 177 KB)