Eine Bibliothek zur Psychologie und Rassenkunde

Der Karteischrank aus dem Marburger Institut

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 13

Eine Bibliothek zur Psychologie und Rassenkunde 1Foto: FernUniversität
Karteikartenkasten

Bei diesem unauffälligen, alten Karteischrank handelt es sich um etwas Besonderes. Die ca. 6.000 handschriftlichen Karteikarten darin enthalten den Literaturbestand des „Marburger Instituts für psychologische Anthropologie“. So hieß das Psychologische Institut unter der Leitung von Erich Rudolf Jaensch (1883–1940) ab 1933 (vgl. auch Schaufenster 5 „Anpassung der Typologie an die Rassenlehre“). Als Jaensch unerwartet Anfang 1940 starb, wurde trotz kritischer Fachgutachten der Jaensch-Schüler Gert Heinz Fischer berufen, der das Institut bis zu seiner Amtsenthebung kurz nach Kriegsende leitete.

1946 wurde in einem holprigen Berufungsverfahren Heinrich Düker (1898-1986) berufen (Tent, 2001). Düker war im Gegensatz zu Jaensch und Fischer Gegner des Nationalsozialismus und Widerstandskämpfer gewesen. Er hatte aus politischer Überzeugung in der NS-Zeit schmerzhafte Einbrüche in seiner Karriere hinnehmen müssen: Düker war drei Jahre inhaftiert und 1944 sogar im KZ Sachsenhausen interniert. Dükers vorbildliches Verhalten in der Nazizeit scheint aber für seine Berufung keine besondere Rolle gespielt zu haben.

Nun, in der frühen Nachkriegszeit konnte Düker das Marburger Psychologische Institut, wie es unter seiner Leitung ab 1947 wieder hieß, unter schwierigen Bedingungen neu aufbauen. Zur Neuausrichtung gehörte, dass die amerikanische Besatzung die Aussonderung unerwünschter Literatur forderte. Dem kam Düker nach. Die handschriftlichen Karteikarten wurden aber nicht aktualisiert. Vermutlich schon vorher, 1945 oder 1946 geriet die Kartei in Privatbesitz und blieb praktisch auf dem Stand der letzten Monate der Nazi-Zeit. Die Karten lassen daher bis heute erkennen, welche Literatur das Institut damals verwendet hat.

Eine Bibliothek zur Psychologie und Rassenkunde 2Foto: FernUniversität

Mit erheblichen Anstrengungen brachte Düker durch experimentelle Forschung bald das Marburger Institut zur Blüte. 1959 führte er in Marburg eine Tagung für experimentelle Psychologie durch. Diese war der Start für die bis heute jährlich stattfindenden Tagungen für experimentell arbeitende Psychologen (TeaP). Für etliche der jüngeren Assistentinnen und Assistenten hatte die ältere Charakterologie wenig Überzeugungskraft. So wurde Heinrich Düker mit seinen Forschungsinteressen in den Bereichen der experimentellen Willenspsychologie und Pharmakopsychologie, nicht zuletzt auch durch seine Persönlichkeit zum Vorbild für eine neue Wissenschaftlergeneration.

Der Marburger Karteischrank gehört zu den besonderen Archivalien des Psychologiegeschichtlichen Forschungsarchivs der FernUniversität (PGFA).

Tent, L. (2001). Die Berufung Heinrich Dükers an die Philipps-Universität Marburg. Psychologie und Geschichte 9 (1-2), 30-53.

H.E.L.

Anna Straßenburg | 08.04.2024