Charakterologie

Max Simoneit: Von der Wehrmachtpsychologie zur Nachkriegszeit

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 37

Foto: FernUni-Hagen

Die deutschsprachige Psychologie war in den Zwanziger- und Dreißigerjahren durch Persönlichkeitstypologien geprägt. Besonders das Buch „Körperbau und Charakter“ von Ernst Kretschmer (1921), das eigentlich „Körperbau und Temperament“ heißen sollte, erlebte bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg weite Verbreitung. Den drei Haupttypen leptosom, pyknisch und athletisch schrieb der Psychiater Kretschmer (1888–1964) bestimmte Temperamente und sogar verschiedene Neigungen zu psychischen Störungen zu. Aber auch andere Autoren, wie Carl Gustav Jung, (1875–1961) entwickelten zur gleichen Zeit ihre eigenen Typologien (1921).

Als wissenschaftlicher Leiter der Wehrmachtpsychologie forderte Max Simoneit (1896–1962) für wehrpsychologische Eignungsuntersuchungen neben der Diagnose mit standardisierten Verfahren auch die charakterologische Untersuchung und Begutachtung. Charakterologie war für Simoneit eine Methode, das gesamte geistig-seelische Wesen eines Menschen zu erfassen; dazu dienten ihm lebensnahe Verhaltensbeobachtung, Leistungsanalyse, Exploration und Schicksalserforschung. Hierzu hatte er u.a. eine charakterologische Symptomlehre entwickelt. Nicht alle Wehrmachtpsychologen waren von der Brauchbarkeit dieser Charakterologie überzeugt. An seiner Auffassung hielt Simoneit aber auch in der Nachkriegszeit fest, als standardisierte Testverfahren üblich und die Gütekriterien der klassischen Testtheorie allgemein akzeptiert wurden (Simoneit 1953). Die charakterologischen Begutachtungen nach Simoneit erfüllten diese Testgütekriterien nur unzureichend. Auch war man bald von den Typologien weitgehend abgekommen. Simoneits Arbeiten fanden in der fachwissenschaftlichen Diskussion der Fünfzigerjahre zunehmend Kritik. Hierdurch fühlte er sich unfair behandelt, wie Korrespondenzen mit Kollegen und Herausgebern von Zeitschriften erkennen lassen.

Das Foto zeigt eine Collage von Personenabbildungen, die Simoneit gesammelt und zum Teil in ein Album eingeklebt hatte. Neben Bildern aus Lehrbüchern zur Rassenlehre und einem Bild, das Rainer Maria Rilke in Positur zeigt, sind Ausschnitte aus Illustrierten der Nachkriegszeit zu sehen. So ist auch der Bezug zu Hitler zu verstehen, zu dem die Illustrierten nun Bilder von Frauen in Hitlers Leben (oben links) und Bilder von Hitler nach dem Attentatsversuch zeigten, wie sie „das deutsche Volk nie gesehen hat“ (oben rechts).

Foto: FernUni-Hagen

Man kann vermuten, warum Simoneit die Bilder sammelte. Sie waren Quellenmaterial für seine charakterologischen Studien. Ziemlich sicher zeigte er sie bei seinen Vorträgen als Belege.

Der wissenschaftliche Nachlass von Max Simoneit befindet sich im Psychologiegeschichtlichen Forschungsarchiv (siehe auch Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 8).

Jung, C. G. (1921). Psychologische Typen. Zürich: Rascher.

Kretschmer, E. (1921). Körperbau und Charakter. Untersuchungen zum Konstitutionsproblem und zur Lehre von den Temperamenten. Berlin: Springer.

Simoneit, M. (1953). Charakterologische Symptomlehre. Stuttgart: Siegfried Wolf.

H.E.L.

Gerhard Tübben | 08.04.2024