Empfehlungen für eine Amtsnachfolge:

Carl Stumpf empfiehlt Hans Rupp

Empfehlungen für eine AmtsnachfolgeFoto: FernUni
Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 19

In Hamburg gab es bis Anfang des 20. Jahrhunderts noch keine Universität, nur ein Kolonialinstitut und ein öffentliches Vorlesungswesen – vor allem für angehende Lehrer. Ernst Meumann (geb. 1862), der dort seit 1911 lehrte, verstarb schon im April 1915. Berufen wurde nun William Stern (1871-1938), der in Breslau schon lange als Außerordentlicher Professor tätig war. Stern nahm den Ruf nach Hamburg gerne an, baute die Psychologie in Hamburg aus und setzte sich später erfolgreich für die Gründung einer Universität ein.

Was geschah nun mit der frei gewordenen Professur in Breslau?

Öffentliche Ausschreibungen gab es noch nicht. Fähige Personen wurden vielmehr eingeladen. Da waren Empfehlungen nicht unwichtig.

Carl Stumpf (1848-1936), der zu dieser Zeit in Berlin lehrte, war an der anstehenden Berufung Sterns nach Hamburg nicht unbeteiligt. Er gratulierte Stern und versuchte in dezenter Weise auf ihn einzuwirken, indem er seinen Mitarbeiter Hans Rupp (1880-1954) für die Nachfolge in Breslau empfahl. Rupp war Österreicher, hatte schon in Göttingen gearbeitet und sich in Berlin 1909 habilitiert. Er hat sich über Jahrzehnte besonders der angewandten Psychologie gewidmet. Lobend schrieb Carl Stumpf an William Stern in mehreren Briefen 1915 über Hans Rupp: „Er ist ja wie kein anderer der jungen Dozenten in die Interessen und Frage der angewandten Psychologie, speziell auch der pädagogischen Psy. eingearbeitet und lebt ganz darin. Wir werden Ihnen darüber Näheres aktuellster Art erzählen können, wenn Sie hier sind.“ „Die experimentell-psychologischen Übungen meines Instituts hat er vorzüglich geleitet und die Hilfsmittel durch die selbst erfundenen Einrichtungen bereichert. Rupp sei seit Beginn des Sommers 1915 „von einer Verwertung psychol.-experimenteller Methoden für artilleristische Zwecke ganz in Anspruch genommen, die bereits fruchtbare Ergebnisse gezeitigt“ hätten, über die Stumpf aber nichts verraten dürfe. „Man wird nach dem Kriege erstaunen, in welchem Grade doch unsere junge Wissenschaft hier hat mitwirken dürfen.“ Schließlich: „Als Persönlichkeit kann ich R. nur sehr warm empfehlen.“

Wahrscheinlich hat William Stern den Psychologen Hans Rupp in Breslau empfohlen. Die Professur bekam jedoch weder Rupp noch ein anderer Experimentalpsychologe, sondern der Philosoph Richard Hönigswald (1875-1947). Der war in Breslau bekannt, weil er sich 1909 dort habilitiert hatte und 1911 zum Titularprofessor ernannt wurde. Hans Rupp dagegen blieb in Berlin fast noch 30 Jahre lang bis zum Eintritt in den Ruhestand 1944. Eine Ordentliche Professur erreichte er trotz seiner umfangreichen Lehr- und Forschungsaktivitäten nicht.

Der Vorgang um die Besetzung der Psychologie in Breslau zeigt daher auch, dass Experimentalpsychologen, erst recht im Bereich der angewandten Psychologie, im Deutschen Reich lange Zeit kaum Chancen auf die Besetzung von Lehrstühlen hatten.

H.E.L.

Gerhard Tübben | 12.08.2021