Der 22. Internationale Kongress für Psychologie 1980 in Leipzig

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 42

Im Herbst 1879 wurde das Leipziger Institut für experimentelle Psychologie durch Wilhelm Wundt mit privater Finanzierung begründet. Wenn es auch noch bescheiden ausgestattet war, wird es als weltweit erstes Psychologisches Institut angesehen.

Diese Gründung war ein Anlass, nach 100 Jahren den 22. Internationalen Kongress für Psychologie in Leipzig stattfinden zu lassen. Für die Deutsche Demokratische Republik war dies der erste und einzige Weltkongress mit entsprechenden Vorbereitungen, Genehmigungen durch höchste politische Ebenen und mit einer ungewöhnlich großen internationalen Beteiligung. Der Kongress wurde dadurch möglich, dass die Gesellschaft für Psychologie der DDR (GP) 1966 Mitglied der International Union of Psychological Science (IUPsyS) geworden war (Eckardt & Dumont, 2004, S. 74).

Bild: FernUni-Hagen
Gedenkmedaille in Meissener Steinzeug anlässlich des XXII. Internationalen Kongresses für Psychologie 1980 in Leipzig; PGFA.

DDR-Bürger, die am Kongress teilnehmen würden und Kontakte zum Westen hatten, wurden einer sogenannten „Sicherheitsprüfung“ durch das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) unterzogen. Zu diesen Personen gehörte auch der Berliner Psychologe Lothar Sprung (1934-2017). Er sollte seine Westkontakte nennen und begründen, warum er diese Kontakte mit Wissenschaftlern hatte.

Lange nach dem Kongress, zur Zeit der Wiedervereinigung, kursierten dann Gerüchte über die Rollen einzelner Psychologen der DDR. So wurde auch Lothar Sprung verdächtigt, Stasi-Spitzel gewesen zu sein. Sprung verbreitete daraufhin 1992 eine „Persönliche Erklärung“, in der es heißt:

Foto: FernUni-Hagen

Sprung war überzeugt, dass seine Weigerung gegenüber dem DDR-Ministerium ein wesentlicher Grund für seine Nichtberufung zum Professor in den 80er Jahren war (Sprung, 1992).

Die Vorgeschichte und Nachwirkungen des Kongresses im schwierigen politischen Kontext haben Schönpflug und Lüer (2011) anhand von historischen Dokumenten und Befragungen von Zeitzeugen umfassend recherchiert. Für die Führung der DDR erwies sich der Kongress als Erfolg, nicht zuletzt auch durch die Deviseneinnahmen in wirtschaftlicher Hinsicht. Diese Einnahmen sind vermutlich nicht der Psychologie zugewiesen worden, sondern im Staatshaushalt verblieben (Schönpflug & Lüer, 2011, S. 211).

Eckardt, G. & Dumont, K. (2004). Das Verhältnis der Gesellschaft für Psychologie der DDR und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie als Abgrenzung und Annäherung. Psychologische Rundschau, 55 (S 1), 72-77.

Schönpflug, W. & Lüer, G. (2011). Psychologie in der Deutschen Demokratischen Republik: Wissenschaft zwischen Ideologie und Pragmatismus. Der XXII. Internationale Kongress für Psychologie 1980 in Leipzig, seine Vorgeschichte und Nachwirkungen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Sprung, L. (1992). Lothar Sprung. Psychologe. In G. Herzberg & K. Meier (Hrsg.). Karrieremuster. Wissenschaftlerporträts (S. 108-141). Berlin: Aufbau Taschenbuch Verlag.

H.E.L. / P.P.

Gerhard Tübben | 08.04.2024