Kripal Singh Sodhi: Bemühungen um internationalen Anschluss

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 17

SodhiFoto: FernUniversität

Nach der Kapitulation 1945 war die akademische Psychologie in Deutschland bemüht, ihre wissenschaftliche Arbeit fortzusetzen. Für einige Fächer war dies aber fast unmöglich. Zum Beispiel konnte für die Sozialpsychologie das frühere Prüfungsfach „Kultur- und Völkerpsychologie“ kaum als wissenschaftliche Grundlage dienen. So war internationale Fachliteratur gefragt; dabei besaßen die psychologischen Bibliotheken kaum fremdsprachige Literatur. Kontakte zu Sozialpsychologen im Ausland und ggf. auch Studienaufenthalte waren daher besonders erstrebenswert.

Ein junger Wissenschaftler, der in Westdeutschland die Sozialpsychologie ein Stück voranbrachte, war der Inder Kripal Singh Sodhi (1911-1961) (Rösgen, 2003).

Sodhi wollte zunächst Arzt werden, studierte dann aber Psychologie. Nach seinem Master-Abschluss an der Universität Allahabad (1936) reiste er im September 1937 nach Berlin, um sich bei Wolfgang Köhler eingehender mit der Gestaltpsychologie zu befassen. Köhler war jedoch schon zwei Jahre zuvor aufgrund von Nazi-Repressalien in die USA emigriert. Auch die meisten anderen Gestaltpsychologen waren nicht mehr in Berlin. Aus mehreren Gründen blieb Sodhi dann aber im Berlin der Nazi-Zeit. Er konnte 1941 mit einer Arbeit über Tiefensehen promovieren. Weitere wahrnehmungspsychologische Experimente sollten zur Habilitation führen. Dieses Ziel zerschlug sich zunächst, denn durch einen Fliegerangriff wurde das Berliner Stadtschloss mit dem Psychologischen Institut schwer beschädigt. Hierbei wurden auch alle Aufzeichnungen für Sodhis Habilitationsschrift vernichtet.

1948 konnte Sodhi ein Forschungsstipendium in den USA wahrnehmen, wo er endlich mit Wolfgang Köhler zusammenarbeiten konnte und Solomon E. Asch, Richard S. Crutchfield und andere amerikanische Psychologen kennenlernte. Während dieses USA-Besuchs erlebte Berlin ab Juni 1948 die Blockade durch die russischen Streitkräfte. Besorgt um seine Familie kehrte Sodhi Ende 1948 in das abgeschnittene Berlin zurück. Nach etlichen Schwierigkeiten wurde Sodhi 1959 Professor an der Freien Universität in Berlin. Da war er 48 Jahre alt.

Sodhis eigene Forschung lag vor allem in den Bereichen der Konformitätsforschung und der Stereotypforschung. Seine Habilitationsschrift war der Versuch, die experimentelle Konformitätsforschung, wie sie Sozialpsychologen in den USA betrieben hatten, in Deutschland zu replizieren und auszuweiten. Durch experimentelle Untersuchungen wollte Sodhi herausfinden, wie weit die individuelle Urteilsbildung von anderen Menschen beeinflusst wird. Hatte Sodhi mit seinen Untersuchungen die Konformitätsforschung in der jungen Bundesrepublik bekannt gemacht, so hatten seine Arbeiten zur Stereotypforschung eine ähnliche Wirkung. Er nutzte zur Erfassung der Stereotype das in Deutschland noch unbekannte Eigenschaftslistenverfahren von Daniel Katz und Kenneth W. Braly.

Mit seinem Studienfreund Rudolf Bergius führte Sodhi die Untersuchung „Nationale Vorurteile“ (1953) durch. Mit einer Stichprobe von 881 deutschen Personen wurden die Einstellungen zu Amerikanern, amerikanischen Negern, Chinesen, Türken, Engländern, Franzosen, Juden usw. erfasst. Interesse an derartigen Untersuchungen hatten auch die Besatzungsmächte, die ein Erstarken nationalistischer Tendenzen befürchteten. Ebenso waren deutsche Politiker interessiert. Demoskopische Institute, die solche Befragungen durchführen konnten, waren in der jungen Bundesrepublik noch neu: Das EMNID-Institut wurde 1945 gegründet, das Institut für Demoskopie in Allensbach 1947; der Widerstand in der Bevölkerung gegen Meinungsumfragen war in den Fünfzigerjahren noch beträchtlich.

Zwei Gründe waren es, die Sodhis wissenschaftlich Karriere so sehr behinderten: Erstens der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und die schwierige Nachkriegszeit mit der Blockade Berlins; zweitens hatte die Führungsschicht in der deutschen akademischen Psychologie einen ungünstigen Einfluss. Viele ältere Professoren hingen an der Charakterologie und Ausdruckspsychologie und waren für die experimentelle Sozialpsychologie nicht aufgeschlossen.

Jüngere Kollegen und Studenten waren dagegen von Sodhi fasziniert, denn er lehrte eine moderne Psychologie, die aufgegriffen und fortgeführt werden konnte. Hinzu kam, dass ihm alle professoralen Eitelkeiten fremd waren. Sodhi starb völlig überraschend Anfang Mai 1961 durch Herzinfarkt. Zu diesem Zeitpunkt hatte er kaum länger als zwei Jahre als Ordinarius gelehrt. Die Sozialpsychologie erlebte nur sehr wenige Jahre später in der frühen Bundesrepublik eine beträchtliche Expansion an den Universitäten. Der frühe Tod von Sodhi mag ein Grund dafür sein, dass die Psychologie sehr bald über sein Werk hinweg gegangen ist und dass der Name Kripal Singh Sodhi selbst innerhalb der deutschen Sozialpsychologie heute weitgehend unbekannt ist.

Rösgen, P. (2003). Kripal Singh Sodhi und die Anfänge der Sozialpsychologie in Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. In: L. Sprung und W. Schönpflug (Hrsg.) Zur Geschichte der Psychologie in Berlin. 2. Aufl. (S. 451-469). Frankfurt: Lang.

Sodhi, K. S. (1953). Urteilsbildung im sozialen Kraftfeld. Göttingen: Hogrefe.

Sodhi, K. S. & Bergius, R. (1953). Nationale Vorurteile. Eine sozialpsychologische Untersuchung an 881 Personen. Berlin: Duncker und Humblot.

H.E.L.

Miriam Rothe | 08.04.2024