Oswald Kroh an Ernst Harms:

„ … das beste …, wenn wir die Beziehung abbrechen“

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 40

In früheren Jahrzehnten wurden Buchbesprechungen für Fachzeitschriften honoriert. So suchten einerseits die Herausgeber von Zeitschriften kompetente Rezensenten, andererseits besprachen einige Rezensenten gern neue Bücher, um nicht nur das besprochene Buch, sondern auch ein Zeilenhonorar zu erhalten.

Bei dem folgenden Konflikt geht es um den Philosophen und Psychologen Ernst Harms (1895-1974), der Herausgeber des „Jahrbuchs für idealistische Philosophie“ war und für verschiedene Zeitschriften Bücher besprach.

Überliefert ist ein Brief des Psychologieprofessors Oswald Kroh (1887-1955) aus Tübingen vom März 1934 an Harms. In diesem Brief geht es um Rezensionen, aber auch um politische Gründe für Handeln und Unterlassungen.

Foto: FernUni-Hagen
Foto: FernUni-Hagen
Brief vom 20.3.1934 von Oswald Kroh an Ernst Harms, PGFA, Schenkung H.E.L

Oswald Kroh war seit 1928 o. Professor für Erziehungswissenschaften in Tübingen. Er trat 1933 in die NSDAP ein; in seinen Werken sind NS-Anschauungen gut erkennbar (Kroh, 1939). Retter (2001) hat die Rolle von Kroh im Nationalsozialismus und in der Nachkriegszeit genau untersucht und beschrieben.

Als (kommissarischer) Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Psychologie setzte Kroh in enger Zusammenarbeit mit dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung 1941 die Diplomprüfungsordnung für Psychologie durch (Lück, 2020). Diese entfaltete allerdings ihre Wirkungen erst nach dem Zweiten Weltkrieg.

Der hier gezeigte Brief vom März 1934 lässt einen Konflikt zwischen Kroh und Harms erkennen, der nicht nur fachlich begründet war. Harms hatte angeboten, zahlreiche Rezensionen für die Zeitschrift für Pädagogische Psychologie zu erstellen. Kroh antwortete hinhaltend, was Harms als „Ausdruck eines politischen Mißtrauens“ ansah. Angaben, die Harms am 14.1.34 machte, „nötigten“ Kroh dazu, sich über ihn zu informieren. Welcher Art diese Informationen gewesen sein können, wird nicht gesagt. Harms war jüdischer Herkunft und die Vermutung, dass es um eine Beurteilung im Sinn der NS-Rassenideologie ging, liegt nahe. Kroh schwieg wieder eine Weile und Harms sandte daher die Bücher zurück. Er war sicher verärgert, denn er verzichtete so auch auf die Veröffentlichung der Besprechungen und auf sein Honorar. Nun erhielt Kroh eine Postkarte von Harms vom 16. März aus Zürich mit dem Vorwurf, Kroh habe ihn „durch Verlust dieser Arbeiten zu schädigen für richtig gehalten“. Kroh wies diese „Unterstellung“ „auf das entschiedenste“ zurück und versuchte mit dem hier gezeigten Brief vom 20. März ausführlich sein Verhalten zu rechtfertigen. Er schloss seinen Brief mit der Aussage, dass auch er „es jetzt für das beste halte, wenn wir die Beziehungen abbrechen.“ So endete offenbar die Beziehung der beiden Psychologen.

Harms emigrierte 1933 oder später in die USA, entkam so der Verfolgung durch den Nationalsozialismus und fand dort – nunmehr mit dem Namen Ernest Harms – neue Tätigkeitsfelder im Bereich der Klinischen Psychologie, Kunsttherapie und Beratung. 1943-1962 war er Direktor der Child Guidance Clinics, Beth David und Grand Central Hospitals, New York.

Ein Briefdokument wie dieses enthält Hinweise auf Einstellungen und soziale Rollen des Verfassers und des Empfängers. Man ahnt Krohs politische Haltung, kann daher den Ärger von Harms nachvollziehen. Viele Fragen sind jedoch offen: Welche Qualität hatten die Buchbesprechungen von Harms? Warum beantwortete Kroh die Post so zögerlich? War ihm recht, dass Harms die Bücher zurückschickte? Welche Informationen holte Kroh von wem über Harms ein? Warum waren ihm diese Informationen so wichtig, dass sie ihn angeblich von einer direkten Antwort abhielten? Warum lenkte keiner der beiden in diesem Streit ein, so dass eine weitere Zusammenarbeit möglich gewesen wäre? Die Beantwortung solcher Fragen ist nur möglich, wenn weitere, geeignete Quellen herangezogen werden. So erhellen sich Quellen gegenseitig, werfen aber immer neue Fragen auf.

Aufgrund seiner politischen Vergangenheit galt Kroh nach 1945 als belastet; dessen ungeachtet wurde er in der frühen Bundesrepublik als Psychologe sehr verehrt, nicht zuletzt wegen der Diplomprüfungsordnung, die Jahrzehnte lang fast unverändert in Kraft war und die Ausbildung von Psychologinnen und Psychologen in der Bundesrepublik vereinheitlichte. 1949 erlangte Oswald Kroh auch erneut eine Professur in Berlin. Er verstarb überraschend 1955, zwei Wochen bevor der 20. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Berlin begann, dessen eigentlicher Veranstalter Kroh war (Wellek, 1956).


Kroh, O. (1939). Die Psychologie im Dienste der völkischen Erziehung. In O. Klemm (Hrsg.), Charakter und Erziehung. Bericht über den XVI. Kongreß der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (S. 35-44). Leipzig: Barth.

Lück, H. E. (2020). Die Diplomprüfungsordnung für Studierende Psychologie – eine nationalsozialistische Prüfungsordnung? In M. Wieser (Hrsg.), Psychologie im Nationalsozialismus. (S. 47–72.). Berlin: Peter Lang.

Retter, H. (2001). Oswald Koh und der Nationalsozialismus. Rekonstruktion und Dokumentation einer verdrängten Beziehung. Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

Wellek, A. (Hrsg.) (1956). Bericht über den 20. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychologie in Berlin vom 26. Bis 29. September 1955. Göttingen: Hogrefe.

H.E.L.

Gerhard Tübben | 08.04.2024