Jacob Levy Moreno – Begründer der Soziometrie

Eine Postkarte aus Kanada und ein anonym erschienenes Buch

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 32

Jacob Levy Moreno (1889-1974), österreichisch-amerikanischer Arzt, Psychiater und Soziologe, war der Begründer des Psychodramas und der Soziometrie. Seine Eltern waren rumänisch-sephardischer Herkunft. Moreno war in Wien an dem damals beliebten Straßentheater aktiv beteiligt, als Stückeschreiber und als Spieler. Er studierte dann in Wien Medizin und emigrierte 1925 in die USA, wo er therapeutisch und wissenschaftlich arbeitete. 1928 begann er mit Stegreifspielen für Kinder, bald auch für Erwachsene. Er entwickelte wissenschaftliches Interesse an Gruppen, prägte vielleicht noch vor Kurt Lewin den Begriff Gruppendynamik und erweiterte die angewandte Gruppendynamik zur Gruppenpsychotherapie. Moreno prägte den heute verbreiteten Begriff Psychodrama. Im Jahr 1934 erschien sein Hauptwerk “Who shall survive? A new approach to the problem of human interrelations“. Morenos Methode zur Erfassung der Beziehungen in einer Gruppe war vor allem die Soziometrie. Kern dieser Methode ist die Befragung der einzelnen Gruppenmitglieder nach anderen Mitgliedern, zum Beispiel danach, wer mit wem am liebsten zusammenarbeiten möchte. Die Soziometrie wurde zu einer wichtigen Methode zur Erfassung von Gruppenstrukturen.
Es war Morenos religiös begründetes Ziel, mit seiner Arbeit und mit seinem Buch eine Veränderung der Gesellschaftsordnungen zu erreichen. Moreno hatte ein beachtliches Charisma. Er trat mit weitem Mantel und Gefolge wie ein Künstler auf, fesselte sein Publikum, und er war davon überzeugt, ein Messias einer neuen Gesellschaftsordnung zu sein.

Foto: FernUni-Hagen
Postkarte von Jakob Levy Moreno an Gustav Kiepenheuer vom 1.9.26. (PGFA Hagen. Bestand H.E.L.).

Die hier gezeigte Ansichtskarte aus dem Hagener Archiv, datiert und abgesendet am 1. September 1926, ist an den Verleger Gustav Kiepenheuer (1880–1949) in Potsdam-Wildpark adressiert. Moreno sendet Grüße aus Montreal und schreibt an den Rand: „Grüße für Lorre – bitte geben Sie ihm eine Rede v. d. Richter“. Mit „Lorre“ ist der Schauspieler Peter Lorre (1904–1964) gemeint, der als László Loewenstein in Ungarn geboren wurde und ab 1922 mit Moreno in Wien Straßentheater spielte. Auf diesem Weg wurde er Bühnenschauspieler. 1925 nahm Loewenstein den Künstlernamen Peter Lorre an. Wenige Jahre später wurde er in den USA und Deutschland ein sehr bekannter Filmschauspieler.

Mit Morenos Bitte „geben Sie ihm eine Rede v. d. Richter“ ist das kleine Buch „Rede vor dem Richter“ gemeint, das im Jahr zuvor im Gustav Kiepenheuer Verlag erschienen war. Das Buch erschien anonym. Heute ist bekannt, dass der Autor kein anderer als Jacob Moreno selbst war.


[Moreno, J. L.] (1925). Rede vor dem Richter. Potsdam: Verlag des Vaters / Gustav Kiepenheuer Verlag.

Moreno, J. L. (1934). Who shall survive? A new approach to the problem of human interrelations. Washington, D. C.: Nervous and Mental Disease Publishing Co. Deutsch: Moreno, J. L. (1954). Die Grundlagen der Soziometrie. Wege zur Neuordnung der Gesellschaft. Köln und Opladen: Westdeutscher Verlag. Zweite, erweiterte Auflage 1967. 3. Aufl. 1974. Nachdruck der 3. Aufl.: Opladen: Leske + Budrich, 1996.

H.E.L.

Gerhard Tübben | 08.04.2024