Ein Brief von Hans Henning an Karl Groos

Schüttelreime und glänzende Farben

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 45

Zu dem Bestand, den das Hagener Archiv bewahrt, gehört ein Konvolut von Briefen an Karl Groos (1861-1946). Dabei ist ein Brief von Hans Henning (1885-1946). Dieser Brief ist in gewisser Weise typisch für die Psychologie der damaligen Zeit.

Weder Karl Groos noch Hans Henning gehören heute zu den vielzitierten Autoren der Psychologie. Groos war Philosoph und Psychologe. Er lehrte als Professor in Basel und Gießen. Von evolutionstheoretischen Ansätzen ausgehend leistete er Beiträge zur Ästhetik und Psychologie, besonders zur Kinderpsychologie (heute Entwicklungspsychologie genannt), so u.a. zum Spiel in der Kindheit.

Hans Henning war 1914 bis 1922 Assistent am Psychologischen Institut der Universität Frankfurt. Mit seinen Versuchen zur Klassifizierung von Gerüchen entwickelte er 1916 das sog. Geruchsprisma, auch „Henning-Prisma“ genannt. Dieses hat die sechs Ecken würzig, blumig, fruchtig, harzig, brenzlig und faulig. Später versuchte Henning auch für den Geschmack ein entsprechendes System zu entwickeln. Henning habilitierte sich 1916 mit seiner Arbeit über Gerüche (Henning, 1916). 1922 nahm er eine Ordentliche Professur in Danzig an. 1931 veröffentlichte er einen Überblick über die Psychologie seiner Zeit, die mehrere Auflagen erlebte. Henning wurde Opfer des Rassismus der Nazizeit: Da seine Frau jüdischer Herkunft war, wurde er 1934 beurlaubt und 1936 zwangsemeritiert.

Foto: FernUni-Hagen
Brief vom 3.11.1917 von Hans Henning an Karl Groos (Ausschnitt Briefanfang), PGFA, Bestand Groos

In dem Brief von Henning an seinen Kollegen Groos vom 3. November 1917 geht es um zwei verschiedene Themen: den Humor im Reim, besonders im Schüttelreim, und um Fragen nach dem Glanz in der Erscheinung von Farben (s. reproduzierte Briefausschnitte). Karl Groos hatte vielleicht zur Habilitation gratuliert, jedenfalls nahm Henning auf die Ausführungen zum Humor und Witz von Groos Bezug. Henning bedauerte, dass es praktisch keine empirischen Untersuchungen zum Schüttelreim gebe; auch Freud habe das Thema nur gestreift. Henning selbst berichtet aber über seine Untersuchungen zur Komik beim Schüttelreim, die durch den komischen Inhalt entstehen kann, durch das Entstehen von komischen akustischen Klangbildern oder eben ganz ausbleiben kann.

Foto: FernUni-Hagen
Brief vom 3.11.1917 von Hans Henning an Karl Groos (Ausschnitt Briefende), PGFA, Bestand Groos

Der zweite Teil des Briefes behandelt Glanz und Glühen bei der Erscheinung der Farben. Henning lässt deutlich erkennen, dass er die Literatur von Hermann von Helmholtz bis David Katz kennt und dass derzeit darüber nicht geforscht wird. Seine eigenen Originaluntersuchungen seien noch nicht veröffentlicht. Abschließend macht Henning ein Angebot an Groos: Da er 1905/06 photochemischer Assistenz gewesen sei, könne er die Lumineszenzliteratur der Chemiker in Form von Sonderdrucken gern für Groos zusammenstellen.

Psychologiegeschichtlich sind die Arbeiten von Groos und Henning kaum betrachtet worden, obwohl beide aktive Wissenschaftler waren und u.a. auf den Kongressen für experimentelle Psychologie referierten. Briefe wie dieser lassen aber erkennen, dass die Kontakte von Psychologinnen und Psychologen mit ähnlichen Interessen für die Entwicklung der Psychologie bedeutsam waren, weil hier über eigene Untersuchungen berichtet, die Arbeit von Kollegen bewertet und schließlich kollegiale Hilfe angeboten und gegeben wurde.

Henning, H. (1916). Der Geruch. Leipzig: A. Barth. https://archive.org/details/HansHenning1916

Henning, H. (1925). Psychologie der Gegenwart, Berlin: Mauritius.

H.E.L

Gerhard Tübben | 08.04.2024