Das Testament von Hugo Münsterberg

„…daß Ihr unbedingt das Rechte tut, wenn Ihr zur Heimat zurückkehrt.“

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 30

Foto: FernUni-Hagen
Titelseite des Testaments von Hugo Münsterberg (PGFA, Bestand Wolfgang Bringmann, Teilnachlass Hugo Münsterberg)

Kein anderer Psychologe hat zu Beginn des 20. Jahrhunderts die angewandte Psychologie so kreativ, mutig und selbstbewusst vorangebracht wie Hugo Münsterberg. Münsterberg (geb. 1863) entstammte einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie, studierte Medizin und Philosophie und lehrte in Freiburg, dann an der Harvard University. In zahlreichen englischen und deutschen Veröffentlichungen stellte er seine Philosophie, seine Psychologie und besonders seine Psychotechnik dar. Psycho­technik war für ihn „die Wissen­schaft von der praktischen Anwendung der Psychologie im Dienste der Kultur­aufgaben“ (1914, S. 1). Psychotechnik umfasste also ange­wandte Bereiche wie die Psychologie der Gesell­schaft, der Gesund­heit, der Wirtschaft, des Rechts, der Er­ziehung, der Kunst und Wissen­schaft (so die Kapitel der 1914 erschienenen „Grundzüge der Psy­chotechnik“). Wenige Jahre später erhielt der Begriff aber eine engere Bedeutung im Sinn der „Industriellen Psychotechnik“, vor allem also psychodiagnostischer Auswahlverfahren.

Hugo Münsterberg trat als Vermittler zwischen Deutschland und den USA auf und warb als deutscher Patriot in den USA mit Reden und Veröffentlichungen für sein Heimatland. Nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs setzte er sich für Friedensverhandlungen ein und versuchte Amerikas bevorstehenden Eintritt in den Krieg zu verhindern. Hugo Münsterberg – er behielt Zeit seines Lebens die deutsche Staatsbürgerschaft – wurde als Deutscher in den USA mit Beginn des Weltkriegs zunehmend angefein­det. Zur Kennzeichnung deutsch­freund­li­cher Einstellun­gen sprach man in den USA von Münster­bergism oder gar Monsterbergism.

Das Hagener Archiv bewahrt einen Teil des Nachlasses von Hugo Münsterberg (Lück & Rothe, 2017), darunter sein Testament. Dies trägt das Datum 3. Oktober 1915 und ist an seine Frau Selma (geb. Oppler) und seine beiden Töchter Margarete („Grete“) und Ella gerichtet. Münsterbergs Formulierungen im Testament lassen vermuten, dass er eine Vorahnung von seinem nahen Tod hatte, obwohl er zum Zeitpunkt der Abfassung erst 52 Jahre alt war. Er wendet sich im Testament liebevoll an seine Angehörigen und beschreibt zunächst die wirtschaftliche Lage der Familie, die den überlebenden Frauen ein Auskommen ermöglichen soll. Er lässt dann überraschenderweise auch erkennen, dass er seiner Familie nahelegt, die USA zu verlassen:

„Wäre mein Leben vor dem Weltkrieg zu Ende gegangen, so hätte ich Euch kaum gedrängt, Amerika zu verlassen, es vielmehr ganz Eurem Urteil überlassen. Jetzt aber, nachdem die Tragödie des Krieges, in unsere Zeit hineingebrochen, bin ich fest überzeugt, daß Ihr unbedingt das Rechte tut, wenn Ihr zur Heimat zurückkehrt …“

Dieser dringende Rat ist sicher ein Resultat der damaligen Deutschfeindlichkeit in den USA. Wie sehr Münsterberg in dieser Zeit gelitten hat, geht aus einem Brief hervor, den er wenige Monate später, im Februar 1916, an seinen Hamburger Kollegen William Stern schrieb:

„Ich arbeite Tag und Nacht vor und hinter der Szene fast nur im Interesse des politischen Kampfes und kann zum Glück so manches durchsetzen, meine alten Beziehungen sind fast alle zerschnitten, besonders hier in Boston. Die meisten meiner hiesigen Freunde kennen mich nicht mehr, aus Clubs bin ich ausgestoßen, aus Akademien ausgetreten, alle Wut hat sich gegen mich konzentriert. Aber wir halten durch!“ (Stern, 1917, S 54f.)

Weniger als ein Jahr später, am Samstag, dem 16. Dezember 1916, verabschiedet sich Hugo Münsterberg von seiner Frau, um seine Vorlesung vor Studentinnen zu halten. Nach etwa der Hälfte der Vorlesung bekommt er einen Schwächeanfall und bricht dann zusammen. Ein herbeigerufener Arzt kann ihm nicht mehr helfen.

Hugo Münsterberg ist nur 53 Jahre alt geworden. Den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg (6.4.1917) hat er nicht mehr erlebt. Seine Frau und die beiden Töchter folgten dem Rat des Verstorbenen nicht; sie blieben in den USA. Tochter Margaret gab 1922 ein umfangreiches Buch über Leben und Werk ihres Vaters heraus (Münsterberg, 1922).

Lück, H. E. & Rothe, M. (2017). Hugo Münsterberg. Psychologie im Dienst der Gesellschaft. Report Psychologie, 42(2), 58-65.

Münsterberg, H. (1914). Grundzüge der Psychotechnik, Leipzig: J. A. Barth.

Münsterberg, M. (1922). Hugo Münsterberg, his life and work. New York: Appleton.

Stern, W. (1917). Hugo Münsterberg. Ein Gedenkwort. Zeitschrift für pädagogische Psychologie, 18, 54-57.

H.E.L.

Gerhard Tübben | 08.04.2024