Ein Widmungsexemplar des Fischer Lexikons Psychologie

von Peter R. Hofstätter für Albert Wellek

Schaufenster zum Forschungsarchiv Nr. 35

Autorinnen und Autoren erhalten in der Regel von ihrem Verlag einige Freiexemplare ihrer neu erschienenen Bücher. Diese werden gern mit persönlichen Widmungen an befreundete Fachkolleginnen und -kollegen verschenkt. Verbunden ist dieses Geschenk mit der Hoffnung, dass das Buch Interesse und Anerkennung findet, vielleicht zitiert oder sogar Studierenden empfohlen wird. Besonders erwünscht ist eine (möglichst positive) Buchbesprechung in einer Zeitschrift. Diese Hoffnungen erfüllen sich nicht immer.

Foto: FernUni-Hagen

Das Psychologiegeschichtliche Forschungsarchiv bewahrt zum Beispiel eine Erstauflage des Fischer Lexikons Psychologie, verfasst und herausgegeben von „Professor Dr. Peter R. Hofstätter“, erschienen im Dezember 1957 in der „Fischer Bücherei KG. Frankfurt am Main“. Das Buch ist nicht selten, es trägt aber die handschriftliche Widmung

„Herrn Kollegen Wellek
mit freundlichen Grüßen
vom Verf.“

Der Empfänger, Prof. Albert Wellek in Mainz, war promovierter Musikwissenschaftler, als Psychologe fühlte er sich der Leipziger Strukturpsychologie von Felix Krueger (Ganzheitspsychologie) verpflichtet; gegenüber der experimentellen Psychologie war er daher skeptisch eingestellt. Hofstätter (1913-1994) dagegen wandte mit spürbarem Vergnügen mathematisch-statistische Verfahren, wie die Faktorenanalyse, an. Seine Bücher aus der Frühzeit der Bundesrepublik fanden eine vorwiegend junge Leserschaft.

Heute wird zu Recht Hofstätters Haltung als Publizist kritisiert: Er war – anders als Wellek – Parteimitglied und Wehrmachtpsychologe gewesen; in Zeitungsaufsätzen und Diskussionen relativierte und marginalisierte er später die NS-Verbrechen; u.a. sprach er sich dagegen aus, NS-Täter vor Gericht anzuklagen. Auch in seinen fachwissenschaftlichen Büchern sind die Verharmlosung des Holocaust und rassistische Tendenzen zu finden – allerdings eher beiläufig und in einer Weise, die die damalige Leserschaft zunächst nicht zur Kritik veranlasste (vgl. Demke, 2014).

Albert Wellek ging mit dem Buchgeschenk in seiner akribischen Art um: Mit Bleistift notierte er auf dem Vorsatzblatt, auf welchen Seiten ein paar Fehler zu finden waren. Gleich zu Beginn der Einleitung des Buches schrieb er an den Rand: „Lesefrüchte wild durcheinander“ (s. Abb.). Diese Kritik war nicht ganz abwegig: Das Buch war zwar ein „Lexikon“, aber ein Autoren- und kein Herausgeberwerk. Hofstätters Stil war vor allem in seinen sozialpsychologischen Büchern essayistisch, manchmal spekulativ, aber dadurch anregend. Hofstätters politische Haltung kritisierte Wellek in seinen Anmerkungen nicht; vielleicht hat er das Buch auch bald als ungeeignet zur Seite gelegt. Aber gleichgültig war es ihm sicher nicht, denn der Autor Wellek wurde in dem 367-Seiten-Band neunmal durchaus sachlich erwähnt.

Foto: FernUni-Hagen

Fünf Jahre später nahm Albert Wellek das Lexikon aus einem anderen Grund noch einmal zur Hand. Nun interessierte ihn das Autorenhonorar, das Hofstätter erhalten hatte. Welleks neue Bleistift-Eintragung oberhalb des Impressums lautete:

„1962: 175.000 – 200.000

(Honorar je 25.000: DM 2000)“

Mit den weiteren tausend Exemplaren, die in schneller Folge erschienen, konnte sich Albert Wellek (1904-1972) ausrechnen, dass sein Hamburger Kollege mit diesem Buch sehr gut verdiente – wobei der gering angesetzte Honorarsatz von 8 Pfennig pro Exemplar vermutlich stimmte.

Peter Hofstätter schrieb in seiner Autobiographie, dass sein Lexikon mit zu kollegialen Reibungen führen musste, nachdem er sich auf das Abenteuer eingelassen habe, „eine ganze Disziplin zu beeinflussen“. (1992, S. 127). Er lehrte damals in Wilhelmshaven und versuchte „der deutschen Psychologie den Anschluß an die amerikanische Psychologie zu erleichtern“. Mit der Gesamtauflage von 638.000 Exemplaren des Lexikons habe er „in den sechziger Jahren so viele Haupt- und Nebenfachstudenten der Psychologie erreicht (…), daß auch einige akademische Lehrer sich zu einer Modernisierung ihrer Vorlesungsmanuskripte genötigt sahen“ (Hofstätter, 1992, S. 127).

Tatsächlich gab es kaum ein Psychologiebuch, das eine derartig hohe Auflage erreichte. Das lag auch am Verkaufsgeschick des Fischer-Verlags mit seinen preiswerten Taschenbüchern. Im Jahr 1957, dem Startjahr der Lexikon-Reihe mit dem Psychologielexikon, brachte der Verlag zur Absatzsteigerung zum Beispiel die sog. Drehsäule heraus. Auf dieser sollten die Taschenbücher des Verlages präsentiert werden. Viele Buchhändler lehnten diese Gestelle aus Platzgründen zunächst ab, erkannten dann aber die Vorteile: Kunden konnten so die Titelseiten der Bücher sehen, interessante Bücher in die Hand nehmen und hineinschauen.

Man liegt nicht falsch, wenn man annimmt, dass Taschenbücher wie das Fischer-Lexikon auch zum Ausbau der Psychologie an den Universitäten beigetragen haben. Mit seiner Überzeugung, die Psychologie müsse kreativ sein und auch experimentell betrieben werden, konnte Peter R. Hofstätter seinen Kollegen Albert Wellek aber offenbar nicht überzeugen.

Literatur

Demke, E. (2014). „…dass dieses Deutschland sich offenbart“ – Geschichtspolitik und Sozialpsychologie bei P. R. Hofstätter in den Jahren 1949-1963. In W. Mack, H. E. Lück, K.-H. Renner & U. Wolfradt (Hrsg.), Behaviorismus und Erkenntnistheorie im psychologisch-historischen Kontext (S. 133-149). Frankfurt: Peter Lang.

Hofstätter, P. R. (1992). [Selbstdarstellung]. In E. G. Wehner (Hrsg.), Psychologie in Selbstdarstellungen. Band 3 (S. 107-134). Bern: Hans Huber.

H.E.L.

Gerhard Tübben | 08.04.2024