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Lecture: Hermeneutik trifft auf Aufmerksamkeitsökonomie: Oral-History.Digital und die Plattformisierung qualitativer Forschung
[09.12.2025]Dr. Almut Leh ist Historikerin, Leiterin des Instituts für Geschichte und Biografie und des Archiv „Deutsches Gedächtnis“, Mitherausgeberin von BIOS – Zeitschrift für Biographische Forschung, Oral History und Lebensverlaufsanalyse, seit 2002 Mitglied des Rates der International Oral History Association und Sprecherin der Forschungsgruppe Digital Humanities an der FernUniversität in Hagen. Sie hat zur deutschen Geschichte seit 1945, zur Methodik und Archivierung von Oral-History-Interviews und zu Sprachtechnologien im Bereich Oral History publiziert. Dr. Cord Pagenstecher ist Historiker, arbeitet im Arbeitsbereich Digitale Interviewsammlungen der Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin, wo er das Projekt Oral-History.Digital (2020-2026) und die Beteiligung der FU Berlin am NFDI4Memory-Konsortium der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur koordiniert. Er hat an interviewbasierten Forschungs- und Lernplattformen zu den Themen Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, Colonia Dignidad und Kirchenasylbewegung gearbeitet und zu den Themen Nationalsozialismus, Tourismusgeschichte, Migrationsforschung, Oral History, Visual History und Digital Humanities publiziert.
am 18. Dezember 2025 I 16:00 Uhr - 17:30 Uhr
- mit Dr. Almut Leh (FernUniversität in Hagen)/Dr. Cord Pagenstecher (Freie Universität Berlin)
- Ort: Zoom
- Lecture Series - Thema „Plattform“
- Moderation: Dr. Dennis Möbus (FernUniversität in Hagen)
Abstract
„Ich interessiere mich für Biografien“ – so beschreiben manche Menschen ihre Beweggründe, wenn sie Zugang zum Archiv „Deutsches Gedächtnis“ online beantragen. Solange dieses Archiv nur persönlich zugänglich war, kam nur eine begrenzte Anzahl von Forscher:innen zu Besuch; seit das Archiv jedoch online ging, haben Oral-History-Interviews auch außerhalb der Forschungsgemeinschaft Interesse geweckt. Eines ist sicher: Der Online-Zugang verändert die Nutzung von Oral-History-Interviews. Aber wie genau? Wer nutzt Interviews online, wofür und wie? Und wie gehen wir als Betreiber einer Infrastruktur für Oral-History-Sammlungen und eines Online-Archivs mit neuen Nutzergruppen und verändertem Nutzerverhalten um?
Oral-History.Digital (oh.d) ist seit September 2023 online. oh.d ist ein Interviewportal, eine Kurationsplattform und eine Forschungsumgebung, die es Interviewprojekten ermöglicht, Audio- und Videointerviews gemäß den FAIR-Prinzipien online verfügbar zu machen. Ein differenziertes Zugriffsmanagementsystem schützt die Persönlichkeitsrechte der Interviewten. Diese Infrastruktur wird von der Freien Universität Berlin betrieben, die mit ihrem Beitrag zum Visual History Archive, zum Zwangsarbeit Archiv (ZWAR) und zu anderen digitalen Interviewsammlungen eine Vorreiterrolle im Bereich der Online-Archive in Deutschland eingenommen hat. Zunächst haben die Freie Universität Berlin, das Archiv „Deutsches Gedächtnis“ und die Werkstatt der Erinnerung ihre umfangreichen Sammlungen in die Plattform eingebracht. Sechs Monate nach der Inbetriebnahme der Infrastruktur nutzten bereits 34 Institutionen aus Forschung, Museen und Gedenkstätten Oral-History.Digital, um ihre Sammlungen zugänglich zu machen. Die Anzahl online verfügbarer Interviews wächst seitdem kontinuierlich (derzeit über 4.000), ebenso wie die Zahl von Nutzern. Allerdings kommt es nicht selten vor, dass wir als Sammlungsinhaber:innen Registrierungsanfragen ablehnen müssen. In den allermeisten Fällen erlaubt die Einwilligung der Interviewten die Nutzung nur für Forschungs- und Lehrzwecke. Ein allgemeines Interesse an Biografien ist davon nicht abgedeckt.
Aber auch das akademische Interesse hat sich erweitert. Neben Historiker:innen interessieren sich auch qualitative Sozialforscher:innen, Linguist:innen, Bildungswissenschaftler:innen und Informatiker:innen für biografisch-narrative Interviews. Nicht jedes Projekt dürfte im Interesse der Interviewten liegen. Wie können wir als Archivare und Infrastrukturbetreiber mit diesen neuen Nutzergruppen umgehen? Welche Bedürfnisse haben sie und wie möchten sie mit Interviews arbeiten? Wie forschen diese Wissenschaftler:innen? Finden sie, was sie suchen? Wie lange bleiben sie bei einem Interview? Laden sie Inhalte herunter? Nutzen sie die Möglichkeit, sich Interviews in voller Länge anzuhören, oder klicken sie sich hauptsächlich durch die Suchtreffer?
Um diese und andere Fragen zu beantworten, ist die quantitative und qualitative Auswertung des Nutzerverhaltens ein wesentlicher Bestandteil der aktuellen Phase des Projekts Oral-History.Digital. Ziel dieser Evaluation ist es, die Infrastruktur im Interesse der Nutzer zu optimieren (FAIR-Prinzipien) und gleichzeitig die ethischen und rechtlichen Interessen der Interviewten zu wahren (CARE-Prinzipien). Darüber hinaus erwarten wir Erkenntnisse darüber, wie die digitale Rezeption die Forschung verändert.
Nach einer kurzen Vorstellung der Infrastruktur von Oral-History.Digital werden wir die Ergebnisse der Evaluation präsentieren und diese Ergebnisse im Hinblick auf digitale Infrastrukturen und deren Auswirkungen auf die interviewbasierte Forschung diskutieren.
Mehr Informationen gibt es hier