Francesco Arman
Das Studium als Wegbegleiter
Francesco Arman ist jemand, der sich nicht versteckt. Jemand, der für seine Wurzeln und Werte eintritt, ohne andere zu bevormunden. Der 43-Jährige lebt in Gießen, arbeitet als Erzieher bei der Arbeiterwohlfahrt (AWO), engagiert sich als Betriebsrat und in der Kommunalpolitik. Er gehört der Minderheit der Sinti und Roma an. Im Frühjahr 2021 hat er gemeinsam mit anderen den Studierendenverband der Sinti und Roma gegründet. „Wir ermutigen junge Menschen aus der Community, ein Studium aufzunehmen, und unterstützen sie darin.“
Denn er selbst hat einen eher krummen Bildungsweg hinter sich und musste sich erst gegen Widerstände durchsetzen, bevor er im Sommersemester 2018 an die FernUniversität kam und sich für Kulturwissenschaften einschrieb. Mit 17 war Francesco Arman ins hessische Gießen gezogen, machte hier nach dem Realschulabschluss sein Fachabitur. Anschließend begann er, Soziale Arbeit zu studieren. Nach zwei Jahren brach er ab, sattelte auf eine Ausbildung zum Erzieher um. Der Beruf erfüllt ihn, doch der Wunsch nach akademischer Bildung blieb.
Herzensthema Philosophie
An der FernUniversität setzt Arman ihn nun mit seinem Studium um. Eigentlich hätte es nahe gelegen, dass er sich für Bildungswissenschaft einschreibt, aber er findet: „Man sollte das studieren, was man mit Herzblut studiert. Philosophie hat mich schon immer interessiert, Geschichte und Literatur finde ich auch spannend.“ Fürs Studium muss er viel lesen. Es kommt im entgegen und „erweitert meinen Horizont“. „Philosophie lebt zwar vom Austausch, aber ich erschließe es mir aus der Literatur und für die inhaltliche Auseinandersetzung höre ich Podcasts.“ Philosophie bietet viele Spielräume. „Man untersucht alle Entitäten mit fachlicher und rhetorischer Disziplin.“ Philosophie sei wie die Textur, die Disziplinen miteinander verwebt.
Was ihn besonders fasziniert: Die Erkenntnis, dass Wissen nur sehr begrenzt ist, nicht universal. Nichts ist gegeben. „Man muss sich einlassen und kritisch reflektieren – auch sich selbst.“ Seinem neunjährigen Sohn erläutert Francesco Arman schon mal die eine oder andere philosophische Theorie, insbesondere allerdings vermittelt er ihm das Bewusstsein für seine Herkunft. „Er soll sich offen als Sinto zeigen können.“ Francesco Arman hat sich erst im Erwachsenenalter „geoutet“.
Querschnitt der Gesellschaft
Sinti und Roma erleben immer noch Diskriminierung. Das häufig gezeichnete und wahrgenommene Bild „zeigt Menschen, die in den Wohlfahrtsstaat einwandern, die aus soziokulturell und sozioökonomisch schwachen Verhältnissen kommen und sich als Tagelöhner verdingen.“ Dabei hat das Bild mehr Facetten: Es ist bunt, wie überall. Eigentlich. „Wir sind einfach der Querschnitt der Gesellschaft. Wir sind genauso divers wie die Mehrheitsgesellschaften, in denen wir leben.“ Deshalb will der Studierendenverband der Sinti und Roma (SVSRD) andere Bilder erzeugen, ein neues Narrativ hinzufügen.
„Wir demonstrieren, dass wir Teil des wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftspolitischen Lebens in Deutschland sein möchten – die Mitte der Gesellschaft. Es ist wichtig, dass wir sichtbar gemacht werden und uns selbst sichtbar machen.“ Francesco Arman ist Teil der Community, sein Bildungsweg exemplarisch: in Deutschland geboren, die Familie hier fest verwurzelt, akademische Bildung eher im zweiten Anlauf.
Akademischer Lückenschluss
Auf die Vorurteile auch den wissenschaftlichen Scheinwerfer zu richten, ist dem Verband ein weiteres Anliegen: Die Forschung zu Antiziganismus steckt noch in den Kinderschuhen. Sie möchten diese akademische Lücke schließen und fördern zusammen mit einem breiten Netzwerk Studien- und Abschlussarbeiten zu Themengebieten wie Antiziganismus, Repräsentation oder Gesellschaftspolitik.
In seinem Fernstudium hat Arman das Themenfeld für eine Seminararbeit zu „Oral History“ herausgegriffen. „Bei der Literaturrecherche bin ich auf zutiefst rassistisches Material, insbesondere aus den 1960er und -70er Jahren gestoßen.“ Für einen deutlichen Bruch damit hat erst die Kulturrevolte von 1968 gesorgt. „Das waren die Vorkämpfer:innen für Sinti und Roma.“
Arman hat es sich gut eingeteilt auf seinem Weg zum Bachelorabschluss: ein Leistungsnachweis pro Semester. Nun steht die letzte Hausarbeit an, dann folgen zwei mündliche Prüfungen und das Wahlpflichtmodul. „Ich schätze an der FernUniversität am meisten, dass ich die Inhalte planen kann. Die Schreibphasen für meine Seminararbeiten etwa konnte und kann ich beispielsweise deckungsgleich mit Urlaubszeiten legen.“ Trotz aller wertvollen Flexibilität findet Arman aber auch: „Eine Herausforderung ist mitunter die Kommunikation per E-Mail, vor allem bei Absprachen bezüglich Exposés.“
FernUni bildet Klammer
Aktuell belegt er Sozialphilosophie. Das kommt ihm in seiner kommunalpolitischen Engagement zugute: Francesco Arman sitzt für die Linken im Gießener Stadtrat, seine Schwerpunkte liegen in der Bildungs- und Sozialpolitik. Fest im Blick behält er außerdem die Wohnungspolitik und die Belange älterer Menschen sowie Menschen mit Handicaps.
Themen miteinander verknüpfen, soziale Zusammenhänge herstellen – das Studium an der FernUni bildet die Klammer für Armans gesellschaftspolitisches Engagement.
Stand: Januar 2022