Kati Cysarek
Psychologie-Studentin leitet Schule für Straßenkinder
„Ich bin Kati.“ Die 30-Jährige ist erfrischend unkompliziert und direkt. Kati Cysarek lebt seit sechs Jahren in Indien, wo sie in der Millionenmetropole Varanasi eine Schule und ein Internat für Straßenkinder leitet. Seit dem Wintersemester 2013/14 studiert sie von dort aus an der FernUniversität in Hagen Psychologie im Bachelorstudiengang. Ihr soziales Engagement war ein wichtiges Kriterium für die Vergabe eines Deutschlandstipendiums an sie.
„Ich brauchte den geistigen Ausgleich durch das Studium“, sagt sie. Ihr Arbeitsalltag in Indien bringt einen hohen Arbeitsaufwand mit sich, inklusive starker emotionaler und körperlicher Belastungen. „Trotzdem ist mir kontinuierliche Weiterbildung wichtig.“ Immerhin hat sie bereits ein Studium in Indien mit einem Master in Conflict Management and Development abgeschlossen. Parallel zur Arbeit an der Schule. „Daher bin ich mir auch sicher, der Doppelbelastung gewachsen zu sein.“
Zukunftsperspektive Forschung
Das Niveau an der Banaras Hindu University reichte Kati Cysarek nicht aus. Sie wollte mehr Wissen. Gemeinsam mit ihrem Mann, der sich als Arzt einer Nichtregierungsorganisation (NGO) ebenfalls in Indien engagiert, hielt sie Ausschau nach einem passenden Fernstudium. Sie stießen auf die Hagener Hochschule – und den Studiengang Psychologie, mit dem Schwerpunkt Bildungspsychologie.
„Ich habe in der Regel mit mehrfach traumatisierten Kindern zu tun. Sie sind in ihrer Entwicklung gehemmt und verhaltensauffällig. Deshalb möchte ich mehr über die Hintergründe ihres Handels verstehen.“ Sie möchte es später auch erforschen. Ihr Studienziel ist klar abgesteckt. Nach dem Bachelorabschluss soll der Master folgen – „gern auch in Hagen“ – und dann die Promotion. „Ich möchte wissenschaftliche Erkenntnisse mit angewandter Forschung über Kinder mit Traumaerfahrungen und Entwicklungsdefiziten zusammenbringen.“
Halbes Jahr in Deutschland
Zurzeit kann sie sich voll auf ihr Psychologie-Studium konzentrieren. Gemeinsam mit ihrem Mann hält sich Kati Cysarek bis zum Herbst 2014 in Deutschland auf. Sie bekommen das erste Kind. Durch die Schwangerschaft hinkt sie mit den Prüfungen leicht hinterher. „Aber jetzt kann ich ein halbes Jahr nur lernen. Das ist wunderbar“, lacht sie.
Virtuell zu studieren liegt ihr, sie lernt am liebsten allein. Die Materialien online zu bekommen, findet sie prima. Mit der Betreuung und dem Austausch über Kontinente hinweg ist sie ebenfalls zufrieden. „Das ist intensiver, als ich es an einer Präsenzuni erfahren habe.“ Doch ihre Jeevan-Schule in Varanasi lässt sie auch während ihrer Abwesenheit nicht los. Sie ist ein großer Teil von Kati Cysarek.
Deshalb freut sie sich besonders, dass von ihrem Deutschlandstipendium indirekt eine Lehrerin in Varanasi bezahlt wird. „Ich verzichte auf mein Gehalt, davon finanzieren wir eine zusätzliche Lehrerstelle. Ich habe ja die 300 Euro aus dem Stipendium. Davon kann ich jetzt Fachliteratur kaufen.“ Über die Zusage des Stipendiums hat sie sich sehr gefreut. „Es macht mich eher demütig als stolz, weil dahinter Erwartungen stehen, die ich erfüllen will“, bekannte sie vor der Gesellschaft der Freunde der FernUniversität, zu deren Mitgliederversammlung Cysarek im April 2014 eingeladen war. Die Freundesgesellschaft ist seitens der FernUniversität Hauptsponsorin des Deutschlandstipendiums. Für die FernUni-Studentin ist das Förderprogramm, das der Bund 2011 initiiert hat, eines „der gerechtesten überhaupt“. Partei- oder Religionszugehörigkeit spielen „erfreulicherweise“ keine Rolle.
Über das Leben in Indien und den Alltag an der Jeevan-Schule berichtet Kati Cysarek in ihrem Blog.
Ersatzmutter für 30 Kinder
Während sie die Schule hauptamtlich für eine NGO leitet, führt sie das Internat ehrenamtlich. „Bei uns leben rund 30 Kinder im Alter von 4 bis 19 Jahren. Wir bemühen uns hier stark, den Kindern eine Ersatzfamilie zu bieten.“ Denn hinter jedem Kind steckt ein schwieriges Umfeld: Die Familien leben in provisorischen Zeltlagern, 80 Prozent der Eltern sind alkoholabhängig, die meisten sind Analphabeten. Die Kinder sind in der Regel mangelernährt, oftmals drogenabhängig und gewalttätig. Die Hälfte der Kinder sind Opfer sexuellen Missbrauchs. „Zu beobachten, wie sie zu aufgeschlosseneren Jugendlichen heranwachsen, ist schon großartig. Es motiviert mich, mich weiter anzustrengen.“
In der Groß-WG haben alle ihre Aufgabe: Sie helfen im Haushalt, die Größeren kümmern sich um die Kleineren. Zwei Mal im Jahr feiern sie die Geburtstage gemeinsam. Am Ende eines solchen Tages strahlen alle. Ursprünglich wollte Cysarek fünf Jahre bleiben. Nach ihrem Grundstudium an der Humboldt-Universität zu Berlin, Kulturwissenschaften, Politikwissenschaften und Soziologie, reiste sie mit einer Freundin nach Indien – und blieb. „In die Rolle als Lehrerin und Schulleiterin bin ich nach und nach reingewachsen“, erzählt sie.
Für die nächsten zehn Jahre plant sie, in Varanasi zu bleiben. „Irgendwann aber möchte in Deutschland arbeiten. Ich möchte von der Qualität und Professionalität in der Hochschulforschung profitieren – und daran mitwirken.“ Außerdem soll ihr Kind nicht als Teenager in Indien leben (müssen). „Dazu ist es zu wenig freiheitlich, insbesondere für Mädchen“, begründet sie das. Vorstellen kann sie sich allerdings auch zwischen Indien und Deutschland zu pendeln – und ihre Schule in Varanasi langfristig zu betreuen.
Stand: Mai 2014