Dr. Michael Strebel
Vom Konditor zum promovierten Politologen
Auf besonderen Wunsch zaubert Michael Strebel schon nochmal eine aufwändige Torte. „Das ist eine schöne Abwechslung“, sagt der 45-jährige Schweizer. Für „Abwechslung“ hat der gelernte Bäcker und Konditor allerdings zuletzt nicht viel Zeit gehabt. Jede freie Minute widmete er seinem Buchprojekt: Nun ist das „Das schweizerische Parlamentslexikon“ erschienen. Hat er jetzt wieder mehr Zeit für Sahnehäubchen und Gebäck?
„Freizeit, Ferien, Wochenende – alles war für das Buch reserviert, da passte nur eine kleine Torte dazwischen.“ Strebel lacht. Pardon, Dr. Strebel lacht. Michael Strebel ist promovierter Politologe, ein Absolvent der FernUniversität und langjähriger Lehrbeauftragter. Das hatte er nicht so geplant. Nach der Schule stand für Strebel 1993 die Lehre zum Bäcker-Konditor an. In der Zeit nahmen ein Onkel und ein Berufsschullehrer entscheidenden Einfluss auf Strebels Leben: Sie weckten seine Leidenschaft für Politik. Über seinen Onkel, der frisch ins Parlament gewählt worden war, lernte Strebel die praktische Seite der Politik kennen, über den anderen die theoretische.
Erster Akademiker der Familie
Für Strebel war ein Studium keine Selbstverständlichkeit als Kind aus einer Arbeiterfamilie. Aber er wollte es nach Abschluss der Ausbildung unbedingt. „Ich wollte auf jeden Fall mehr: lernen, erkennen und verstehen. Also habe ich neben dem Beruf mein Studium absolviert und dann promoviert.“ Das war aus der Schweiz an der FernUniversität sehr gut möglich. „Ich wusste immer, was ich zu tun hatte und musste es nur organisieren. Mir kommt zugute, dass ich ein durchorganisierter Mensch bin und wenn ich ein Ziel habe, will ich es erreichen“, erzählt Strebel in sympathischem Dialekt.
Um das Ziel Studium zu verfolgen, nahm Michael Strebel den zweiten Bildungsweg. Angetrieben hat ihn dabei der „unbedingte Wille“. Trotzdem gab’s auch Momente, in denen er das Handtuch werfen wollte und sich fragte: „Warum tue ich mir das an? Den Kampf aufzunehmen und immer wieder weiterzumachen – genau das hat uns zum Erfolg geführt“, sagte er einmal als Redner auf der ersten Alumnifeier der FernUni in der Schweiz. Da lag seine Promotion schon fünf Jahre zurück.
Nach dem Studienabschluss im Jahr 2008 wissenschaftlich weiterzumachen, war für ihn ein logischer Schritt. „Es geht um das Vergnügen, sich tiefer und tiefer in ein Thema einzuarbeiten. Zu entdecken, zu verstehen, Verbindungen zu finden, unbekannte Aspekte ans Licht zu holen. Manchmal gibt es ein Kribbeln im Bauch – ein gutes Gefühl.“ Michael Strebel l(i)ebt sein Fach. Seine Schwerpunkte Parlamentarismus und politische Systeme hat er früh für sich entdeckt.
Bereits im Studium absolvierte er ein Praktikum beim wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages – als erster Schweizer. Die Arbeit hinter den Kulissen des Parlaments packte ihn. Fragen drängten sich auf: Wie kommen politische Entscheide zu Stande? Wie nimmt ein Parlament seine Aufgaben wahr? Michael Strebel setzte sich intensiv damit auseinander: zunächst in seiner Magisterarbeit und anschließend in seiner Dissertationsschrift.
Vom Mentor zum Lehrbeauftragten
Während Strebel an seiner Dissertation schrieb, war er als Mentor für das Schweizer Studienzentrum der FernUni tätig. Der FernUni-Virus hatte ihn gepackt. Vom Mentor wechselte er fast nahtlos als Lehrbeauftragter ins Lehrgebiet Vergleichende Politikwissenschaft von Prof. Michael Stoiber. Zum Sommersemester 2023 kommt das Lehrgebiet Politik und Verwaltung von Prof. Lars Holtkamp dazu.
485 Parlamente und 600 Begriffe
Zwei Jahre lang arbeitete er an dem Schweizerischen Parlamentslexikon, analysierte 485 Parlamente und befragte 580 Personen auf den drei Ebenen Bund, Kantone und Kommunen, wertete 10.000 Dokumente aus und trug so 600 (spezifische) Begriffe zusammen. Strebel brachte Ordnung in die mitunter eigene Sprache der Schweizer Parlamente. „Begrifflichkeiten stellen in gewisser Weise die ,Maschinerie‘ des Parlamentsbetriebs dar. Ich habe nach außergewöhnlichen Begriffen Ausschau gehalten.“ Bei vielen Begriffen erfolgte eine wissenschaftliche Auseinandersetzung. Das Buch soll einen Beitrag zur Parlamentarismusforschung leisten. Unterstützung hatte Strebel von einer Historikerin, ebenfalls eine Absolventin der FernUni. Eine besondere Herausforderung war die Mehrsprachigkeit des kleinen Landes.
Mit parlamentarischen Strukturen und Gepflogenheiten ist Michael Strebel bestens vertraut. Eine seiner ersten beruflichen Stationen war das Stadtparlament von Wetzikon. „Ich durfte es einführen, nachdem die Gemeindeversammlung abgeschafft wurde. Das ist schon Highlight, wenn man auf der grünen Wiese ein Parlament entwickeln darf. Da herrschte eine echte Aufbruchstimmung“, erzählt er. „Ich konnte idealtypische Vorstellungen von Parlament umsetzen, etwa die Idee des papierlosen Parlaments. Alle Parlamentsmitglieder haben dem zugestimmt. Daran haben wir dann die Arbeitsprozesse ausgerichtet.“
Konsens oder Opposition
Seitdem hat er geschäftsführend für verschiedene Gemeinde- und Kantonsparlamente gearbeitet, parallel zu seinen Lehraufträgen an mehreren Hochschulen in Deutschland und in der Schweiz. „Durch diese zwei beruflichen Standbeine verbinden sich für mich Theorie und Praxis. Mich mit diesem Spannungsverhältnis zu beschäftigen, macht mir Spaß“, sagt Strebel. An den Hochschulen gibt er Seminare, betreut Haus- und Abschlussarbeiten. „Da bleibe ich mit aktuellen Fragestellungen und Literatur vertraut.“ Über politische Entscheide und Entwicklungen kommt man mit Strebel schnell in die Diskussion, vor allem im Vergleich der politischen Systeme der Schweiz und Deutschlands: direkte versus parlamentarische Demokratie. „Jedes System bringt bei politischen Entscheidungen Vor- und Nachteile mit sich.“ Da ist Michael Strebel ganz Schweizer: stets konsensorientiert.
Stand: Januar 2023